30.000 Rubel nach Kriegs-Protest TV-Mitarbeiterin in Moskau zu Geldstrafe verurteilt
15.03.2022, 16:49 Uhr
Während schon das Wort "Krieg" in den russischen Medien streng verboten ist, sprengt eine TV-Mitarbeiterin mit ihrem Putin-Protest die Abendnachrichten. Bis zum Nachmittag ist sie verschollen, nun steht sie vor Gericht. Die Justiz lässt es bei einer Geldstrafe, vorerst.
Die russische Demonstrantin mit Anti-Kriegs-Plakat, Marina Owssjannikowa, ist von einem Gericht in Moskau zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel (226 Euro) verurteilt und zunächst auf freien Fuß gesetzt worden. Das meldete das Bürgerrechtsportal OWD-Info am Nachmittag. Wie das Bezirksgericht Ostankino in Moskau auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP mitteilte, wurde die Angeklagte nicht nach dem neuen russischen Mediengesetz angeklagt, das bis zu 15 Jahre Haft für die Verbreitung von "Falschnachrichten" über das Militär vorsieht.
Die Angeklagte bekannte sich vor Gericht nicht schuldig. "Ich erkenne meine Schuld nicht an", sagte Owssjannikowa im Gerichtssaal, wie eine Journalistin der Nachrichtenagentur AFP berichtete. "Ich bin überzeugt, dass Russland ein Verbrechen begeht", sagte sie weiter. Russland sei "der Aggressor in der Ukraine", fügte sie hinzu. Nach Angaben ihres Anwalts drohen ihr aber weiterhin ein Strafverfahren und eine lange Haftstrafe. Bei der Gerichtsanhörung ging es demnach nicht um Owssjannikowas Protest im Fernsehen, sondern um eine vorab aufgezeichnete Videobotschaft, in der sie ihre Beweggründe für die Aktion darlegte und zu Protesten gegen die russische Militäroffensive aufrief.
"14 Stunden lang verhört"
Zunächst gab es stundenlang kein Lebenszeichen der TV-Mitarbeiterin. Am Nachmittag dann veröffentlichte der prominente russische Journalist Alexej Wenediktow in seinem Telegram-Kanal ein Foto von Owssjannikowa mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude. Zuvor hatte ihr Anwalt Daniil Berman mitgeteilt, Owssjannikowa, sei verschwunden. Berman sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass er keinen Kontakt zu seiner Mandantin habe und nicht wüsste, wo genau sie festgehalten werde. Auch ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell erklärte, die Frau, die während einer russischen Nachrichtensendung gegen Moskaus Militäreinsatz in der Ukraine protestiert hatte, sei "verschwunden". Ihre Anwälte dürfen sie nicht kontaktieren. Der Sprecher bezeichnete die Aktion der Demonstrantin als "mutig".
Ihr Leben habe sich "sehr verändert", sagte Owssjannikowa nach der Anhörung. "Noch wichtiger ist, dass es jetzt einen neuen Trend gibt: Andere Journalisten folgen meinem Beispiel." Die Mutter zweier Kinder sagte in einer kurzen Erklärung vor der Presse, sie habe fast zwei Tage nicht geschlafen. Sie sei 14 Stunden verhört worden. "Ich durfte nicht mit meinen Angehörigen sprechen und hatte keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand, weshalb ich mich in einer sehr schwierigen Lage befand."
"Leider Propaganda für den Kreml gemacht"
Anwalt Berman sagte AFP, er befürchte, dass seine Mandantin nach dem neuen russischen Mediengesetz bestraft werden könnte, das bis zu 15 Jahre Haft für die Verbreitung von "Falschnachrichten" über das Militär vorsieht. "Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Behörden daran ein Exempel statuieren, um andere Protestierende zum Schweigen zu bringen", fügte er hinzu.
Owssjannikowa war während der Sendung "Wremja" des Senders Perwy Kanal am Montagabend plötzlich hinter der Nachrichtensprecherin Jekaterina Andrejewa aufgetaucht und hatte ein Schild mit der Aufschrift "Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen" in die Kamera gehalten. Die Demonstrantin, selbst eine Mitarbeiterin des Senders, rief außerdem "Stoppt den Krieg!", bevor die Live-Übertragung abbrach und ein Bericht über Krankenhäuser ausgestrahlt wurde.
Perwy Kanal (deutsch: Ester Kanal) ist der wichtigste Fernsehsender des Landes. Die Nachrichtensendung "Wremja" wird seit Jahrzehnten um 21.00 Uhr ausgestrahlt und ist vergleichbar mit der Tagesschau. In einem zuvor aufgezeichneten Video, das von OWD-Info veröffentlicht wurde, erklärte Owssjannikowa, dass ihr Vater Ukrainer und ihre Mutter Russin sei. Deshalb ertrage sie es nicht, die beiden Länder verfeindet zu sehen. "Leider habe ich in den vergangenen Jahren für Perwy Kanal gearbeitet und Propaganda für den Kreml gemacht. Dafür schäme ich mich heute sehr", sagte sie.
Nawalny-Stiftung würde Geldstrafe bezahlen
"Wir haben 2014 geschwiegen, als das alles erst begann", sagte sie weiter und bezog sich damit offenbar auf die Übernahme der Krim durch Moskau und die Unterstützung der pro-russischen Separatisten in der Ukraine. "Wir sind nicht zu Protesten gegangen, als der Kreml (den mittlerweile inhaftierten Oppositionellen Alexej) Nawalny vergiftete. Wir haben dieses menschenfeindliche Regime einfach schweigend beobachtet. Und jetzt hat sich die ganze Welt von uns abgewandt."
Ein Video der Protestaktion während der Nachrichtensendung verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den Online-Netzwerken. Zahlreiche Internetnutzer lobten den "außergewöhnlichen Mut" der Frau. Leonid Wolkow, der Nawalny nahe steht, kündigte auf Twitter an, die Oppositionsbewegung sei "bereit, jede Geldstrafe zu zahlen", die gegen Owssjannikowa verhängt werde.
Quelle: ntv.de, mau/AFP