Innere Kämpfe und äußere Krisen Schwieriges Ankommen nach der Flucht aus der Ukraine


Mascha und ihre Töchter am Eingang ihres Containers.
(Foto: Maryna Bratchyk)
Viele Flüchtlinge aus der Ukraine haben in Deutschland bereits eine eigene Wohnung gefunden, aber es gibt noch immer welche, die in Containern leben. In Spandau, am Rande von Berlin, fühlt sich eine Ukrainerin wie in einem täglichen Überlebenskampf.
Der stärkste Kontrast zur schillernden Großstadt ist nicht der graue Container, der Mascha und ihren Töchtern als Zuhause dient, sondern ihre eigene Geschichte. Eine Geschichte von Flucht, Resilienz und Hoffnung. Seit mehr als einem Jahr leben die drei bereits in Spandau, einem Bezirk am westlichen Rand von Berlin.
Am Eingang des Containerlagers befindet sich ein Schild, "Deutsches Rotes Kreuz, Gemeinschaftsunterkunft Am Oberhafen", und ein bewachter Kontrollpunkt. "Wir haben hier einen sehr zuverlässigen Sicherheitsdienst", sagt Mascha. Um hineinzukommen, muss man seinen Personalausweis abgeben und erhält dafür eine Plastikkarte.
Wir gehen durch den Checkpoint zu Maschas Wohnung mit der Nummer 10.8. Rundherum stehen Dutzende von weißen und grauen Containern. In der Mitte befindet sich ein Spielplatz, auf dem Kinder spielen. Zwischen den Containern selbst ist nicht viel Platz, hier sind viele Menschen verschiedener Nationalitäten unterwegs. Mascha ist froh, dass sie und ihre Töchter einen ganzen Container mit zwei Zimmern bekommen haben. Ihre Schwiegermutter muss mit Fremden zusammenleben, in einem Zimmer. Viele Ukrainer gibt es hier nicht: Mascha und ihre Kinder, die Mutter ihres Mannes, zwei weitere Familien. Andere Bewohner kommen aus Moldawien, aus Syrien und anderen Ländern. "Im Allgemeinen waren diese Container für drei Jahre vorgesehen, als Migranten aus anderen Ländern herkamen. Jetzt sind sie schon sechs Jahre alt", sagt Mascha.
Als wir den Container betreten, wäscht die ältere Tochter gerade Geschirr ab, die jüngere Tochter guckt einen Zeichentrickfilm mit Prinzessinnen. "Wir haben nicht aufgeräumt", entschuldigt sich Mascha. Ihr Container besteht aus zwei Zimmern, einer Dusche, einer Toilette und einer Küche.
Mascha ist 34 Jahre alt, hat lange, dunkelblonde Haare und trägt eine Brille. Von Beruf ist sie Psychologin, vor der großen Invasion der Russen in die Ukraine hat sie in Butscha bei Kiew in einer Grundschule gearbeitet und in Irpin gelebt - zwei Städte, die mittlerweile international als Schauplätze von russischen Kriegsverbrechen bekannt sind. In Deutschland hat sie damit angefangen, Deutsch zu lernen. Die Prüfung zum Sprachniveau B1 hat sie bereits abgelegt, aktuell wartet sie auf das Ergebnis. Sie hat viel Zeit für ihre Kinder, nur manchmal arbeitet sie nachts online als Psychologin. "Ich kann nicht aufhören zu arbeiten, denn das ist meine Ressource. Ich habe immer noch Klienten. Hauptsächlich arbeite ich mit Geflüchteten, weil ich mich seit 2016 dafür interessiere, als ich als Psychologin mit Leuten aus Luhansk und Donezk gearbeitet habe. Gestern hatte ich wegen der Zeitverschiebung um 12 Uhr nachts eine psychologische Sitzung mit einem Klienten, der in Amerika lebt", sagt Mascha.
"Da haben wir gewohnt"
Ihr Leben in Berlin empfindet ansonsten als eintönig und von der deutschen Bürokratie belastet. Ihre Heimatstadt hat sie am 25. Februar 2022 verlassen: Zusammen mit ihren Kindern, ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter floh sie in die Westukraine. "Als wir in Irpin losfuhren, kamen uns russische Fahrzeuge entgegen. Wir konnten sie aber passieren", sagt Mascha. Dass ihre Wohnung zerstört worden war, erfahren sie später aus den Nachrichten und von Freunden. Eine Granate schlug im zweiten Stock des Hauses ein, in deren Erdgeschoss sich die Wohnung der Familie befand. Das Haus wurde im Frühjahr abgerissen, da es nicht mehr bewohnbar war. "In dem Video von Kalush für den Song, mit dem sie 2022 den Eurovision Song Contest gewonnen haben, wo die zerstörten Gebäude sind - das ist unser Teil von Irpin, da haben wir gewohnt", erzählt die Frau.
Kurz nach der Ankunft in der Westukraine beschloss die Familie, dass sie nach Deutschland weiterreisen würde. Der Mann ging nach einiger Zeit jedoch wieder in die Ukraine zurück. "Er möchte nicht in Deutschland leben, obwohl er die Möglichkeit hat, hierzubleiben." Die Mutter von Maschas Mann hat eine Behinderung. Aus diesem Grund durfte er sie ins Ausland begleiten und dort pflegen.
