Krieg und Frieden bei Anne Will "Putin traut sich niemals, auf einen Chinesen zu schießen"
06.03.2023, 01:05 Uhr
Linken-Politiker Jan van Aken sieht Waffenlieferungen an die Ukraine kritisch.
(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)
Während Russlands Krieg in der Ukraine weiter tobt, werden in Deutschland Stimmen nach Diplomatie laut. Aber kann man mit Wladimir Putin verhandeln? Bei "Anne Will" streiten die Gäste über Olaf Scholz, die Wahl zwischen Waffen und Vermittlungen - und chinesische Soldaten in der Ukraine.
Vor gut einem Jahr beginnt Russland den Angriff auf die Ukraine. Seit Februar 2022 wehren sich die Menschen gegen die russische Invasion, auch dank Waffenlieferungen aus Deutschland. Ein Ende des Krieges ist weiterhin nicht absehbar und Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt, man schaffe keinen Frieden, indem man Waffenlieferungen stoppt. In Deutschland sagt aber eine Mehrheit, die diplomatischen Bemühungen gingen nicht weit genug. Und so fragt die ARD-Talkrunde "Anne Will" am Sonntagabend, ob "Friedensverhandlungen mit Wladimir Putin derzeit möglich" seien.
Nein, lautet darauf die simple Antwort, der auch alle Diskutanten zustimmen. Streicht man jedoch das Wort "derzeit", wird es kniffliger - besonders bezüglich der Frage, wie Verhandlungen und Sicherheitsgarantien aussehen könnten. "Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln", sagt Scholz in seiner Regierungserklärung am Donnerstag weiter. Ein Satz, der laut Talkmasterin Anne Will "in einen Tatort passen" könnte, der sich aber auf "schreckliche Realität" beziehe. Für Jan van Aken ist er allerdings "völliger Quatsch". Schließlich würde jede Friedensverhandlung so geführt, "so ist das im Krieg".
Der Linken-Politiker erklärt der Talkrunde gleich zu Beginn: "Waffenlieferungen tragen überhaupt nichts bei zu einem schnellen Kriegsende." Man müsse anders Druck auf Russland aufbauen. Putin "wird nicht weggeputscht", erkennt van Aken an, aber er will dennoch "im Kreml politisch etwas ändern" und etwa "aktiv mit Angeboten China oder Brasilien an einen Tisch holen". Das habe Scholz nicht ein einziges Mal gemacht, wie van Aken gleich mehrmals bekräftigt, bevor er mit Blick auf die Einstellung des Kanzlers zu Waffenlieferungen nachschiebt: "Man muss nicht alles glauben, was Olaf Scholz sagt."
"Ohne Waffen, wäre es mit der Ukraine vorbei gewesen"
Solche Aussagen bringen Kevin Kühnert immer stärker auf die Palme, je länger die Sendung dauert. "Ohne Waffen, wäre es mit der Ukraine vorbei gewesen", kontert der SPD-Generalsekretär. Es gebe nur noch eine wehrhafte Ukraine, weil sie sich erwehren konnte - wenngleich das "kein Appell für ewige Aufrüstung" wäre. Außerdem wissen man derzeit überhaupt nicht, ob Waffenlieferungen die Ukraine nicht vielleicht doch dem Frieden nähergebracht haben, so Kühnert. Das werde erst die Zukunft zeigen. Und mit China habe Scholz natürlich gesprochen und habe dafür bei seinem Besuch sogar viel Kritik einstecken müssen. Insgesamt findet der SPD-Politiker, man solle sich damit zufriedengeben, dass die Friedensverhandlungen, so sie denn kommen, "nicht im TV", sondern "in stillen, diplomatischen Kanälen stattfinden" werden.
