
Trump oder Biden - wer macht das Rennen? Es kann gut sein, dass wir in der kommenden Nacht noch nicht mehr wissen.
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Wegen der Corona-Pandemie geben so viele US-Amerikaner wie nie zuvor ihre Stimme per Brief ab. Das könnte dazu führen, dass es in der Wahlnacht noch keine Entscheidung gibt, Trump aber wie der Sieger aussieht. Dann könnte die "Blaue Welle" heranrollen.
Für Donald Trump naht die Stunde der Wahrheit. Wird er es wieder schaffen? Entgegen allen Umfragen, aller Wahrscheinlichkeit die Wahl um das Präsidentenamt gewinnen? Vieles deutet darauf hin, dass er diesmal scheitert. Sein Herausforderer Joe Biden liegt in den Umfragen klar vorn und er selbst hat in den vergangenen Wochen wenig getan, um daran etwas zu ändern. Aber es ist Trump. Der Teflon-Mann, an dem alles abzuperlen scheint. Nicht einmal sein erratisches Verhalten in der Corona-Krise hat seine Beliebtheitswerte dauerhaft unter 40 Prozent gedrückt. Und wenn wir eines 2016 gelernt haben, dann, dass Umfragen sich irren können.
Nun also ist der Wahltag endlich da. Doch es kann gut sein, dass die Demokraten, die Amerikaner und die ziemlich gebannt zuschauende Welt heute Nacht noch keine Gewissheit darüber bekommen werden, wer das Rennen gemacht hat. Eine Entscheidung könnte es erst in den kommenden Tagen geben - selbst wenn Biden das Rennen am Ende klar gewinnen sollte. Das liegt an der Briefwahl, die wegen der Corona-Pandemie in diesem Wahljahr besonders beliebt ist, und der zu erwartenden damit verbundenen "Blauen Welle".
Allein in den neun umkämpften Staaten North Carolina, Iowa, Georgia, Florida, Pennsylvania, Ohio, Michigan, Minnesota und Wisconsin wurden gut 20 Millionen Briefwahlunterlagen angefordert, was fast einem Drittel aller registrierten Wähler entspricht. Bei den Vorwahlen der Demokraten war es laut den Statistikern vom Forschungszentrum Pew schon so, dass die Hälfte der Stimmen per Briefwahl abgegeben wurde - es waren 26,6 Millionen von 53 Millionen insgesamt.
Tagelange Verzögerungen möglich
Die Briefwahlstimmen für die Präsidentschaftswahl werden oftmals erst nach Wahlende ausgezählt, was die Bekanntgabe des Endergebnisses tagelang verzögern kann. So rechnet man etwa in Michigan damit, erst am 6. November, also Freitag, das Endergebnis bekannt geben zu können, wie die "New York Times" berichtete. Auch im möglicherweise wahlentscheidende Pennsylvania beginnt die Auszählung der Briefwahlstimmen erst an diesem Dienstag. Außerdem dürfen noch Briefwahlstimmen gezählt werden, die bis Freitag ankommen, sofern sie rechtzeitig abgeschickt wurden. Da man davon ausgeht, dass überwiegend Demokraten-Wähler die Briefwahl nutzen, könnte es sein, dass in der Wahlnacht die Republikaner und Trump wie die Sieger aussehen, dann aber in den folgenden Tagen die Nadel mehr und mehr in Richtung der Demokraten ausschlägt - dann also, wenn all die Briefwahlstimmen der Biden-Anhänger ausgezählt werden. Da die Parteifarbe der Demokraten Blau ist, spricht man von einer "Blauen Welle".
Von der Blauen Welle war schon 2018 die Rede, als bei bundesweiten Wahlen (den "Midterm Elections") sämtliche Sitze des Repräsentantenhauses und 35 Sitze im Senat zur Wahl standen. Die Demokraten gewannen 41 Parlamentssitze, verloren aber 2 im Senat. Dennoch war dies ein großer Erfolg für die Oppositionspartei, weil sie die Mehrheit im Repräsentantenhaus von den Republikanern eroberten und daher effizienter Oppositionspolitik machen konnten. Und natürlich wurde der Erfolg auch als Schritt eins der Mission gesehen, das Weiße Haus zurückzuerobern.
Dabei zeigte sich genau das beschriebene Szenario. In der Wahlnacht selbst sah es noch gar nicht nach einem großen Erfolg der Demokraten aus. Eher nach dem Gegenteil: So zeichneten sich noch nicht die großen Gewinne im Repräsentantenhaus ab und die Demokraten drohten vier statt nur zwei Sitze im Senat zu verlieren. Doch dann wurden nach und nach die Briefwahlstimmen ausgezählt und die blauen Balken der Demokraten wuchsen in den Diagrammen immer weiter in die Höhe. Eine Blaue Welle, die sich nach und nach aufbaute. Der Anteil der Briefwähler lag laut Pew bei dieser Wahl in 37 Bundesstaaten insgesamt bei 27,4 Prozent.
Trump fürchtet die Blaue Welle
Diese nachträgliche Blaue Welle dürfte auch der Grund sein, warum Präsident Trump in den vergangenen Monaten so gegen die Briefwahl wetterte. Er behauptete, sie lade zum Wahlbetrug ein, sprach davon, dass Stimmen der Republikaner einfach weggeworfen würden. Beweise legte er wie üblich nicht vor. In den US-Medien heißt es dazu stets, dass die Briefwahl sicher sei und selbst wenn es hier und da Probleme geben möge, das Wahlergebnis nicht verfälscht werde.
Trump will, dass das Ergebnis der Wahlnacht gilt - "so wie früher", wie er sagt. Zwar war es auch bei vergangenen Wahlen so, dass teils erst nach Tagen das Endergebnis ausgezählt war, doch erklärten die Medien schon vorher einen Sieger. Wenn sich ein klares Ergebnis andeutet, ist auch nichts dagegen einzuwenden. Wird es aber knapp, kann man nicht einfach denjenigen zum Gewinner erklären, der gerade einen kleinen Vorsprung hat. Dass eine Wahl erst entschieden ist, wenn alle Stimmen gezählt sind, ist das vielleicht wichtigste demokratische Grundprinzip. Trump erwartet wohl, in den umkämpften Bundesstaaten am Wahlabend vorn zu liegen. Würde das Rennen am Wahlabend quasi abgebrochen, wären seine Siegchancen größer.
Auf diese Weise versucht Trump Zweifel an der Legitimität der Wahl zu säen und eine mögliche Niederlage als Betrug zu verkaufen. So wäre die Wahl immerhin nicht seine eigene Schuld. Es ist aber nicht zu erwarten, dass er wirklich damit durchkommt und sich zu einer Art Diktator aufschwingt, der einfach die Auszählung sämtlicher Wählerstimmen unterdrückt. Das ist dann doch eine rote Linie, die seine republikanische Partei gezogen hat, wie etwa deren mächtiger Senats-Führer Mitch McConnell deutlich gemacht hat. Auch das Militär steht in diesem Punkt sicher nicht an der Seite Trumps. Kurz, es erscheint unvorstellbar, dass Trump damit davonkäme. Dass darüber geredet wird, ist freilich vielsagend genug. Sollte es in der kommenden Wahlnacht noch keine Entscheidung geben, wird der Präsident aber kaum stillhalten. Und vielleicht das letzte Mal richtig Krawall machen.
Quelle: ntv.de