Politik

"Konflikte werden zunehmen" Sind Chinas Soldaten schon in Hongkong?

Stecken unter den Uniformen Polizisten oder chinesische Soldaten?

Stecken unter den Uniformen Polizisten oder chinesische Soldaten?

(Foto: REUTERS)

Experten vermuten, dass die Polizeikräfte der Sonderverwaltungszone schon seit einer Weile von Einheiten aus der Volksrepublik unterwandert sind. Die aktuelle Brutalität gegen die Protestbewegung trägt nicht die klassische Handschrift lokaler Polizisten.

Twitter warnt seine Nutzer vor Videos mit verstörenden Inhalten. Vor diesem beispielsweise: Ein Mann in einem grünen Poloshirt zwischen 40 und 50 Jahren geht auf eine Gruppe zu und schimpft erbost. Plötzlich übergießt ihn jemand aus der Gruppe mit einer Flüssigkeit und zündet ihn an. Sofort steht der gesamte Oberkörpers des Mannes in Flammen. Er hat Glück und überlebt. Ein anderes Video zeigt ein Gerangel zwischen einem Polizisten, der eine Schusswaffe in der rechten Hand trägt, und einem Vermummten. Ein anderer Vermummter will zur Hilfe eilen, der Polizist schießt ihm aus zwei Metern Entfernung in den Oberkörper. Blutend und bewusstlos bricht das Opfer auf der Straße zusammen. Auch dieser Mann überlebt.

Zweimal Tatort Hongkong, zweimal pures Glück. Am Freitagmorgen dagegen starb ein 70-jähriger Mann, der zwischen die Fronten geraten war und von einem Pflasterstein am Kopf getroffen wurde. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis viel mehr Menschen durch direkte Gewalteinwirkung in Hongkong zu Tode kommen werden. "Die Konflikte werden weiter zunehmen, die Gewalt auch", prophezeit Andreas Fulda, Politikwissenschaftler und Autor des Buches "The Struggle for Democracy in Mainland China, Taiwan and Hong Kong". Fulda wirft Hongkongs Polizeikräften vor, den Anspruch auf Recht und Ordnung aufgegeben zu haben. Es kursieren Videos, auf denen Beamte friedlichen Passanten oder Journalisten aus nächster Nähe Tränengas ins Gesicht sprühen, oder sie Gewalt bei Festnahmen anwenden, die weit über das nötige Maß hinausgeht. Sogar eine schwangere Frau, die den Polizisten wütend gegenübersteht, wird aus einem Meter Entfernung mit Tränengas attackiert und schließlich gewaltsam zu Boden gebracht.

Seit Monaten protestieren Hunderttausende Menschen in Hongkong gegen gebrochene Zusagen der chinesischen Zentralregierung. Sie fürchten um den Verlust ihrer verbleibenden demokratischen Rechte, die ihnen Peking 1997 bei der Übernahme der Stadt aus britischer Hand vertraglich zugesichert hat. Monat für Monat eskaliert seit Juni die Gewalt, ein Ende der Spirale ist nicht absehbar.

Wann kommt die Gelegenheit, das Kriegsrecht zu verhängen?

Es gilt längst als offenes Geheimnis, dass die Eskalation von chinesischer Seite provoziert wird. Die Hongkonger Polizei soll von Soldaten aus der Volksrepublik unterwandert sein, die zu anderen Mitteln greifen, als jene aus rechtsstaatlichen politischen Systemen. Das Maß an Brutalität, die Bereitschaft, schwere Verletzungen von Zivilisten billigend in Kauf zu nehmen, die andauernde Missachtung von Bürgerrechten, die offenkundige Wut, mit der vermeintliche Delinquenten körperlich gezüchtigt werden, sind nicht die Handschrift der Hong Kong Police Forces (HKPF). Sie sind eher die Handschrift von Sicherheitskräften, die eine strafrechtliche Verfolgung ihrer Maßlosigkeit nicht zu fürchten brauchen.

