Wer ist hier noch MAGA?Die wundersame Wandlung der Marjorie "Traitor" Greene

Mehr MAGA ging nicht: Die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene war das Gesicht einer wütenden rechtspopulistischen Basis, die unverbrüchlich Donald Trumps unterstützte. Doch die Republikanerin hat mit dem US-Präsidenten gebrochen. Weshalb?
Am Sonntag tat Marjorie Taylor Greene etwas, das Politiker äußerst selten öffentlich tun: Sie entschuldigte sich. "Ich bitte demütig um Verzeihung, bei toxischer Politik mitgemacht zu haben; es ist sehr schlecht für unser Land", sagte die republikanische Abgeordnete in einem Interview. War das dieselbe Greene, die rechte Provokateurin mit Geschrei, Gepöbel und Verfechterin von Verschwörungserzählungen? Die Treueste der Treuen in Trumps MAGA-Flügel im Kongress?
Diese und weitere reuige Äußerungen von ihr bei CNN sind der bisherige Höhepunkt einer Wandlung, über die sich US-Medien, der Politikbetrieb in Washington seit Monaten wundern und die US-Präsident Donald Trump erzürnt. Ist Marjorie Taylor Greene alias MTG etwa mehr als Trumps Fan-Politikerin, mehr als ein Gesicht von Trumps wütender, radikale "Make America Great Again"-Basis alias MAGA? Und wenn ja, warum zeigt sie das gerade jetzt?
Die Abgeordnete, die 2020 aus dem Bundesstaat Georgia in den Kongress gestürmt war, ist in den vergangenen Monaten bei Fernsehsendern aufgetreten, die sie zuvor jahrelang als "Fake News" links hatte liegen lassen. Dort schlug die 51-Jährige nun leisere, reflektiertere Töne an. Sie vertrat eigene politische Positionen und - womöglich noch bemerkenswerter - sie stellte sich damit gegen Trump und die Regierung der eigenen Partei.
"Wir müssen einen neuen Weg nach vorn finden (...)", forderte Greene, denn "als Amerikaner haben wir viel mehr gemeinsam, als uns unterscheidet". Sie wolle, dass "die Menschen freundlich zueinander sind" und "die Messer in der Politik weglegen". Zuvor hatte sie wegen ihrer Widerworte gegen Trump über Gewaltandrohungen gegen sich gesprochen. Sei Greene nur gegen toxische Politik, wenn diese gegen sie gerichtet ist?, bohrte die CNN-Journalistin nach. "Das ist berechtigte Kritik", antwortete Greene. Im Jahr 2021 hatte sie Telefonnummern von republikanischen "Verrätern" im Kongress veröffentlicht, die danach Todesdrohungen erhielten.
Mord an Charlie Kirk als Auslöser
Weshalb also so versöhnlich? Greene selbst sagte, die Ermordung des rechten Influencers Charlie Kirk sei für sie wie ein Erweckungsmoment gewesen. Doch es gibt Thesen, die darüber hinaus gehen: Sie wolle ihr Profil für eine eigene, von Trump unabhängige politische Zukunft schärfen. Greene habe sich mit Trump überworfen, weil dieser ihre Kandidatur für den Senat nicht unterstützen wollte. Oder hat sie wirklich so große Zweifel am MAGA-Übervater, dass sie unabhängig von möglichen Konsequenzen ausschert?
Unabhängig von ihren Beweggründen ist deutlich, dass Greene seit Monaten ihren eigenen Weg geht. Sie bezeichnete Israels Vorgehen in Gaza als Genozid und kritisierte deshalb die Unterstützung Israels durch die USA. Sie sprach sich für eine Fortsetzung der staatlichen Zuschüsse zur privaten Krankenversicherung alias Obamacare aus, die ab Januar wegfallen sollen. Sie machte die eigene Partei für den wochenlangen Shutdown verantwortlich und brach mit der offiziellen Linie Trumps, der den Demokraten die Schuld in die Schuhe schob.
