Ermittler schalten Piratenpartei offline Piraten reichen Beschwerde ein
20.05.2011, 16:42 Uhr
Nichts geht mehr: Laptop eines Piratenaktivisten beim Bundesparteitag in Heidenheim am 14. Mai.
(Foto: dapd)
Die Polizei beschlagnahmt Server der Piratenpartei - die beschwert sich beim Amtsgericht Darmstadt. Die Aktion richtet sich jedoch nicht gegen die Partei, sondern geht auf ein französisches Rechtshilfeersuchen zurück. "Das ist für uns ein sehr schwerer Schlag", klagt Parteichef Nerz. Das Hackernetzwerk Anonymous reagiert mit massiven Angriffen auf die Websites von Polizei und BKA.
Nach einer Polizeiaktion ist die Piratenpartei Deutschland vorübergehend offline: Die Staatsanwaltschaft Darmstadt habe "eine Vielzahl" von Servern beschlagnahmen lassen, teilte die Partei mit. Das Verfahren richte sich allerdings nicht gegen die Partei und gehe auf ein französisches Rechtshilfeersuchen zurück, erklärte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Kurz vor der Bürgerschaftswahl in Bremen ist damit die digitale Kommunikation der Partei nahezu lahmgelegt. Die Partei reichte innerhalb von Stunden Beschwerde beim Amtsgericht Darmstadt ein, wie Vorstandsmitglied Matthias Schrade per Twitter mitteilte.
"Die Aktion hat uns kalt erwischt", sagte der stellvertretende Parteivorsitzende Bernd Schlömer. "Es wurde einfach der Stecker gezogen." Schlömer sprach von einem "einmaligen Vorgang", dass man der Piratenpartei als der führenden "Internetpartei" in Deutschland zwei Tage vor der Bürgerschaftswahl in Bremen das wichtigste Arbeitsmittel entziehe. "Das wäre so, als würde man der CDU oder SPD aufgrund eines Ermittlungsersuchens aus dem Ausland sämtliche Geschäftsstellen schließen." Die Partei sei von den Behörden nicht um die Herausgabe der Daten gebeten worden. Die Polizeiaktion habe sich direkt gegen die Firma Aixit in Offenbach gerichtet, wo die Piratenpartei Server angemietet habe. "Das hätte man mit einem Anruf klären können."
Der designierte Parteisprecher Christopher Lang hält es für möglich, dass die Hacker-Organisation Anonymous auf dem Server der Partei illegale Aktivitäten koordiniert haben könnte. Wenige Stunden nach der Polizeiaktion gegen die Piratenpartei waren die Internet-Angebote bka.de und polizei.de nicht mehr zu erreichen. Anonymous bezichtigte sich auf Twitter selbst, die Websites der deutschen Ermittlungsbehörden mit einer Daten-Attacke (DDOS) in die Knie gezwungen zu haben. Die Piratenpartei distanzierte sich von der Aktion.
"Politisch massiver Schaden"
Der Vorstand betonte, er werde im "Rahmen seiner gesetzlichen Verpflichtungen zur Aufklärung der durch die französischen Ermittlungsbehörden erhobenen Vorwürfe beitragen". Die Zugänge zur technischen Infrastruktur der Piratenpartei seien daher - "so weit es den Ermittlungszielen dient" - zur Verfügung gestellt worden: "Damit soll die zielgerichtete Suche nach einzelnen Daten ermöglicht werden."
Kurz vor der Wahl in Bremen sieht sich die Partei, die stark auf digitale Kommunikation setzt, einer wichtigen Infrastruktur beraubt. So laufen unter anderem Website, E-Mail und Instant Messenger über die Server. "Das ist für uns ein sehr schwerer Schlag", sagte der Parteivorsitzende Sebastian Nerz. So müsse man Wahlkampfveranstaltungen im Bremen, an denen Mitglieder aus dem ganzen Bundesgebiet teilnehmen wollten, koordinieren.
Es werde "politisch ein massiver Schaden angerichtet", erklärte der Bundesvorstand in einer Mitteilung. "Im Zusammenhang mit den laufenden Ermittlungsarbeiten wird daher zu klären sein, ob die erfolgte Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung rechtlichen Vorgaben entsprochen hat, insbesondere ob die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit gewahrt wurden."
Piraten-Chef fassungslos
Der Piraten-Chef kritisierte die Aktion als überzogen. "Wir verstehen nicht, warum die Polizei so hart durchgegriffen hat. Es wäre möglich gewesen, die Daten sicherzustellen, ohne die gesamte IT vom Netz zu nehmen", sagte Nerz. Auch die Grünen zeigten Unverständnis. Einen Großteil der IT-Struktur lahmzulegen sei falsch, twitterte Malte Spitz, Vorstandsmitglied der Partei.
Nerz geht davon aus, dass die beanstandeten Inhalte mit dem sogenannten PiratenPad erstellt wurden - einer Web-Anwendung, in der Nutzer gemeinsam an Dokumenten arbeiten. Auch Nicht-Mitglieder können auf das System zugreifen. "Wir nutzen das PiratenPad parteiintern relativ viel und tauschen uns darüber auch mit Externen aus", erklärte Nerz. Vermutlich stammten die ins Visier geratenen Dokumente von Netzaktivisten, die nicht der Partei angehörten. Das PiratenPad basiert auf der quelloffenen Software EtherPad, die Google gekauft hat.
Die Piraten versuchen nun, über ihre Kommunikationsinfrastruktur über andere Server wieder zum Laufen zu bringen - etwa über die Schwesterpartei in Luxemburg. "Ich hoffe, dass wir es vor der Wahl wieder in Gang kriegen", sagte Nerz.
"Ja ne ist klar"
Im Netz sorgte die Polizeiaktion für Aufsehen, Ärger und Spott - beim Online-Kurznachrichtendienst Twitter war das Schlagwort "Servergate" einer der meistgenutzten Begriffe. "Französisches Ermittlungsverfahren ist also wichtiger als Parteiinfrastruktur kurz vor Wahlen in DE...ja ne ist klar", meinte etwa Nutzer @thinkpixelde. Auch der Twitterer @0l1h7 hält den Schritt für überzogen: "Und wenn das nächste mal einer im Supermarkt in Berlin was klaut, wird erst einmal das Viertel evakuiert", schrieb er. Als Bewährungsprobe für den neuen Bundesvorstand sieht @rupkalwis_com die Beschlagnahmung - aber auch als Chance: "Bitte macht einen guten Wahlkampf daraus!"
Quelle: ntv.de, rpe/dpa