In Berlin wohnten Mascha und die Kinder zeitweise bei einer Freundin. Aber auf Dauer wurde es dort etwas eng. "Meine Freundin hat alle Flüchtlinge bei sich zu Hause aufgenommen. Sie hatte eine Zweizimmerwohnung. Teilweise waren mehrere Familien da, 15 Personen."

Die jüngere Tochter, Esfir, überlegt, was sie heute für einen Spaziegang anziehen soll.
(Foto: Maryna Bratchyk)
Maschas jüngere Tochter, Esfir, wird bald 4 Jahre alt, sie besucht den Kindergarten. Mehr als ein Jahr hat die Familie darauf gewartet. "Manchmal lese ich ihr Märchen auf Deutsch vor, und das gefällt ihr, sie sagt, sie versteht es", lächelt die Mutter. Die älteste Tochter, Virsaviia, ist 9, sie wird im September in eine deutsche Schule gehen, aber sie wissen noch nicht, welche Klasse sie besuchen wird. Bisher war sie in einer Willkommensklasse. In der Ukraine hatte sie fast die zweite Klasse abgeschlossen. "Ich habe das Gefühl, dass sie in dieser Zeit dümmer geworden ist", sagt die Mutter. "In der Willkommensklasse gab es nur Ausländer, sodass sie die deutsche Sprache kaum lernte, da sie nicht mit Muttersprachlern kommunizierte und keine neuen Freunde fand." Mascha möchte, dass ihre Tochter die Sprache lernt und hier die Schule besucht, zumindest bis zum Ende des Krieges. "Jetzt will ich nicht in die Ukraine zurück, ich weiß nicht, was ich dort machen soll. Soll ich da denselben Container oder eine Wohnung mieten?"
Und dann noch die Scheidung
Auf einmal sagt Mascha: "Mein Mann und ich lassen uns gerade scheiden." Eine Weile hängt dieser schockierende Satz im Raum. "Vor der großen Invasion waren wir gerade dabei, uns von der Coronakrise frei zu atmen", erklärt die Frau. "Unsere Familie hatte einige finanzielle Schwierigkeiten. Wir bekamen unser zweites Kind, das war nicht leicht. Kurz vor der Invasion hatten wir gerade die Wohnung gekauft. Und mein Mann fragte sich, wie viel die Renovierungsarbeiten kosten würden…"
Mascha ist überzeugt, dass ihre Ehe nicht wegen des Krieges gescheitert ist, sondern schon vorher zerbrochen war, an diversen Problemen und Belastungen - finanziellen Schwierigkeiten und dem Stress mit dem Baby ausgerechnet in der Coronakrise. Zudem schlief die Kleine schlecht und wollte nicht essen. "Nachdem wir die Wohnung gekauft hatten, waren wir ein wenig außer Atem. Der Krieg kam für uns einfach zu einer Zeit, in der wir nicht mehr die Kraft und die Ressourcen hatten, an irgendetwas zu arbeiten. Wir wollten beide nur Unterstützung, aber wir konnten sie einander nicht geben, weil wir so viele Ansprüche und Erwartungen aneinander hatten, die nicht erfüllt wurden", fasst die Psychologin den Zerfall ihrer eigenen Ehe zusammen.
Als Flüchtling in Deutschland durchläuft Mascha nicht nur den schweren Prozess der Integration, sondern steht auch vor der alltäglichen Mühle der deutschen Bürokratie. "Der Papierkram hier ist sehr anstrengend", sagt sie. "Die Deutschen versuchen, alles zu digitalisieren, aber sie sind noch nicht sehr gut darin. Und für mich ist es schwer, zu verstehen, wie alles funktioniert." Sie erzählt, dass sie einmal bei einem Behördengang so verzweifelt war, dass sie "ausgerastet" sei. "Ich habe ihnen unsere Dija-App gezeigt", sagt sie - also die Anwendung, mit der Ukrainer so gut wie alle staatlichen Dienste in Anspruch nehmen können. "Sie waren sprachlos, als sie sahen, dass ich meinen Ausweis und alle meine Dokumente auf meinem Smartphone hatte", erzählt sie. Sie lacht, während sie ihre Interaktionen mit der deutschen Bürokratie beschreibt, vermittelt dabei aber auch ihre Irritation - so ein hohes Maß an Technologie scheint für deutsche Beamte jenseits des Vorstellbaren zu sein.
Langfristige Pläne hat Mascha nicht. Aber im September will sie ins polnische Lodz fahren, weil dort ein Akkordeonist auftritt, den sie mag. "Und ich habe bald eine Party auf einem Boot mit meiner Freundin. Ich möchte mich schön anziehen, mich schminken und zeigen." Noch immer hofft Mascha, den nächsten Winter nicht mehr im Container verbringen zu müssen. Aber sie sucht schon lange vergeblich eine Wohnung. Als Mascha das erste Mal in den Container kam, sagte sie am Telefon zu ihrem Mann, dass sie kurz davor sei, sich im Fluss neben dem Lager zu ertränken - die Havel fließt unmittelbar an dem Lager vorbei. Sie ärgerte sich über alles. "Ich habe mich geärgert, dass uns Spielsachen gestohlen wurden, dass Leute ständig hin- und herliefen, dass manche morgens betrunken waren, dass es nur Leute gab, die nichts im Leben brauchten." Doch dann änderte sie ihre Sichtweise: "Ich konnte nicht verstehen, wie Menschen jahrelang in diesen Containern leben konnten, und jetzt bin ich selbst in dieser Situation. Ich mag diese Gegend jetzt, ich schaue gerne auf das Wasser."
Quelle: ntv.de