Explosive Lage im Iran Ruhani geht auf Demonstranten zu
31.12.2017, 21:06 Uhr
"Wir haben eure Probleme gehört."
(Foto: AP)
Es geht nicht mehr nur um Proteste für Reformen im Iran. Es sind Unruhen - und sie richten sich gegen das islamische System selbst. Das deutet auch Präsident Ruhani an. Er zeigt sich aber offen für Kritik.
Irans Präsident Hassan Ruhani hat sich nach den regimekritischen Protesten mit den Demonstranten solidarisch gezeigt. Gleichzeitig warnte er aber vor Ausschreitungen, die die Sicherheit des Landes und Volkes gefährden könnten. "Wir sind ein freies Land und daher haben die Menschen auch ein Recht auf Meinungsfreiheit", sagte Ruhani. Es sei auch die Aufgabe der Regierung, den Forderungen der Menschen nachzugehen und sie zu erfüllen. Aber all dies sollte in einem gesetzlichen und friedlichen Rahmen durchgeführt werden, so der Präsident in seiner ersten Reaktion zu den Protesten der vergangenen Tage.
"Wir haben eure Probleme gehört", sagte Ruhani. Er wies jedoch einige Medienberichte zurück, die die Proteste nur auf seine Regierung bezogen hatten. Die Demonstranten kritisierten laut Ruhani nicht nur die wirtschaftlichen Probleme. Viele von ihnen hätten auch auf die "Intransparenz" im gesamten System des Landes, unter anderem in der Justiz, hingewiesen.
In einer Kritik an den Hardlinern im Land deutete er darauf hin, dass die Regierung in vielen Fällen nicht die Macht habe, all ihre Programme umzusetzen. Sein Vizepräsident Ishagh Dschanhgiri hatte am Freitag gesagt, dass die ersten Proteste in Maschhad im Nordostiran von Hardlinern organisiert wurden, um Ruhanis Reformkurs zu schwächen. Dschanhgiri warnte bereits zu Beginn, dass die Proteste außer Kontrolle geraten könnten.
Besonders heftig kritisierte Ruhani die Tweets von US-Präsident Donald Trump über die Proteste und bezeichnete ihn als Heuchler. "Dieser Herr in den USA, der sich jetzt besorgt um das iranische Volk zeigt, hat vor Kurzem das gleiche Volk als Terroristen bezeichnet", sagte Ruhani. Jemand, "der von Kopf bis Fuß" gegen den Iran sei, sollte nun nicht den Besorgten vorheucheln, so der Kleriker. Trump twitterte, die Menschen im Iran hätten endlich begriffen, "wie ihr Geld und ihr Wohlstand zugunsten von Terrorismus gestohlen und vergeudet wird. Wie es aussieht, werden sie es nicht länger hinnehmen". Die USA würden "sehr genau" beobachten, ob es Menschenrechtsverletzungen gebe.
Innenminister spricht von Aufstand
Trotz der moderaten Reaktion Ruhanis verschärfte seine Regierung ihren Kurs gegen die regimekritischen Demonstranten im Land. Innenminister Abdulresa Rahmani Fasli sagte, es handele sich nicht mehr um Proteste, sondern um einen Aufstand gegen das eigene Volk. "Probleme mit Gewalt und Terror zu lösen, ist keine Option (...) - das können und werden wir nicht mehr dulden", sagte der Minister am Sonntag. Daher werde die Polizei bei weiteren Ausschreitungen konsequent eingreifen. Bei den Protesten kamen mindestens zwei Demonstranten ums Leben.
Die Sicherheitskommission des iranischen Parlaments plant eine Sondersitzung, um die regimekritischen Proteste im Land zu überprüfen. An dem in der ersten Januarwoche geplanten Krisentreffen soll auch Ruhani teilnehmen, wie die Nachrichtenagentur Isna am Sonntag berichtete.
Die Bundesregierung rief die iranische Regierung zur Achtung der Menschenrechte auf. "Versammlungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung sind hohe Güter. Wir rufen die Regierung von Präsident Ruhani auf, die Rechte der Protestierenden zu achten und besonnen zu handeln. Gleichzeitig appellieren wir an alle Beteiligten, ihre Anliegen friedlich zum Ausdruck zu bringen", teilte das Auswärtige Amt mit. Zugleich passte es seine Reisehinweise für das Land an und riet zu erhöhter Aufmerksamkeit auf öffentlichen Plätzen und zur Meidung von größeren Menschenansammlungen im Iran.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur Mehr haben die Demonstranten als Zeichen ihrer Kritik an der iranischen Nahostpolitik sogar Bilder von General Ghassem Solejmani zerrissen. Solejmani ist einer der Kommandeure der iranischen Revolutionsgarden (IRGC). Er gilt in politischen Kreisen als Nationalheld, weil er unter anderem die Kämpfe gegen die sunnitische Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Nordirak und in Syrien geleitet hat. Er soll nicht nur einen großen Anteil an den militärischen Niederlagen des IS haben, sondern auch am politischen Überleben von Syriens Präsident Baschar al-Assad.
Zugriff auf Telegram gesperrt
Am Sonntag gab es erneut technische Probleme mit dem Internet im Iran, besonders via Handy. Damit hatten viele Iraner auch keinen Zugang mehr zu sozialen Netzwerken. Das Innenministerium bestätigte, dass wegen der Ausschreitungen aus Sicherheitsgründen auch das Internet beschränkt wird. Dies sei aber nur vorläufig, sagte ein Sprecher des Ministeriums nach Angaben der Nachrichtenagentur Isna. Der Chef des Messenger-Dienstes Telegram, Pavel Durov, teilte mit, dass die iranische Regierung für die meisten Bürger des Landes den Zugriff auf Telegram gesperrt habe. Die Handy-App ist für viele Iraner das Mittel der Wahl, um Videos und Nachrichten zu den anhaltenden Protesten auszutauschen.
Deutsche Stimmen mahnten die Einhaltung der Menschenrechte an, kritisierten aber gleichzeitig den Aufruf der USA zur Unterstützung der regimekritischen Proteste im Iran. "Das ist Wasser auf die Mühlen der Hardliner im Iran", sagte der deutsch-iranische Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour der Deutschen Presse-Agentur. Dennoch müsse auch Europa den Iran auffordern, die Menschenrechte zu wahren. Das mit dem Iran ausgehandelte Atomabkommen dürfe nicht zu einem "Maulkorb" führen. Der stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Iranischen Parlamentariergruppe des Bundestags, der Linken-Politiker Niema Movassat, rief die Bundesregierung auf, den iranischen Botschafter einzubestellen.
Quelle: ntv.de, wne/dpa/rts