Ukrainische Gegenoffensive RUSI: Diese drei Ziele verfolgen Kiews Truppen
15.06.2023, 10:53 Uhr Artikel anhören
Im Süden der Ukraine geht die Gegenoffensive voran, doch es werden noch Wochen nötig sein, um einen größeren Erfolg zu erzielen, sagt RUSI-Experte Watling.
(Foto: REUTERS)
Im Süden der Ukraine verzeichnen Kiews Truppen schrittweise Geländegewinne. Nach Ansicht des britischen Forschungsinstituts RUSI steht die entscheidende Phase der Gegenoffensive aber noch bevor. Der Analyse zufolge versucht das ukrainische Militär derzeit, drei Ziele zu erreichen.
Die ukrainische Gegenoffensive läuft seit einigen Tagen. In der Region Saporischja im Süden des Landes konnten die Streitkräfte Kiews bereits einige Ortschaften befreien. Einer Analyse des britischen Royal United Services Institute (RUSI) zufolge ist die Operation aber noch lange nicht in der entscheidenden Phase.
Zwar hätten ukrainische Einheiten einige Stellungen erobern können, die russische Hauptverteidigungslinie sei aber noch 15 bis 20 Kilometer entfernt und viel stärker ausgebaut, stellt Jack Watling, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum RUSI, fest. Demnach befinden sich hinter der Hauptverteidigungslinie auch noch die Stellungen von Moskaus Reserveeinheiten.
Je tiefer die ukrainischen Streitkräfte nun vordringen, desto häufiger würden sie in Reichweite russischer Geschütze gelangen. "Außerdem wird die eigene Artillerie weniger Gegenfeuer geben können und die ukrainischen Marschrouten werden berechenbarer, da sie den in den Minenfeldern festgestellten Lücken folgen müssen", so Watling. "Je weiter die ukrainischen Truppen vorrücken, desto weniger Flugabwehrmittel stehen ihnen zur Verfügung und desto stärker werden sie wahrscheinlich Angriffen der russischen Luftwaffe ausgesetzt sein."
Angesichts dieser Bedrohungen versuche das ukrainische Militär derzeit drei Ziele zu erreichen. "Erstens werden intensive Artillerieduelle ausgetragen, bei dem beide Seiten versuchen, die Logistik-, Führungs-, Aufklärungs- und Artilleriesysteme der jeweils anderen Seite zu treffen", schreibt Watling. Zudem versuche die Ukraine die Russen dazu zu bringen, ihre Reserven aus der dritten Linie in umkämpfte Bereiche zu verlegen. Wenn diese Einheiten aus dem Hinterland nach vorne gezogen werden, werde es für die Ukraine leichter sein, Schwachstellen in der russischen Verteidigung zu erkennen.
"Gleichzeitig versucht das ukrainische Militär Druck auf die vorderste Kampflinie auszuüben, um diese auf möglichst breiter Front zu durchbrechen", gibt Watling an. "Der Grund dafür ist, die Angriffsoptionen auf die Hauptverteidigungslinie zu erhöhen und die russischen Streitkräfte im Ungewissen darüber zu lassen, wo der Hauptstoß erfolgen wird."
"Die ukrainischen Verluste werden steigen"
Irgendwann werde aber Kiew entscheiden müssen, wo der Hauptangriff stattfinden soll, dann werde die Offensive in ihre entscheidende Phase gehen. Wenn ein Durchbruch in der russischen Hauptverteidigungslinie an einer Stelle gelinge, werde die entscheidende Frage sein, wie viele Einheiten die Ukraine noch in Reserve habe, um in die Lücke zu stoßen. Entscheidend sei hierbei auch der Faktor Geschwindigkeit.
"Die unsichere Variable bei der Offensive ist die russische Moral", so Watling. "Die russischen Einheiten kämpfen derzeit von vorbereiteten Stellungen aus, und ihre Führungsinfrastruktur ist weitgehend intakt." Sollten Moskaus Truppen aber gezwungen sein, sich neu zu positionieren, könnte der schlechte Ausbildungsstand und die geringe Disziplin dazu führen, dass die Verteidigung unkoordiniert werde und zusammenbreche.
"Für die internationalen Partner der Ukraine werde der Sommer wahrscheinlich sehr ungemütlich. Die ukrainischen Verluste werden steigen und ein Erfolg wird auf sich warten lassen", meint Watling. Es sei jedoch von entscheidender Bedeutung, dass die Intensivierung der Ausbildungsprogramme für ukrainische Soldaten nicht nachlasse. Unabhängig davon, wie viel Territorium im Rahmen der Offensive befreit werde, bestehe die Hauptaufgabe darin, den Kreml davon zu überzeugen, dass eine Niederlage seiner Truppen bevorstehe.
Quelle: ntv.de, jpe