Der Fotograf des Weißen Hauses "Obama kann man auch von hinten zeigen"
22.04.2018, 05:59 Uhr
Pete Souza war von 2009 bis 2017 der offizielle Fotograf des Weißen Hauses. Jahre zuvor hatte er bereits als Fotograf für US-Präsident Ronald Reagan gearbeitet. Das Bild zeigt Souza im Museum "The Kennedys" in Berlin.
(Foto: dpa)
Pete Souza hat Barack Obama acht Jahre lang fast täglich begleitet - von der Amtseinführung bis zur Verabschiedung aus dem Weißen Haus. Jetzt erscheint ein Bildband mit einer Auswahl der Fotos, die Souza in seiner Zeit als offizieller Fotograf des Weißen Hauses geschossen hat. Seine Bilder "zeigen einfach das, was passiert ist", sagt er im Interview mit n-tv.de. "Sie erfassen den Moment, in dem es passierte."
In dem knapp 20-minütigen Gespräch geht es fast ausschließlich um Fotos, die Obama zeigen - doch den Namen des ehemaligen Präsidenten benutzt Souza nicht ein einziges Mal. Mit Distanz hat das nichts zu tun, im Gegenteil: Die Arbeit mit Obama ist Souza offenkundig noch immer so nahe, dass ohnehin klar ist, über wen er spricht. Als er über das Ende von Obamas Amtszeit spricht, wird Souza einsilbig. Er sei zwar glücklich gewesen, als er das Weiße Haus verließ, weil er so erschöpft gewesen sei. Aber er war auch enttäuscht, geradezu deprimiert. Am Ende kichert er jedoch wieder - als es darum geht, wie er den heutigen Präsidenten trollt.
n-tv.de: Sie haben in Ihrer Zeit als Fotograf des Weißen Hauses 1,9 Millionen Bilder gemacht. Wie haben Sie die Übersicht über so viele Bilder behalten? Sie haben sich für das Buch doch nicht alle noch einmal angesehen?
Pete Souza: Nein, nein. Wir hatten ein System, bei dem jedes Foto eine Bildunterschrift und ein paar Schlagworte bekam. Das ist das Tolle an digitalen Fotos: Man kann Informationen an die Dateien anhängen. Ich hatte ein paar Mitarbeiter, die mir dabei halfen. Denn alle Bilder gehen in unser Nationalarchiv. Sie werden für die Ewigkeit aufbewahrt.
Jedes einzelne Bild?
Es gibt ein Gesetz namens Presidential Records Act, das nach Watergate verabschiedet wurde. Das schreibt vor, dass alle Dokumente einer Präsidentschaft aufgehoben werden müssen. Darunter fallen ausdrücklich auch Fotos.
Aber nicht jedes wurde veröffentlicht.
Oh nein. Sie können sich wahrscheinlich vorstellen, dass nicht jedes Foto großartig wird, wenn man 1,9 Millionen Aufnahmen macht. Wenn das Nationalarchiv die Bilder eines Tages freigibt, werden die Leute sagen: Oh, seht mal, was für langweilige Foto dieser Souza gemacht hat.
Wie ist es, jemanden wie Barack Obama zu fotografieren - jemanden, der gut aussieht und sich elegant und locker bewegt? Ist es eher leicht oder eher schwer?
In gewisser Weise lässt er sich gut fotografieren. Aber bei Besprechungen sitzt er meist in ein und demselben Stuhl und benutzt die gleichen Gesten. Dann eine neue Perspektive zu finden, ist eine gewisse Herausforderung, aber das ist wahrscheinlich bei jedem Präsidenten so. Der Vorteil, den ich bei ihm hatte, war, dass man außerhalb von Besprechungen nie wusste, wie er sich im Umgang mit anderen Menschen verhalten würde. In solchen Situationen habe ich die meisten Fotos gemacht. Im Buch gibt es daher kaum Bilder, auf denen er in einem Meeting sitzt, denn irgendwann sehen die alle gleich aus. Ich hatte auch den Vorteil, dass er von hinten leicht zu erkennen ist - wegen seiner Ohren und der Form seines Kopfes. Das war ein Vorteil, weil ich Dinge aus seiner Perspektive zeigen konnte, wenn ich hinter ihm stand.
Wie sah Ihr Arbeitstag aus? Haben Sie Barack Obama von morgens bis abends begleitet?
