Wartezeiten bis zu zwei Stunden Wahl-Chaos in Berlin
26.09.2021, 16:16 Uhr
Eis essen mit den Kindern und schnell am Wahllokal vorbei. In Berlin keine gute Idee. Falsche Wahlzettel, fehlende Wahlhelfer, Berlin-Marathon und parallele Abgeordnetenhaus-Wahlen: es dauert. Wer bis 18 Uhr in der Schlange steht, kann seine Stimme noch abgeben.
Bilder, die man aus Deutschland nicht gewohnt ist: Hunderte Menschen stehen vor einem Berliner Wahllokal an, um ihre Stimme abgeben zu können. Und dies betrifft nicht nur ein Wahllokal: Aus vielen Bezirken melden Wählerinnen und Wähler, dass sie teilweise mehrere Stunden warten mussten, bis sie ihre Kreuze machen konnten. Bundeswahlleiter Georg Thiel zeigte sich nicht begeistert von den Zuständen in Berlin. "Ganz klar, das sollte nicht vorkommen", sagte Thiel bei ntv. Die Abläufe seien eigentlich penibel durchgesprochen und eingeübt. Niemand sollte stundenlang warten müssen, bis er seine Stimme abgeben kann, so Thiel weiter.
Die Berliner Landeswahlleitung riet Wählenden, mögliche Wartezeiten bei der Planung ihrer Stimmabgabe in den letzten Stunden des Wahltages zu berücksichtigen. Bis zum Mittag hatten 27,4 Prozent aller Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Damit lag die Wahlbeteiligung in Berlin etwa so hoch wie bei der Bundestagswahl 2017, als es um die Uhrzeit 27,2 Prozent waren, wie die Landeswahlleiterin mitteilte. Zu befürchten ist allerdings, wie es aus manchen Wahlschlangen berichtet wird, dass sich genervte Bürgerinnen und Bürger wieder auf den Heimweg machen oder ihren Sonntagsspaziergang fortsetzen - ohne die Stimme abgegeben zu haben.
Falsche Wahlunterlagen in einigen Wahllokalen
In einigen der rund 2000 Berliner Wahllokalen kommt es zu den Verzögerungen, weil vor Ort die falschen Wahlunterlagen parat lagen. Betroffen waren Stimmzettel aus den Bezirken Friedrichshain/Kreuzberg und Charlottenburg/Wilmersdorf. In den Wahllokalen 404, 407 und 408 in der Spartacus Grundschule in Friedrichshain lagen nach Angaben aus dem Wahllokal für die Abgeordnetenhauswahl nur Stimmzettel aus Charlottenburg/Wilmersdorf vor.
Bis die richtigen Stimmzettel nachgeliefert wurden, mussten die Wahllokale zeitweise geschlossen werden. Auch anschließend ging es nur mit Verzögerungen weiter. Zudem mussten einige Stimmabgaben auf falschen Stimmzetteln für ungültig erklärt werden. Im Wahllokal Friedrichshain 423 musste der Wahlvorgang nach ntv.de-Informationen zwischendurch gestoppt werden, weil einer der Stimmzettel ausgegangen war. Am Morgen waren auch dort offenbar zuerst die falschen Zettel geliefert und dann zu wenig richtige nachgeliefert worden.
Wahlhelfer sagen reihenweise ab
Ein weiteres Problem, das offenbar zu den extrem langen Wartezeiten führt: Seit Tagen sagen viele Wahlhelfer ab - mit einer Krankmeldung. "Wir haben jetzt allein heute circa 70 Absagen bekommen, in den letzten Tagen 200 bis 250. Teilweise von Menschen, die wir einen Tag vorher persönlich angerufen haben. Die sagen jetzt schon wieder ab", sagte der Wahlamtsleiter im Berliner Bezirk Pankow, Marc Albrecht am Samstag. Und auch am heutigen Sonntag sagten noch Dutzende Wahlhelferinnen und Wahlhelfer spontan ab. In Stadtteil Lichtenberg konnten daher in einem Wahllokal nur zwei, statt der geplanten vier Wahlräume aufmachen. Die Folge: Eine lange Schlange. In Spandau erschien ein Wahlbüroleiter nicht, das Wählerverzeichnis musste daraufhin von der Polizei abgeholt werden.