China bleibt ein großes Thema in der Sendung. Van Aken möchte das autokratische Regime unbedingt "mit ins Boot", denn "China hat kein Interesse am Krieg und möchte, dass er beendet ist." Er schlägt als Sicherheitsgarantien für die Ukraine ein UN-Mandat für derzeit besetzte Gebiete vor, an deren Ende es Referenden geben solle. Darüber ärgert sich nun Christoph Heusgen. Diesen Plan gab es schon im Donbass vor der Invasion 2022, so der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz. Aber er habe nicht funktioniert, weil "Putin keinen Waffenstillstand akzeptiert, seine schweren Waffen nicht zurückgezogen und der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa; d. Red.) keine Bewegungsfreiheit gegeben hat." Auch nach der Krim-Annexion hätten derart Verhandlungen mit Russland, die van Aken vorschlage, "über Jahre" zu nichts geführt und Deutschland habe nun die "moralische Pflicht", weiter Waffen zu liefern, "auch wenn das eine Zäsur ist".
Van Aken zaubert in der Talkrunde aber eine weitere Idee aus dem Hut: Chinesische Soldaten sollten die Blauhelmmissionen in den besetzten Gebieten umsetzen. Denn: "Putin wird sich niemals trauen, auf einen Chinesen zu schießen." Heusgen stimmt sogar zu, man könnte so etwas "natürlich überlegen", aber er erinnert daran, dass Peking sich bei der Resolution im UN-Sicherheitsrat gegen Russland enthielt. Der Linken-Politiker findet dies jedoch "gut", denn "nur so kann China ja noch Vermittler sein".
"Russland muss verlieren lernen"
Die einzige Ukrainerin in der Runde schüttelt zu diesem Zeitpunkt traurig mit dem Kopf. Ljudmyla Melnyk, Wissenschaftlerin am Institut für europäische Politik, findet die Idee mit der UN-Mission "gelinde gesagt zynisch". Keiner der ukrainischen Bewohner habe vor der Invasion Russlands dort jemals Referenden gewollten und deshalb sei diese Forderung von außen jetzt fragwürdig. Außerdem sei in den Gebieten nur noch "verbrannte Erde, die Menschen sind schon nicht mehr da".
Melnyk kritisiert anschließend, dass Verhandlungen als "Allheilmittel dargestellt" würden. Als würde damit "alles gut". Als würde ein unterschriebenes Papier "zu einem Sinneswandel" Putins führen. Das hält die Wissenschaftlerin für gefährlich und man solle lieber die Wurzeln des Krieges analysieren. Putin habe schon in Georgien, Syrien, auf der Krim und im Donbass sein wahres Gesicht gezeigt. Das Dramatische war laut Melnyk, "dass man so lange gebraucht hat zu verstehen, dass wir es mit einem Diktator zu tun haben".
Der Ukraine ginge es nun "nicht nur um Territorien", sagt Melnyk, sondern darum, Bedingungen zu schaffen, "damit sich solch eine Aggression nie wieder wiederholt. Damit die nächste Generation nicht wieder an die Front muss." Ein Beitritt der Ukraine in die NATO, den Generalsekretär Jens Stoltenberg jüngst als "langfristigen" Plan ankündigte, wäre wohl die sicherste Garantie dafür. Dazu wird es aber auf viele Jahre nicht kommen, sagen Kühnert, Heusgen und van Aken diesmal unisono.
Fast genauso schwer dürften sich in näherer Zukunft ernsthafte diplomatische Annäherungen der beiden Kriegsparteien gestalten. Denn was niemand in der Gesprächsrunde anmerkt: Eine grundlegende Voraussetzung für die Chancen diplomatischer Verhandlungen finden in Kriegszeiten nur dann statt, wenn alle Seiten für sich einen Vorteil in der Beendigung der Kampfhandlungen erkennen. Momentan ist das weder auf der russischen Seite (Putin will nicht als Verlierer dastehen und hat seinen Plan der Eroberung noch nicht abgeschlossen) noch auf der ukrainischen Seite (mehrere Gebiete sind noch vom Feind besetzt) der Fall.
Talkmasterin Will möchte am Ende der Sendung von Melnyk noch wissen, wie aus ihrer Sicht der Krieg beendet werden könnte. "Russland muss verlieren lernen", sagt die ukrainische Wissenschaftlerin.
Quelle: ntv.de