"Erdogan reißt alle Brücken ab" Türkisches Weihnachtsverbot empört deutsche Politik
18.12.2016, 16:13 Uhr
Die ersten deutschen Lehrer wurden 1915 an das Istanbul Lisesi entsandt.
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Keine Weihnachtslieder mehr an einer von Deutschland mitfinanzierten Schule in Istanbul? Bundestagsabgeordnete sind sauer. Von den Linken bis zur CSU fordern Politiker Konsequenzen.
Die Bundesregierung hat mit Unverständnis auf das Weihnachts-Verbot an einer von Deutschland mitfinanzierten Schule in der Türkei reagiert. "Wir verstehen die überraschende Entscheidung der Leitung des Istanbul Lisesi nicht", hieß es aus dem Auswärtigen Amt in Berlin. "Es ist sehr schade, dass die gute Tradition des vorweihnachtlichen interkulturellen Austausches an einer Schule mit langer deutsch-türkischer Tradition in diesem Jahr ausgesetzt wurde. Wir nehmen das natürlich mit unseren türkischen Gesprächspartnern auf."

Mit dieser Mail teilte die Leitung des Istanbul Lisesi dem Kollegium mit, das Weihnachten künftig tabu ist.
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Weniger diplomatisch reagierten Abgeordnete. Der Religionsbeauftragte der Unionsfraktion, Franz Josef Jung, nannte das Vorgehen "vollkommen inakzeptabel". "Wenn die Bundesrepublik Deutschland die Lehrer an diesen Schulen finanziert, dann kann sie auch die Inhalte des Unterrichts bestimmen", sagte der CDU-Politiker. "Darauf muss die Bundesregierung in Ankara dringen."
Innenstaatssekretär Günter Krings zweifelte am Sinn der deutschen Unterstützung für das Istanbul Lisesi. "Das zeigt für mich, dass es dort offenbar kein Interesse an einem offenen kulturellen Austausch mehr gibt", sagte der CDU-Politiker der "Rheinischen Post". "Deshalb muss man sich fragen, welchen Sinn eine solche deutsch-türkische Schule dann noch hat."
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sprach von einem Verstoß gegen die Religionsfreiheit. Das Vorgehen sei "ein erneuter Beweis, dass die Erdogan-Türkei alle Brücken nach Europa abreißt", sagte Scheuer den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der türkische Staat und die Schulleitung müssten "jetzt sofort Klarheit schaffen, ob man die Zusammenarbeit will oder harte Konsequenzen riskieren möchte", warnte Scheuer.
Ohne Weihnachten kein deutsches Geld
Auch die Grünen forderten Konsequenzen. "Ein Verbot des Themas Weihnachten an Schulen ist nicht hinnehmbar, erst recht, wenn sie von Deutschland mitfinanziert werden", sagte der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Omid Nouripour. "Die Bundesregierung muss dies Ankara gegenüber eindeutig klarmachen. Wenn die türkische Regierung darauf nicht eingeht, dann muss die Finanzierung für die Schule eingestellt werden."

Das Istanbul Lisesi ist ein staatliches türkisches Gymnasium, das von der Bundesrepublik als deutsche Auslandsschule anerkannt wird.
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Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen erklärte, die Bundesregierung dürfe es nicht finanziell fördern, wenn in der "islamistischen Diktatur" von Präsident Recep Tayyip Erdogan "selbst die Erwähnung von Weihnachten verboten" werde. "Es dürfen keine deutschen Steuergelder zur Unterstützung von Institutionen unter der Kontrolle Erdogans mehr verausgabt werden", forderte Dagdelen.
Das Istanbul Lisesi – zu Deutsch Istanbuler Gymnasium – ist eine türkische Schule mit deutscher Abteilung. Die Einrichtung, die als Eliteschule gilt, wird ausschließlich von türkischen Schülern besucht, ist aber eine anerkannte deutsche Auslandsschule. Sie ist nicht zu verwechseln mit dem Alman Lisesi, einer weiteren traditionsreichen deutschen Auslandsschule in Istanbul, die auch deutsche Kinder besuchen.
Laut Selbstdarstellung auf der Homepage der Schule kann das Istanbul Lisesi "nur von den besten Schülerinnen und Schülern der Türkei besucht werden". Die derzeit 35 deutschen Lehrer des Istanbul Lisesi werden von der Bundesrepublik entsandt und aus Steuermitteln bezahlt, was auf eine jährliche finanzielle Förderung in Millionenhöhe hinausläuft.
"Nichts mehr über Weihnachtsbräuche"
Am Wochenende war bekannt geworden, dass die türkischen Behörden das Thema Weihnachten aus dem Unterricht der Schule verbannt haben. "Es gilt nach Mitteilung der türkischen Schulleitung eben, dass ab sofort nichts mehr über Weihnachtsbräuche und über das christliche Fest im Unterricht mitgeteilt, erarbeitet sowie gesungen wird", heißt es nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur in einer E-Mail, die die Leitung der deutschen Abteilung des Istanbul Lisesi an das Kollegium schickte.
Grundlage der personellen Unterstützung durch die Bundesrepublik ist ein Zusatzvertrag zum Kulturabkommen zwischen Berlin und Ankara, wonach Deutschland bis zu 80 deutsche Lehrer an bestimmte türkische Schulen entsendet. Das deutsche Kollegium der Schule hat eine eigene Abteilungsleitung, die aber der türkischen Schulleitung untersteht. Das türkische Bildungsministerium äußerte sich auf Anfrage nicht zu dem Vorgang.
Kritiker werfen der AKP-Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan vor, traditionell säkular geprägte Schulen wie das Istanbul Lisesi zunehmend auf ihren islamisch-konservativen Kurs zu zwingen. Der Deutschen Presse-Agentur zufolge herrscht im deutschen Lehrerkollegium schon seit langem erhebliche Verunsicherung, was den Kurs der Schule betrifft. Diese Verunsicherung wurde durch die jüngste Anordnung zum Thema Weihnachten nun weiter verschärft.
Das Weihnachts-Verbot an der Schule dürfte nur schwerlich in Einklang mit dem Kulturabkommen zu bringen sein. Der Vertrag besagt in Artikel 12: "Die Vertragsparteien werden bemüht sein, sich gegenseitig dabei zu unterstützen, ihren Völkern die Kenntnis der Kulturgüter des anderen Landes zu vermitteln."
Quelle: ntv.de, hvo/dpa/AFP