Ein möglicher Hintergrund für die vielen Absagen: Berlinerinnen und Berliner, die sich im Frühjahr freiwillig als Wahlhelferin oder Wahlhelfer meldeten, wurde eine Corona-Schutzimpfung in Aussicht gestellt. Zu einem Zeitpunkt also, als der Impfstoff noch Mangelware und Impftermine eine Rarität waren. Inzwischen sind aber alle Menschen, die es wollen, geimpft. Manchen Freiwilligen dürfte das, besonders angesichts des schönen Wetters, zu einem Sinneswandel veranlasst haben.
Für Wahlhelferinnen und Wahlhelfer, die unentschuldigt fehlen, könnte es übrigens teuer werden. Ihnen droht ein Ordnungswidrigkeitsverfahren. "Wir können uns das schwerlich erklären und müssen alles tun, um die Wahlen sicherzustellen", sagt Albrecht.
Es gibt noch weitere Gründe für den ungewöhnlichen Wahlverlauf in der Hauptstadt: Berlinerinnen und Berliner geben heute nicht nur ihre Stimmen für die Bundestagswahl ab, sondern wählen auch das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen. Außerdem stimmen sie über den Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" ab. Nach Angaben der Landeswahlleitung gab es in Berlin noch nie derart viele Abstimmungen an einem Tag. Das bedeutet, dass die Wahlunterlagen recht umfangreich sind und auch der Wahlvorgang erheblich länger dauert - besonders dann, wenn sich Wählerinnen und Wähler erst in der Wahlkabine mit den verschiedenen und teilweise sehr langen Wahlzetteln vertraut machen und auch erst in der Wahlkabine ihre endgültige Wahlentscheidung treffen.
Unbedingt in der Schlange ausharren
Zu allem Überfluss findet heute auch noch der Berlin-Marathon statt. In der Berliner Innenstadt und entlang der Laufstrecke sind zahlreiche Straßen gesperrt, am Vormittag war es schwierig, die Route der Läuferinnen und Läufer zu passieren. Wegen des parallel stattfindenden Marathons sind die Straßen zu Wahllokalen vielerorts ebenfalls gesperrt, sodass Wahlzettel-Nachschub nicht mehr durchkommt.
Bis 18 Uhr ist die Stimmabgabe möglich, dann gibt der Wahlvorsteher den Ablauf der Wahlzeit bekannt. Danach werden laut der Bundeswahlordnung nur noch die Wähler zur Stimmabgabe zugelassen, die vor Ablauf der Wahlzeit erschienen sind und sich im Wahlraum oder aus Platzgründen davor befanden. Haben alle diese Wählerinnen und Wähler ihre Stimme abgegeben, erklärt der Wahlvorsteher die Wahlhandlung für geschlossen. Erst dann kann mit der Auszählung begonnen werden.
Feuerwehreinsatz am Türschloss
Kurioser Wahlsplitter aus Berlin: Nur mithilfe der Feuerwehr konnten Wählerinnen und Wähler zu den Wahlkabinen und zur Abstimmung in zwei Wahllokalen im Gebäude der Beuth Hochschule für Technik in der Luxemburger Straße in Berlin-Mitte gelangen. Wegen Problemen mit der elektronischen Schließanlage kam das Wahlteam nicht rechtzeitig wie geplant in das Gebäude der Mensa Nord des Studierendenwerkes mit den Wahllokalen 102 und 106. "Wir mussten die Feuerwehr rufen, die mit dem Notschlüssel das Gebäude öffnen konnte", sagt Wahlvorsteher Alexander Radebach. In der Folge konnten die Wahllokale erst mit Verspätung öffnen. Auch dadurch habe sich eine Schlange von Wählerinnen und Wählern gebildet. Sie mussten etwas warten, bevor alles wieder regulär lief. Ihm sei kein Fall bekannt von jemandem, der deswegen nicht wählen konnte. "Lösungen gibt es", sagt Radebach.
Quelle: ntv.de, tar