Politik

Odessa unter Beschuss "Weihnachten haben die Russen uns geklaut"

Odessa ist immer ohne Strom und Wasser. Erst gerade gab es einen dreitägigen Blackout.

Odessa ist immer ohne Strom und Wasser. Erst gerade gab es einen dreitägigen Blackout.

(Foto: picture alliance/dpa/Ukrinform)

Fast nichts deutet in Odessa auf die bevorstehenden Festtage hin. Die Menschen müssen schauen, wie sie mit den tagelangen Blackouts zurechtkommen. Wie das geht, erzählt die ukrainische Deutschlehrerin Karina Beigelzimer.

Weihnachten ist dieses Jahr in Odessa kein Thema. Weihnachtsmärkte, Lichterketten, geschmückte Geschäfte gibt es kaum. Genauso wie es keine Weihnachtsstimmung gibt. Weihnachten haben uns die Russen geklaut. Für die Kinder hat die Stadt zumindest schon vor Tagen die Residenz des Heiligen Nikolaus geöffnet. Hier können die Kleinen Briefe an den Nikolaus, aber auch an die Soldaten an der Front oder an Kinder in befreiten Städten schreiben. Wer weiß, vielleicht wird zumindest für sie zum 25. Dezember und zum 7. Januar - wir feiern ja das katholische und das orthodoxe Fest - etwas veranstaltet. Wir werden sehen.

Im Moment haben wir ganz andere Sorgen. Immer wieder sind wir ohne Strom und ohne Wasser. Gerade kommen wir aus einem dreitägigen Blackout. Ein Freund hat mir vor ein paar Tagen eine LED-Lichterkette geschenkt, die normalerweise für den Weihnachtsbaum ist, jetzt aber einfach als Beleuchtung dient. Ich kann mich außerdem glücklich schätzen, weil bei mir die Heizung funktioniert, bei vielen meiner Freunde fällt auch diese aus. Das ist bitter, denn mittlerweile ist es kalt geworden.

Stromausfälle dauern zwar nicht immer mehrere Tage, dafür kommen sie häufig. Jetzt ist es zum Beispiel halb neun Uhr abends und wir haben seit zehn Uhr morgens kein Licht. Gut, dass ich gestern Nacht den Computer aufgeladen habe und so heute Morgen unterrichten konnte. Wer weiß, ob wir heute wieder Strom bekommen.

Leben im Zweigeschwindigkeitenmodus

Wenn wir ohne Strom sind und es dunkel wird, verwenden wir Kerzen und aufladbare Taschenlampen. Bei einem tagelangen Blackout sind aber irgendwann auch die Akkus der Leuchten und sogar die von guten Powerbanks leer. Ältere Menschen leiden besonders, viele kennen sich mit diesen Speichergeräten gar nicht aus und außerdem sind sie nicht für alle erschwinglich.

Wir leben gerade in einem Modus, in dem wir abwechselnd beschleunigen und entschleunigen. Sobald es Strom gibt, laden wir alle Geräte - Computer, Handys, Taschenlampen, Powerbanks - auf. Man wäscht und trocknet sich schnell die Haare, schaltet die Waschmaschine ein, bügelt und versucht, das Wichtigste im Eiltempo zu erledigen.

Karina Beigelzimer ist Deutschlehrerin an einer Schule mit erweitertem Deutschunterricht in Odessa.

Karina Beigelzimer ist Deutschlehrerin an einer Schule mit erweitertem Deutschunterricht in Odessa.

(Foto: privat)

Wenn dann der Blackout kommt, schalten wir um, drosseln das Tempo. Sehen zum Beispiel nicht jede halbe Stunde aufs Handy, um zu wissen, was im Land und in der Welt geschieht, sondern nur alle zwei Stunden, damit der Akku länger hält. Das Surfen im Netz geht dann nur über die mobile Verbindung. Über diese Verbindung gebe ich manchmal Unterricht. Wenn dann aber auch das mobile Netz ausfällt, hat man wirklich das Gefühl, vollkommen abgeschnitten zu sein.

Das ist eine Situation, die am Anfang wirklich vielen schwer zu schaffen machte. Jetzt versucht man, sich zu beruhigen, abzulenken, liest ein Buch, oder, wenn man Kinder hat, erfindet neue Spiele für sie, wie mir Freunde unlängst erzählten.

"Wir sind ohne Strom, aber auch ohne Invasoren"

Zum Glück gibt es viel Solidarität. Hier ein Beispiel: Krankenhäuser gehören zur kritischen Infrastruktur und müssen deshalb immer über Strom verfügen. Davon können davon die Häuser in ihrer unmittelbaren Nähe profitieren. Die Bewohner dieser Häuser posten deshalb immer wieder auf Facebook und Instagram Meldungen wie: "Wer will, kann zu uns kommen und sein Handy aufladen." Andere, die noch über eine Heizung verfügen, laden wiederum ein, sich bei ihnen etwas aufzuwärmen und etwas Warmes zu trinken.

Und dann sind da noch die Geschäfte. Jedes dritte verfügt jetzt zum Glück über einen Stromgenerator. Hätten sie den nicht, müssten sie schließen. Auch bei ihnen kann man Handys aufladen. Obwohl es viele sind, Schlangen bilden sich immer wieder. Auch mir ist es passiert, dass ich eine Weile durch die Stadt laufen musste, bevor ich eine Auflademöglichkeit fand. Manchmal gehe ich in das Café gleich bei meinem Haus. Es hat zwar leider kein Internet, aber immerhin kann ich dort ein wenig arbeiten. Das einzige Problem mit den Generatoren ist, dass sie einen höllischen Lärm machen, der die ganze Stadt im Griff hat.

Natürlich sind die Menschen frustriert. Wir versuchen trotzdem, nicht aufzugeben, den Humor beizubehalten. Zu den geflügelten Sprüchen gehören jetzt diese: "Wir sind das Land der Generatoren, unser Nachbar ist das Land der Degenerierten", und "Wir sind ohne Strom, aber auch ohne Invasoren". Natürlich ist das kein normales Leben, es ist vielmehr ein Kampf um das Überleben. Aber so ist es halt jetzt.

Quelle: ntv.de

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