Politik

Russlandbild von Ostdeutschen "Russen sind nicht 100 Prozent Teufel"

Antje Hermenau macht einen Hass gegen Wladimir Putin bei der heutigen Bundesregierung aus.

Antje Hermenau macht einen Hass gegen Wladimir Putin bei der heutigen Bundesregierung aus.

(Foto: IMAGO/Horst Galuschka)

Russland überfällt die Ukraine, seine Soldaten terrorisieren die Zivilbevölkerung, legen ganze Städte in Schutt und Asche. Trotzdem fällt es vor allem in Ostdeutschland manchen Menschen schwer, sich vom Aggressor zu distanzieren. Das bestätigt bei "Hart aber Fair" auch die ehemalige sächsische Grünen-Abgeordnete Antje Hermenau.

In Ostdeutschland gibt es wieder "Montagsdemos". Protestiert wird gegen die Energiepolitik der Bundesregierung - vor allem gegen die Sanktionen, welche die EU nach dem Angriff auf die Ukraine gegen Russland verhängt hat. Der Tenor der Proteste: Die Sanktionen schadeten Deutschland mehr als Russland und müssten deshalb beseitigt werden. Und dabei schlagen sich viele Demonstranten unverhohlen auf die Seite des Angreifers Russland, für den sie viel Verständnis aufbringen. Woher das kommt und warum gerade in Ostdeutschland so viele Menschen kein Vertrauen in die Demokratie haben, das ist am Montagabend Thema bei "Hart aber Fair" in der ARD.

Die ehemalige Grünen-Politikerin Antje Hermenau fragt sich: Sind die Menschen tatsächlich nicht mit der Demokratie einverstanden oder geht es nicht vielmehr um die Arbeit der Bundesregierung? Hermenau, Bürgerrechtlerin in der DDR, dann lange Jahre Grünen-Abgeordnete im Bundestag und im sächsischen Landtag, verließ 2014 die Grünen und gründete eine Bürgerinitiative, die die Freien Wähler unterstützte. Heute ist sie Politikberaterin. Sie macht einen Hass gegen Putin bei der heutigen Bundesregierung aus, der in einer Aussage von Bundesaußenministerin Baerbock zum Ausdruck gekommen sei. Die habe gesagt, man müsse Putin vernichten. "Ich habe sie fast zitiert", sagt Hermenau.

Tatsächlich hat Baerbock nicht von der Vernichtung Putins gesprochen. Allerdings hatte sie kurz nach Kriegsbeginn die Sanktionen gegen Russland mit den Worten begründet: "Die Sanktionen werden Russland ruinieren." Im Juli 2022 hatte sie Putin vorgeworfen: "Es geht ihm (im Krieg gegen die Ukraine - der Autor) um Vernichtung, selbst von Kindern." Kurz davor, am 1. Mai, hatte sie in einem Interview in der ARD-Sendung "Anne Will" das Ziel des Westens in diesem Krieg so beschrieben: "Russland soll volkswirtschaftlich jahrelang nicht mehr auf die Beine kommen." Angesichts der Verwüstungen und der humanitären Katastrophe in der Ukraine, für die Putin verantwortlich ist, könnte man sich fragen, ob der Vorwurf, die Regierung schüre Hass gegen Putin, nicht sehr einseitig sein könnte.

"Ich würde die Sanktionen gerne mal überdenken"

Allerdings hat auch Hermenau einen wichtigen Punkt, wenn sie auf die Menschenrechtsverletzungen anderer Länder hinweist. Schwierig nachvollziehbar ist jedoch ihr Eindruck, die Bundesregierung schweige darüber. Recht hat sie aber sicher, wenn sie sagt: "Die Russen haben viele Fehler gemacht. Aber dass sie 100 Prozent nur Teufel sind, stimmt auch nicht."

Den Sanktionen gegen Russland steht Hermenau kritisch gegenüber. Sie schadeten Deutschland mehr als Russland, sagt sie. Und sie fragt: "Wer soll denn die Ukraine nach dem Krieg wieder aufbauen, wenn wir uns jetzt selbstgefällig wirtschaftlich ins Schwert stürzen?" Ähnlich wie der sächsische Ministerpräsident Kretschmer würde auch Hermenau die Sanktionen gerne überdenken. "Ich glaube, sie helfen uns nicht."

"DDR war Land von Russlands Gnaden"

Der Historiker Stefan Creuzberger ist in Schwaben geboren und lehrt jetzt an der Universität in Rostock. Er begründet das positive Russlandbild vieler Ostdeutscher mit der Verklärung der Sowjetunion in der DDR. "Was in der DDR als deutsch-sowjetische Freundschaft praktiziert wurde, war eine staatlich initiierte Veranstaltung", sagt er. Hermenau und der in der DDR geborene Boxer Henry Maske stimmen ihm da zu. Bei Veranstaltungen der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) zum Beispiel sei es im Wesentlichen ums Teetrinken gegangen, sagt Hermenau. Über die Reparationen, die die DDR nach dem Zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion leisten musste, habe man in der DDR genauso wenig sprechen dürfen wie über die Vergewaltigungen deutscher Frauen durch russische Soldaten, erklärt Creuzberger.

Dennoch sei es falsch, gerade in diesem Punkt alle Menschen in Ostdeutschland über einen Kamm zu scheren. Seiner Ansicht nach herrsche ein eher positives Russlandbild vor allem in der Generation vor, die den Kalten Krieg erlebt habe. "Wir haben ein Generationenproblem", sagt er. Der Kalte Krieg habe Menschen in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich geprägt. "Damit müssen wir uns auseinandersetzen." Jetzt sei es wichtig, aus diesen Erfahrungen zu lernen. "Wir müssen uns ins Gespräch bringen", so Creuzberger. Und man müsse mit den Menschen reden, die aktuell mit der Demokratie in Deutschland unzufrieden sind - und die leben laut einer aktuellen Umfrage vor allem in Ostdeutschland.

Quelle: ntv.de

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