"Systematische Kriegsverbrechen" Ukraine: Weiterer Bürgermeister verschleppt
13.03.2022, 15:32 Uhr
Der ukrainische Präsident Selenskyj drohte der von Russland eingesetzten Statthalterin in Melitopol mit dem Tod.
(Foto: picture alliance/dpa/Ukrinform)
In der ukrainischen Stadt Melitopol wird der Bürgermeister entführt und von einer prorussischen Statthalterin ersetzt. Kurz darauf verschwindet in der Südukraine ein weiterer Bürgermeister. Beobachter fürchten, dass Russland auf diese Art in weiteren Gebieten die Verwaltung auswechseln wird.
In der Südukraine ist nach Behördenangaben erneut ein Bürgermeister von russischen Truppen verschleppt worden. "Kriegsverbrechen werden immer systematischer", schreibt der Chef der Militärverwaltung des Gebiets Saporischschja, Olexander Staruch, bei Facebook. "Der Bürgermeister von Dniprorudne, Jewhenij Matwjejew, wurde entführt." Dniprorudne ist eine Kleinstadt mit knapp 20.000 Einwohner am Fluss Dnipro.
Zuvor hatte Kiew bereits mitgeteilt, dass der Bürgermeister der Stadt Melitopol, Iwan Fedorow, verschleppt wurde. An seiner Stelle setzten die russischen Truppen eine moskauhörige Politikerin als Statthalterin ein. Die prorussische Abgeordnete Halyna Daniltschenko rief die Einwohner der südukrainischen Stadt auf, sich "an die neue Realität" anzupassen. Zugleich verlangte sie, die Einwohner sollten nicht mehr gegen die russischen Besatzungstruppen demonstrieren. Sie wolle ein "Komitee der Volksdeputierten" schaffen, das die Stadt mit knapp 150.000 Einwohnern leitet.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte Fedorows Freilassung, in Melitopol demonstrierten mehrere Hundert Einwohner für das gewählte Stadtoberhaupt. Selenskyj drohte Statthalterin Daniltschenko mit dem Tod. Örtliche Medien bezeichneten die Abgeordnete in Anlehnung an die SS-Besatzungstruppen im Zweiten Weltkrieg als "Gauleiterin im Rock".
Beobachter schließen nicht aus, dass Russland unter dem Vorwand einer "Entnazifizierung" der Ukraine auch in anderen eroberten Gebieten die Verwaltung auswechselt. Auch in der eroberten südukrainischen Stadt Cherson gibt es offensichtlich Bestrebungen, die russische Besatzung abzusichern. Wie Selenskyj sagte, strebt Russland die Bildung einer "Volksrepublik Cherson" an - demnach wäre ein ähnliches Modell wie in den als unabhängig anerkannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk denkbar. Der Kreml behauptet, in Kiew hätten "Nazis" das Sagen. Der ukrainische Präsident hat jüdische Wurzeln.
EU-Chefdiplomat Josep Borrell verurteilte die Verschleppung der beiden Bürgermeister scharf. "Dies ist ein weiterer Angriff auf demokratische Institutionen in der Ukraine und ein Versuch, illegitime alternative Regierungsstrukturen in einem souveränen Land zu errichten", schrieb der EU-Außenbeauftragte auf Twitter.
Quelle: ntv.de, chf/dpa