Greene stellte zuletzt sogar infrage, ob Trump tatsächlich noch für "America First" stehe. Das ist praktisch offene Rebellion. Was für andere Politiker bei den von MAGA dominierten Republikanern schnell das Aus bedeuten kann, gilt für Greene nur bedingt. Die Abgeordnete genießt in ihrem Wahlkreis große Zustimmung, ist medial äußerst präsent, national bekannt und - besonders wichtig - wegen vieler Spenden finanziell unabhängig. Zwei Drittel der Zuwendungen kommen von Kleinspendern. Greene hat offenkundig eine eigene Basis.
Fliehkräfte an der Basis
Die lautstarke Politikerin ist ein Stück weit exemplarisch für die Fliehkräfte, die in Trumps zweiter Amtszeit an seiner Basis zerren. Der 79-jährige Anführer der rechtspopulistischen Übernahme der Republikaner wird eines Tages abtreten; Greenes Ausscheren könnte ein erstes Anzeichen dafür sein, dass hinter den Kulissen längst um die Machtaufteilung bei Konservativen gerungen wird. Möchte das MAGA-Universum aus Politikern, Beratern, rechten Influencern und Interessengruppen so weitermachen wie bisher, muss es sich irgendwann von ihrem Schöpfer emanzipieren.
Streitpunkte gibt es jetzt schon genug. Der interne Konflikt um die Akten über den toten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein beschäftigt Washington seit Monaten. Teile der republikanischen Wählerschaft zweifeln angesichts weiterhin hoher Lebenshaltungskosten an Trumps Wirtschaftspolitik. Rund 22 Millionen Menschen aus unteren und mittleren Einkommensschichten die Krankenkassenzuschüsse wegzunehmen, stößt auch unter ihnen auf breite Ablehnung. Die Stimmung an der Basis dürfte nicht dadurch besser werden, dass Trump zugleich Protzpartys in Mar-a-Lago feiert, einen goldenen Ballsaal am Weißen Haus bauen lässt und sich ständig auf internationaler Bühne herumtreibt.
Greene ist eine von vier republikanischen Abgeordneten, die die Veröffentlichung sämtlicher Informationen über Epstein fordern, die sich in den Händen der Regierung befinden. Viele vermuten darin die Namen einer ganzen Reihe von Prominenten und Politikern, die über viele Jahre am systematischen Missbrauch Minderjähriger beteiligt gewesen sein sollen. Greene unterzeichnete eine Initiative, damit das Repräsentantenhaus über einen entsprechenden Beschluss abstimmen muss. Dies wird womöglich schon am heutigen Dienstag Ortszeit in Washington geschehen.
"Niemand interessiert sich für sie"
Trump hatte sich bis zuletzt gegen die Abstimmung gewehrt. Als klar war, dass er sie nicht mehr verhindern konnte, machte er eine Kehrtwende, befürwortete die Abstimmung und kündigte zudem an, den Beschluss zu unterschreiben, falls der Senat ebenfalls zustimmen sollte. Es ist das erste Mal seit seiner Vereidigung, dass sich der Präsident dem Druck aus dem Kongress beugt und nicht umgekehrt.
Für diesen Druck ist Greene mitverantwortlich, und Trump gefällt deren Sonderkurs gar nicht. "Niemand interessiert sich für sie", polterte er zuletzt über "Marjorie Traitor Greene" (Marjorie Verräterin Greene); er könne nicht konstant Anrufe "einer pöbelnden Wahnsinnigen" entgegennehmen. Alles, was Greene tue, sei, sich zu "BESCHWEREN, BESCHWEREN, BESCHWEREN", schrie er seinen Lesern bei Truth Social entgegen. Er entzog ihr zudem seine Unterstützung für die kommende Kongresswahl und schimpfte, sie sei "sehr weit nach links gerückt". Er werde bei den Vorwahlen einen möglichen Konkurrenten unterstützen.
Damit bringt er nicht nur Greenes Mandat in Gefahr, sondern sendet auch ein Signal in den Kongress: Egal, wie sehr ihr mich in der Vergangenheit unterstützt habt, ich dulde keine Abweichler. Sollte Greene diese Attacken Trumps politisch überleben, wird sie sich tatsächlich emanzipiert haben - und ihr stünden nach der Wahl 2026 einige neue Türen offen.