Der Politologe Jean-Pierre Cabestan, der seit vielen Jahren in Hongkong lebt und lehrt, sagte im Jamestown China Brief, einem akademischen Forum zur Analyse der strategischen Absichten der Volksrepublik China, dass Peking bereits eine gewisse Anzahl an Polizeibeamten heimlich eingeschleust habe. Sie sprächen Kantonesisch wie die Einheimischen, um nicht als Soldaten von jenseits der Grenze identifiziert werden zu können. Außerdem würden die Einsatzkräfte nur dem Papier nach von Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam angewiesen, glaubt Cabestan. Die eigentlichen Befehle kämen aus Peking.

Lange war die HKPF in der Stadt sehr beliebt, weil die Beamten den Bürgern stets respektvoll gegenübertraten. Inzwischen wird die Polizei von großen Teilen der Bevölkerung abgrundtief gehasst, wie jüngste Umfragen ergaben. "Hongkongs Polizei ist seit der Niederschlagung der Regenschirm-Revolution im Jahr 2014 ein Instrument der politischen Unterdrückung geworden. Seit Anfang September 2019 übernimmt sie die gleiche Funktion wie die People's Armed Police in Festlandchina", sagt Buchautor Fulda. Die People's Armed Police wird von der Kommunistischen Partei zur Niederschlagung von Demonstrationen in der Volksrepublik eingesetzt. Fulda glaubt, dass eine Fortsetzung der Gewalt eine Gelegenheit für Regierungschefin Lam bietet, "das Kriegsrecht zu verhängen." Das würde ihr diverse Maßnahmen ermöglichen, die Protestbewegung zu schwächen, beispielsweise indem sie eine Sperre des Internets anordnet.

Begriffe wie vor dem Tiananmen-Massaker

Ganz offiziell sind schon seit 1997 rund 6000 Soldaten der Volksbefreiungsarmee in Hongkong stationiert. Allerdings sollen die bislang nicht zur Niederschlagung des Aufruhrs eingesetzt worden sein. Peking fürchtet einen massiven Imageschaden, sollten diese stationierten Einheiten gegen die Protestbewegung vorgehen. Unweigerlich würden weltweit Erinnerungen an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens aufkommen. Dennoch hatte Chinas Hongkong-Minister Zhang Xiaoming schon im August mit deren Einsatz gedroht, um letztinstanzlich den "Aufruhr zu stoppen und das Chaos zu kontrollieren". Aufruhr und Chaos sind die gleichen Begriffe, mit denen die Kommunistische Partei im Jahr 1989 die Demokratiebewegung chinesischer Studenten gebrandmarkt hatte, ehe die Panzer rollten.

Die Unterwanderung der Polizeikräfte ist aber offenbar nicht das einzige Mittel, das Peking einsetzt. Schlägertrupps ziehen seit Juli immer wieder durch die Stadt und prügeln mit Eisenstangen, Knüppeln oder blanken Fäusten auf Protestierende ein. Dass sich diese Männer auf Pekings Geheiß durch Hongkong bewegen, halten Beobachter für sehr wahrscheinlich. Die Demonstranten behaupten zudem, dass gewalttätige Provokationen gegen Unbeteiligte oder Vandalismus gezielt von Pro-Peking-Gruppen durchgeführt würden, um die Demonstranten in ein schlechtes Licht zu rücken. Umso schwieriger ist es, Vorfälle wie jenen, bei dem der Mann angezündet wurde, eindeutig zuzuweisen. Waren es Studenten? Oder waren es chinesische Soldaten, die sich als solche ausgaben, um die Bevölkerung gegen sie aufzubringen? Das chinesische Außenministerium klagte jedenfalls öffentlich, dass Amerikaner und Briten dieses Attentat nicht öffentlich verurteilten.

Quelle: ntv.de

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