Präsident schaltet Militär ein Proteste in Kasachstan fordern mehrere Tote
05.01.2022, 20:49 Uhr
Es herrscht Chaos in Kasachstan: Die Proteste gegen die Gaspreise münden in Gewalt, vielerorts stehen Gebäude in Flammen. Die Rede ist von mehreren Toten und Hunderten Verletzten. Staatschef Tokajew verhängt in Teilen des Landes den Ausnahmezustand und ruft Russland zur Hilfe.
Die zentralasiatische Republik Kasachstan ist durch Proteste gegen hohe Gaspreise in eine tiefe Krise gestürzt worden. Nach gewaltsamen Ausschreitungen schritt nun das Militär ein. "Terroristische Banden" hätten sich in der Großstadt Almaty einen Kampf mit Fallschirmjägern geliefert, sagte Präsident Kassym-Jomart Tokajew in der Nacht zum Donnerstag in einer Fernsehansprache. Der zuvor besetzte Flughafen der Stadt sei befreit. Bei Krawallen in Almaty hatten Demonstranten die Stadtverwaltung und die Residenz des Präsidenten gestürmt.
Einem Medienbericht zufolge sind bei den Unruhen bereits acht Polizisten und Soldaten der Nationalgarde ums Leben gekommen. Unter den Sicherheitskräften gebe es zudem 317 Verletzte, meldete die Nachrichtenagentur Sputnik unter Berufung auf das Innenministerium.
Angesichts der anhaltenden Unruhen bat Tokajew eine von Russland geführte Sicherheitsallianz in der Region um Hilfe. Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) solle dabei helfen, einer "terroristischen Bedrohung" zu begegnen, erklärte Tokajew. Es war die zweite im Fernsehen übertragene Ansprache des Präsidenten innerhalb weniger Stunden. Zur OVKS gehören Russland, Belarus, Armenien, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan.
Größte Protestwelle seit Jahren
Die Lage war zunächst unübersichtlich. Auf jeden Fall ist es in der ehemaligen Sowjetrepublik, die Jahrzehnte lang von Machthaber Nursultan Nasarbajew regiert wurde, die größte Protestwelle seit Jahren. Das Land mit mehr als 18 Millionen Einwohnern grenzt unter anderem an Russland und China. Es ist reich an Öl, Gas und Uran. Trotzdem kämpft Kasachstan mit Misswirtschaft und Armut. Korruption ist verbreitet.
In Almaty im Südosten des Landes herrschte Chaos. Die Nachrichtenagentur Tengrinews veröffentlichte Videos, die Flammen am Sitz der Stadtverwaltung zeigten. Schwarzer Rauch stieg auf. Immer wieder waren Knallgeräusche zu hören. Feuer sollen auch in anderen öffentlichen Einrichtungen ausgebrochen sein. Es brannte auch in der Residenz des Präsidenten. Demonstranten zerstörten Fenster mehrerer Gebäude und zündeten Autos an.
Wie viele Tausend Menschen sich an den Protesten beteiligten, war unklar. Am Nachmittag war es schwer, ein genaues Bild von der Lage zu bekommen. Das Internet wurde abgeschaltet - vermutlich, um neue Versammlungen zu erschweren. Mehrere Fernsehsender stellten den Betrieb ein. Die Behörden sprachen am Nachmittag allein in Almaty von 500 Verletzten. Präsident Tokajew sagte: "Die Situation bedroht die Sicherheit aller Bürger von Almaty. Das kann nicht toleriert werden." Die Sicherheitskräfte würden "so hart wie möglich" vorgehen. Der Präsident kündigte zudem Reformen an. Konkret wurde er aber nicht. Er verhängte zudem den Ausnahmezustand über mehrere Landesteile, darunter Almaty und die neue Hauptstadt Nur-Sultan.
Hohe Inflation sorgt für Unmut
Bereits in der Nacht zuvor hatte es heftige Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gegeben. Den Behörden zufolge wurden 190 Menschen verletzt. Auch in anderen Städten gingen Menschen auf die Straße. Landesweit gab es bis Mittwochmorgen dem Innenministerium zufolge 200 Festnahmen.
Der Protest hatte am Wochenende begonnen. Auslöser waren deutlich gestiegene Preise für Flüssiggas an den Tankstellen. Viele Kasachen tanken Flüssiggas, weil es billiger als Benzin ist. Die Regierung begründete die höheren Preise zunächst mit gestiegener Nachfrage. Seit Jahresbeginn wird der Gashandel komplett über die Energiebörse abgewickelt. Die Inflation stieg stark, was für Unmut sorgte.
Ministerpräsident Mamin tritt zurück
Tokajew versuchte, die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. "Reagieren Sie nicht auf die Aufrufe, offizielle Gebäude zu stürmen. Das ist ein Verbrechen", sagte der Staatschef, der seit 2019 im Amt ist. Nach seiner Wahl hatte es ebenfalls Proteste mit Hunderten Festnahmen gegeben. Für die jetzige Gewalt machte der 68-Jährige "in- und ausländische Provokateure" verantwortlich. Tokajew ordnete auch Preissenkungen an. Viele Demonstranten gaben sich damit nicht zufrieden.
Unter dem Druck der Öffentlichkeit trat Ministerpräsident Askar Mamin mit seiner gesamten Regierung zurück. Der bisherige Vize Älichan Smajylow übernahm die Amtsgeschäfte. Russland rief zu einer friedlichen Lösung des Konflikts auf. Ähnlich äußerten sich die US-Regierung und die EU. Washington rief zugleich die Behörden zur Zurückhaltung auf.
Kasachstan wurde bis 2019 von Nasarbajew regiert. Auch nach seinem Abgang blieb der Langzeitherrscher einflussreich, etwa als Chef des Sicherheitsrates. Präsident Tokajew kündigte nun an, dass er diesen Posten übernommen habe. Es gab auch Spekulationen über einen Umsturz.
Quelle: ntv.de, mbe/dpa/rts