Nach umstrittenem Gerichtsurteil Polens Premier beteuert Willen zu EU-Verbleib
08.10.2021, 11:22 Uhr
Premierminister Morawiecki muss nun zurückrudern, obwohl er den Streit um nationales und EU-Recht erst ins Rollen gebracht hat.
(Foto: AP)
Polen steht nach dem Gerichtsurteil zur Gewichtung des nationalen Rechts weiter auf Konfrontationskurs mit der EU. Von den anderen EU-Mitgliedern hagelt es heftige Kritik. Im Staatenverbund will das mitteleuropäische Land aber weiterhin bleiben.
Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki hat versichert, dass sein Land nach dem historischen Gerichtsurteil gegen den Vorrang von EU-Recht vor nationalem Recht in der Europäischen Union bleiben will. Einen EU-Austritt wie bei Großbritannien soll es nicht geben. "Polens Platz ist und bleibt in der europäischen Völkerfamilie", schrieb Morawiecki auf Facebook. Das Warschauer Verfassungsgericht hatte am Donnerstag die EU-Verträge in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Den EU-Institutionen warf die Vorsitzende Richterin, Julia Przylebska, vor, sich unrechtmäßig in Polens innere Angelegenheiten einzumischen.
Während Brüssel "besorgt" auf die Entscheidung reagierte, schlägt Frankreich schärfere Töne an. "Das ist ein Angriff gegen die EU", sagte der französische EU-Staatssekretär Clément Beaune dem Sender BFM-TV. "Es besteht das Risiko eines De-facto-Austritts", sagte Beaune weiter. Die Gerichtsentscheidung sei "Teil einer langen Liste" von Provokationen. "Wenn man in einen Club eintritt, dann unterzeichnet man einen Vertrag, das ist er EU-Vertrag, der durch ein Referendum vom polnischen Volk ratifiziert wurde", fügte er hinzu.
"Polnische Regierung spielt mit dem Feuer"
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn bezeichnete das Urteil, in dem das polnische Verfassungsgericht Teile des EU-Rechts für unvereinbar mit der Landesverfassung befunden hatte, als sehr besorgniserregend. Die polnische Regierung spiele mit dem Feuer. "Der Vorrang des europäischen Rechts ist wesentlich für die Integration Europas und das Zusammenleben in Europa. Wenn dieses Prinzip gebrochen wird, wird das Europa, wie wir es kennen und wie es mit den Römischen Verträgen aufgebaut wurde, aufhören zu existieren", warnte Asselborn.
Im Rahmen der Urteilsverkündung listete Richterin Przylebska eine Reihe von Artikeln der EU-Verträge auf, die nicht mit dem polnischen Grundgesetz "vereinbar" seien. Mit ihrem Vorgehen gegen Warschau überschritten die EU-Institutionen ihre Kompetenzen.
Das Gericht folgte damit der Auffassung von Regierungschef Morawiecki. Dieser hatte die Richter Ende März um eine Entscheidung zu der Frage ersucht, ob die polnische Verfassung Vorrang vor EU-Recht habe. Anlass waren Entscheidungen der EU-Gerichtsbarkeit in Luxemburg gegen die umstrittenen Justizreformen der rechtsnationalistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).
Brüssel wirft der Regierung in Warschau vor, die Unabhängigkeit der Gerichte und die Gewaltenteilung zu untergraben, und hat deshalb eine Reihe von Verfahren in Luxemburg angestrengt.
Quelle: ntv.de, mba/AFP