Aber bitte sozial verträglich Scholz redet Radikalreformer Milei ins Gewissen
23.06.2024, 14:50 Uhr Artikel anhören
60 Minuten dauerte das Treffen von Milei und Scholz.
(Foto: picture alliance / dts-Agentur)
Argentiniens Präsident Milei exerziert in seinem Land ein radikales Sparprogramm. Der selbst ernannte Anarchokapitalist steht ideologisch in einer ganz anderen Ecke als Kanzler Scholz. Beim Treffen der beiden versucht letzterer, Milei sozialdemokratische Ansinnen mit auf den Weg zu geben.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich bei einem Treffen mit dem argentinischen Präsidenten Javier Milei für Sozialverträglichkeit der radikalen Wirtschaftsreformen in dem südamerikanischen Land starkgemacht. Der Kanzler habe auch unterstrichen, dass der Schutz des gesellschaftlichen Zusammenhalts ein wichtiger Maßstab dabei sein sollte, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit nach dem Gespräch im Berliner Kanzleramt mit, das wie geplant nur 60 Minuten dauerte.
Argentinien, die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas, steckt in einer Rezession und leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer großen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht. Der ultraliberale Präsident will das Land mit einem radikalen Sparprogramm wieder auf Kurs bringen.
Das hat allerdings seinen Preis: Die harten Maßnahmen würgen die Wirtschaftsleistung ab. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet mit einem Rückgang um 2,8 Prozent im laufenden Jahr. Die Inflation in Argentinien ist noch immer eine der höchsten der Welt. Nach Angaben der Katholischen Universität Argentiniens leben knapp 56 Prozent der Menschen in Argentinien unter der Armutsgrenze und rund 18 Prozent in extremer Armut. Die Reformen Mileis haben zu gewaltsamen Protesten im Land geführt.
AfD und Werteunion applaudierten
Zum Auftakt seines Besuches in Deutschland war Milei einen Tag vor dem Zusammentreffen mit Scholz in Hamburg mit einer Medaille der Friedrich August v. Hayek-Gesellschaft geehrt worden. Der für spontane und polemische Äußerungen bekannte Milei verzichtete in seiner Rede auf jeden Bezug zu Deutschland und schilderte in erster Linie sein Verständnis von Politik. Er beschrieb seinen intellektuellen Werdegang zum Anhänger der sogenannten Österreichischen Schule, zu denen neben Hayek (1899-1992) auch Ludwig von Mises (1881-1973) zählt. Durch die Lehren des US-Ökonomen Murray Rothbard (1926-1995) sei er zum "Anarchokapitalisten" geworden.
Seine rund 200 Zuhörer in Hamburg - darunter die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch und der Vorsitzende der rechtskonservativen Werteunion, Hans-Georg Maaßen - jubelten Milei zu. Immer wieder riefen sie in Sprechchören "Libertad" (Freiheit).
Bei Handel und Ukraine auf einer Linie
Auch wenn sie ideologisch ein Stück voneinander entfernt sind, konnten Scholz und Milei auch die Themen beackern, die sie gemeinsam verfolgen. So sprachen sie auch über die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder und machten sich laut Hebestreit für den zügigen Abschluss der seit 25 Jahren andauernden Gespräche über eine Freihandelszone zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Staatenverbund Mercosur stark, dem neben Argentinien auch Brasilien, Uruguay und Paraguay angehören. Mit dem Abkommen würde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit mehr als 700 Millionen Einwohnern entstehen. Eine Grundsatzeinigung aus dem Jahr 2019 wird jedoch wegen anhaltender Bedenken - etwa beim Regenwaldschutz - nicht umgesetzt. Der Kanzler unterstützte auch den Beitritt Argentiniens zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD.
Einigkeit gab es zwischen Scholz und Milei auch mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Regierungssprecher Hebestreit verwies darauf, dass beide kürzlich erst am Friedensgipfel in der Schweiz teilgenommen haben. "Auch im heutigen Gespräch waren sich beide einig, dass Russland es in der Hand hat, den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden." Eine zunächst angekündigte gemeinsame Pressekonferenz von Scholz und Milei war kurzfristig ebenso wie der Empfang mit militärischen Ehren abgesagt worden - auf Wunsch Mileis, wie es von deutscher Seite hieß. Der einzige gemeinsame öffentliche Auftritt war ein kurzer Fototermin bei der Begrüßung vor dem Kanzleramt.
Quelle: ntv.de, mpe/dpa