Ich war morgens da, wenn er ins Büro kam, und ich blieb den ganzen Tag bei ihm. Wann abends Schluss war, hing davon ab, ob es noch Veranstaltungen gab oder ob er Zeit mit seiner Familie verbrachte. Im Schnitt war ich von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends da.
Haben Sie je Urlaub genommen?
Ich war in den acht Jahren einen Tag krank. In den ersten fünf Jahren habe ich keinen Urlaub gemacht. Aber in den letzten drei Jahren nahm ich mir jeweils eine Woche frei - immer dann, wenn er im Urlaub war, in Martha's Vineyard.
Hat er Sie jemals weggeschickt, weil er seine Ruhe haben oder ungestört mit jemandem reden wollte?
Nein. Aber das ist eine Frage des Fingerspitzengefühls. Es gibt ein Bild im Buch, wo er mit seiner Tochter auf einer Schaukel sitzt und sie unterhalten sich darüber, was sie in der Schule gemacht hat. Es ist ein Vater-Tochter-Moment. Ich habe ein paar Fotos gemacht und bin dann langsam verschwunden, damit sie in Ruhe reden können. Er hat mir nicht gesagt, dass ich gehen soll, es fühlte sich nur richtig an. Ich wollte, dass die Mädchen mit ihrem Vater sprechen können, ohne dass sie ständig fotografiert werden.
Haben Sie Obama je darum gebeten, eine bestimmte Geste zu machen oder sich irgendwo hinzustellen?
Nein.
Sie waren einfach da und haben fotografiert?
Ja.
Sie haben unmittelbar vor seiner ersten Amtseinführung ein Foto von Obama gemacht, auf dem er sich selbst im Spiegel betrachtet. Ist das inszeniert?
Nein.
Hat Obama sich je auf eine Art verhalten, dass Sie dachten: Das macht er jetzt nur, damit ich ihn so fotografiere?
Einmal hat er eine Rede vor Kindern und ihren Väter gehalten - das war zu einem Frühstück aus Anlass des Vatertags. Ein Junge schlief während der Rede ein. Er saß mit anderen Kindern und mit Vätern am Tisch und nickte einfach weg - er war vielleicht sechs Jahre alt. Er fand das so lustig, dass er zu dem Kind ging und mich bat, ein Foto zu machen. Aber alle anderen Bilder zeigen einfach das, was passiert ist. Sie erfassen den Moment, in dem es passierte.
Warum haben amerikanische Präsidenten überhaupt offizielle Fotografen?
Ich glaube, das ist eine wertvolle Quelle, um eine Präsidentschaft visuell zu dokumentieren. Können Sie sich vorstellen, wie es wäre, wenn wir so viele Fotos von Abraham Lincoln hätten? Heute kann man sich nur ausmalen, wie es damals war, man kann es sich nicht ansehen. Zumindest seit der Kennedy-Regierung ist jede Präsidentschaft in Bildern für künftige Generationen festgehalten worden.
Was ist Ihr Lieblingsfoto von den 1,9 Millionen?
Das ist eine Frage, die ich unmöglich beantworten kann. Wenn ich eines auswählen würde, vielleicht ein Foto von ihm mit einer seiner Töchter, dann würde es den Wert eines anderen Bildes mindern, zum Beispiel des Fotos aus dem Situation Room. Und wenn ich das Foto aus dem Situation Room nähme, dann würde es nicht zeigen, wie er als Vater ist oder wie sehr er andere Menschen respektiert. Es ist einfach zu schwierig, ein Lieblingsbild zu bestimmen.
Das Foto aus dem Situation Room zeigt, wie Obama und seine Sicherheitsberater am 1. Mai 2011 auf einem Bildschirm verfolgen, wie das Anwesen von Osama bin Laden in Pakistan gestürmt wird. Obama hat später gesagt, das Foto sei entstanden, als einer der beiden eingesetzten Helikopter Schwierigkeiten hatte.
Wir waren ungefähr 40 Minuten in dem Raum - so lange dauerte das Unternehmen. Natürlich wusste ich, wie historisch das war. Aber keiner von uns wusste, ob es ein Erfolg werden würde. Es hätte schief gehen können. Es hätte sein können, dass Bin Laden gar nicht da war. Oder unsere Jungs hätten getötet oder verletzt werden können - wir wussten es vorher nicht. Die Zeit in dem Raum waren die angespanntesten 40 Minuten, die ich je erlebt habe. Dies waren die mächtigsten Leute unserer Regierung, alle zusammen in diesem Raum. Und jetzt waren sie im Grunde machtlos, sie konnten das Ergebnis nicht mehr beeinflussen. Alles, was sie tun konnten, war zuzuschauen und das Beste zu hoffen. Ich glaube, diese Spannung sieht man in ihre Gesichter geschrieben.
