Stärker ausgestattet als Polizei Waffenboom in Brasilien sorgt vor Wahlen für Nervosität
21.09.2022, 09:34 Uhr
Brasilien erlebt unter Präsident Bolsonaro eine Waffenschwemme. Die Zahl der Besitzer von Pistolen und Gewehren verfünffacht sich. Vor den Wahlen ist das ein heikles Thema, denn egal wie die Wahl ausgeht, befürchten viele, dass Hardliner im Namen der Politik zu den Waffen greifen könnten.
Elitusalem Gomes Freitas mag den Geruch von Schießpulver, wenn er mit seinem Gewehr in einem Schießclub in Rio de Janeiro ins Schwarze getroffen hat - diese boomen seit der Amtsübernahme von Präsident Jair Bolsonaro Anfang 2019. Zufrieden wiederholt Ex-Polizist Gomes Freitas das Motto des rechtsradikalen Präsidenten: "Ein bewaffnetes Volk wird nie versklavt werden".
Unter Waffennarr Bolsonaro ist die Zahl der Sammler, Sportschützen und Jäger von 117.000 im Jahr 2019 auf über 673.000 gestiegen. Mit seinen Erlassen hat der Staatschef den Zugang zu Schusswaffen massiv erleichtert: Inzwischen gibt fast doppelt so viele private Waffenbesitzer wie Polizisten. Manche Brasilianer macht das vor der Präsidentschaftswahl am 2. Oktober in ihrem tief gespaltenen Land nervös.

"Tropen-Trump" Bolsonaro hat in den letzten Jahren den Zugang zu Waffen deutlich erleichtert.
(Foto: IMAGO/UPI Photo)
"Heute kann ein Normalbürger Waffen kaufen, die stärker sind als die der Polizei", sagt der Experte Bruno Langeani, der ein Buch über Schusswaffen in Brasilien verfasst hat. "Jäger, Sportschützen und Sammler können bis zu 60 Waffen pro Nase kaufen, darunter bis zu 30 Sturmgewehre".
Nach Schätzung der regierungsunabhängigen Organisation Brasilianisches Sicherheitsforum sind in dem südamerikanischen Land mit seinen 214 Millionen Einwohnern rund 4,4 Millionen Waffen im Umlauf, wobei bei einem Drittel die Waffenscheine abgelaufen sind. Dieser Bestand werde noch zu einem "Fluch für künftige Generationen" warnt Langeani.
Waffen als "Garant für Freiheit"?
Aus Angst vor gewalttätigen Ausschreitungen bei der Präsidentschaftswahl hat der Oberste Gerichtshof im Vorfeld den Kauf von Waffen erschwert, das Oberste Wahlgericht verbot das Mitbringen von Waffen in die Wahllokale. Wie Bolsonaro ist auch Gomes Freitas kein Fan der Wahlbehörde. Der Ex-Polizist glaubt Bolsonaros unbewiesenen Unterstellungen, wonach sie die Wahl im Oktober über die Wahlmaschinen manipulieren könnte.

Bei einer Wahlniederlage könnten vor allem Bolsonaro-Anhänger zu den Waffen greifen.
(Foto: imago images/Agencia EFE)
Nach eingehender Inspektion der von seinen Kugeln durchlöcherten weißen Silhouette erklärt sich der 42-Jährige bereit, Brasiliens "Freiheit" notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen. Er könne nicht zulassen, dass ein halbes Dutzend Richter "gegen den Willen des Volkes über das Schicksal unseres Landes entscheidet", sagt er. Das Recht Waffen zu tragen sei deshalb auch "Garant für unsere Freiheit und die Verteidigung unserer Souveränität gegen den inneren Feind".
Kapitol-Sturm im Hinterkopf
Laut Sicherheitsexperte Langeani sind Hardliner wie Gomes Freitas, die bereit sind, im Namen der Politik zu den Waffen zu greifen, in Brasilien in der Minderheit. Doch warnt er, dass auch eine durch Verschwörungstheorien "radikalisierte Minderheit großen Schaden anrichten" könne. Dabei verweist er auf den Sturm auf das Kapitol in Washington im Januar 2021.
Seit 2019 wurden nach Armeeangaben rund 1.000 Schießklubs in Brasilien gegründet. Zu ihnen gehört auch der Club Mil Armas (1000 Waffen), in dem Gomes Freitas regelmäßig seine Schießübungen abhält. Geleitet wird der Club von dem Ex-Polizisten Marcelo Costa, seinen Söhnen und seiner Frau, die als Psychologin die Genehmigung der Behörden bekommen hat, neue Mitglieder zu beurteilen.
Interessierte können im Klub Waffen leihen - oder direkt kaufen, wenn sie wollen. "Es ist wie ein Einkaufszentrum, wir haben alles", sagt Marcelo Costa stolz. Er bietet Käufern sogar zinslose Ratenzahlung für die bis zu 3880 Euro teuren Modelle an.
Quelle: ntv.de, Eugenia Logiuratto, AFP