Später wurde mitunter darauf hingewiesen, dass Hillary Clinton sich als einzige auf dem Bild die Hand vor den Mund hält, als stünde sie unter Schock. War ihre Reaktion anders als die der Männer?
Nein. Ich habe mir alle Bilder, die ich in dem Raum gemacht habe, noch mal angesehen. Es gibt auch Bilder, wo (Vizepräsident Joe) Biden und (Verteidigungsminister Robert) Gates die Hand vor dem Mund haben. Ich habe versucht, das beste Bild auszuwählen. Das ist das Schöne am Nationalarchiv: Irgendwann in der Zukunft werden all diese Fotos freigegeben. Dann können die Leute sich selbst überlegen, ob ich das richtige Bild ausgesucht habe. Ich glaube, dass ich das getan habe. Es gibt ein paar Einzelbilder, die fast so gut sind. Aber am Ende werden die Leute zustimmen, dass ich das richtige ausgesucht habe.
Sie haben gelegentlich auch Angela Merkel fotografiert. In Deutschland ist sie bekannt dafür, dass sie ihre Gesichtszüge nicht immer vollständig kontrolliert, so dass es mitunter unvorteilhafte Bilder von ihr gibt.
Zunächst einmal verstehe ich nicht, warum Fotografen absichtlich unvorteilhafte Bilder von jemandem aussuchen. Es gibt zwei oder drei Bilder von ihr im Buch, von denen ich nicht glaube, dass sie die als unvorteilhaft ansehen würde - vielleicht doch, ich habe keine Ahnung. Aber ich kann nicht viel dazu sagen, denn ich kenne die Bilder nicht, die Sie meinen. Ich hoffe, das klingt jetzt nicht sexistisch, aber ich glaube, dass es schwierig ist für Politikerinnen. Bei einer Politikerin werden nicht nur die Entscheidungen beobachtet, sondern immer auch ihre Frisur, ihre Kleidung oder ihr Gesichtsausdruck. Das ist sehr ungerecht. Ein bisschen passierte das auch Hillary Clinton.
Sie waren mit Barack Obama im Hubschrauber, als er Washington am letzten Tag seiner Präsidentschaft verließ. Erinnern Sie sich, was Sie in dem Moment dachten?
Ich war glücklich, dass ich das Weiße Haus verließ, ich war körperlich und geistig einfach so erschöpft. Es war Erleichterung und ein Gefühl, etwas vollbracht zu haben. Ich fand, dass ich seine Präsidentschaft ganz gut dokumentiert hatte. Aber für mich war es der richtige Zeitpunkt, zu gehen. Auf der anderen Seite waren da Enttäuschung und ein leichter Anflug von Depression, dass die Wahl nicht so ausgegangen war, wie wir alle gehofft hatten.
Ich weiß, dass Sie nicht gern darüber sprechen, aber auf Instagram trollen Sie ein wenig US-Präsident Trump, indem Sie Bilder von Barack Obama teilen, zu denen Sie schreiben "Damals, als …". Kürzlich haben Sie ein Bild gepostet, das Obama und den damaligen FBI-Direktor James Comey zeigt, mit der Bildunterschrift: "Damals, als ein Treueschwur nicht nötig war (und sicherlich nicht danach gefragt wurde).
(kichert)
Sehr witzig fand ich auch das Bild, das Obama beim Besuch einer Haftanstalt zeigt, und Sie schreiben dazu: "Präsident Obama war der erste amtierende Präsident (und vermutlich nicht der letzte), der ein Bundesgefängnis besuchte." Warum machen Sie das?
Naja, ich bin jetzt ein Privatmann, kein Angestellter der Regierung. Wir haben diese wunderbare Sache in unserer Verfassung, die "erster Zusatzartikel" genannt wird, die mir erlaubt zu sagen, was ich denke. Am besten kann ich es, glaube ich, so ausdrücken: Ich glaube, die Kommentare, die ich auf Instagram abgebe, haben eine sehr viel spielerischere und respektvollere Form, als das, was manche Personen auf Twitter machen.
Mit Pete Souza sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de