Milliarden-Volk bedroht Insel Wie Taiwan einen chinesischen Jahrhundert-Angriff abwehren könnte
31.10.2024, 11:55 Uhr Artikel anhören
Ein Angriff durch Pekings Militär auf Taiwan ist in den letzten Jahren immer wahrscheinlicher geworden.
(Foto: imago images/ZUMA Wire)
China droht recht unverhohlen damit, sich Taiwan auch mithilfe militärischer Gewalt einverleiben zu wollen. Die Frage scheint damit eher nicht zu sein, ob die Welt die nächste schwere Aggression sehen wird, sondern wann. Eine US-Denkfabrik zeigt Lehren aus dem Verteidigungskampf der Ukraine auf.
Permanentes militärisches Säbelrasseln durch Kampfjets und Kriegsschiffe vor der Küste sowie schärfste Töne aus Peking: Taiwan mit seinen rund 23 Millionen Einwohnern droht zwar schon seit Jahrzehnten ein Angriff durch China, auf der Insel mit ihren kleinen Vorposten werden solche Szenarien mittlerweile aber immer ernster durchgespielt. Die für ihre weltweit bedeutende Halbleiter-Industrie bekannte Demokratie stünde im Fall einer Attacke einer überlegenen Großmacht gegenüber - genau wie die Ukraine in ihrem Abwehrkampf.
Das Institut für Kriegsstudien (ISW) zeigt in einer aktuellen Analyse anhand der russischen Aggression auf, worauf es für Taiwan ankommen würde, um sich erfolgreich gegen China zu wehren. Peking, ein enger Partner Moskaus, studiere den Krieg und ziehe bereits eigene Schlüsse, stellt die US-Denkfabrik fest.
Auch wenn es einen bedeutenden Unterschied in den geografischen Gegebenheiten gibt: Die Ukraine ist in Europa umringt von mehreren Nachbarstaaten, Taiwan eine eigenständige Insel, gibt es laut ISW "wichtige Veränderungen im Wesen des Krieges, die sich in der Ukraine manifestiert haben und die wahrscheinlich auf fast alle zukünftigen großen Konflikte zutreffen werden".
Die Ukraine ist von der Fläche her fast 17 Mal so groß wie Taiwan und besitzt eine über 2000 Kilometer lange Grenze mit Russland, die heute wegen der russischen Eroberungen de facto kleiner ist. Hinzu kommt die Grenze zu Belarus. Taiwan hingegen verfügt auf seiner Hauptinsel über nur rund 1000 Kilometer Küste, wobei der Osten schwerer zugänglich ist.
Einsatz von Millionen von Flugdrohnen
Drohnen in der Luft sind im Krieg Russlands gegen die Ukraine allgegenwärtig - ob zur Aufklärung oder für Kamikaze-Attacken. Mit ihnen lässt sich das Schlachtfeld überwachen und transparent machen. Drohnenpiloten können zudem mit einfachen, günstigen Coptern ganze Panzer und anderes Kriegsgerät ausschalten - mit eher wenig Risiko für das eigene Leben.
"Das Phänomen hat den Krieg in seine derzeitige stellungsmäßige Natur gebracht, bei der es für beide Seiten nahezu unmöglich ist, operative Fortschritte zu erzielen", schreibt das ISW mit Blick auf die russische Aggression.
Ein weiteres Mittel, das vor allem für Taiwan als Insel infrage kommt, ist der Einsatz von Seedrohnen. Sie sind in der Lage, große Kriegsschiffe, die heute schon regelmäßig vor der Küste des Landes verkehren, außer Gefecht zu setzen. Die Ukraine konnte als "Staat ohne nennenswerte Marine einer Großmacht erhebliche Seeverluste zufügen", schreibt das ISW.
Mittlerweile ist die russische Marine größtenteils aus dem Schwarzen Meer vertrieben worden - dank kombinierter Angriffe von See- und Luftdrohnen. Kiew hat dabei kostengünstige Modelle wie "Sea Baby" oder "Magura V5" selbst entwickelt.
Flugabwehr gegen intensive Angriffe
Die US-Denkfabrik stellt weiterhin fest, dass Taiwan verschiedene Technologien und Waffen in seine Flugabwehr integrieren müsste, um möglicherweise gemischte Massenangriffe mit Marschflugkörpern, ballistischen Raketen und Drohnen abzuwehren. Die Verteidiger müssten in der Lage sein, mit "einfachen und billigen" Systemen komplexe Luftangriffe abzuwehren. Auf herkömmliche Raketensysteme sei weniger Verlass.
Russland nutzt bei seinen Angriffen Kurz-, Mittel- und Langstreckenwaffen in verschiedenen Höhen. Ziel ist es, die ukrainische Flugabwehr zu übersättigen und Schwachstellen zu finden. Der Mangel an hoch entwickelten Flugabwehrsystemen habe die Ukraine gezwungen, auf kostengünstige, verfügbare Systeme zu setzen und die teuren, hochkomplexen Anlagen für die "schwierigsten Bedrohungen" zu reservieren.
Elektronische Kriegsführung
Um Drohnen oder auch Raketen abzuwehren, setzen die Ukraine und Russland auf Störsender. Ziel ist es, sie zum Absturz zu bringen oder vom Zielkurs wegzuleiten. Diese Art der elektronischen Kriegsführung ist heutzutage unverzichtbar.
Das ISW teilt mit: "Russland und die Ukraine haben massiv in elektronische Kriegsführung investiert und dramatische neue Fähigkeiten entwickelt. Die Russen behinderten die ukrainische Gegenoffensive 2023 teilweise durch den Einsatz von Störsendern, die GPS-Signale in einem weiten Bereich störten und in einigen Fällen fast alle elektronischen Kommunikationsmittel blockierten."
Um eigene Drohnen und Raketen ins Ziel zu steuern und angreifende erfolgreich abzuwehren, ist ständiger technologischer Fortschritt nötig. "Sowohl Russland als auch die Ukraine versuchen, neue Frequenzen, Frequenzsprünge und andere verbesserte Kommunikationssysteme zu finden und dann zu blockieren", schreibt das ISW. Dieses Wettrennen gewinnt, wer die besseren Technologien entwickelt.
"Weder Russland noch die Ukraine haben einen Weg gefunden, um sich langfristig einen Vorteil in der elektronischen Kriegsführung oder in der Drohnenkommunikation zu sichern", schreibt die US-Denkfabrik. Eine erfolgreiche Verteidigung hängt stark davon ab, wie schnell und flexibel die eigenen Systeme auf Veränderungen reagieren können. Taiwan könnte daraus lernen, Innovation und Flexibilität zu priorisieren, um in einem Konflikt zu bestehen.
Lehren für Taiwan
Das Institut für Kriegsstudien spricht von einem taktischen Aufklärungs- und Schlagkomplex, der im russischen und ukrainischen Militär entstanden sei. Drohnen und andere Waffen würden vernetzt, um Informationen zu sammeln und anzugreifen. "In der Ukraine hat sich gezeigt, dass solche Systeme es beiden Seiten schwer und teuer machen, größere Angriffe durchzuführen", so das ISW. Gleiches ließe sich auch in angepasster Form auf die Konfliktparteien im Pazifik anwenden - sowohl bei Bodenkräften als auch maritimen Operationen.
Ob es so weit kommt und die Welt einen weiteren verheerenden Krieg mit vielen Toten erlebt, hängt alleine von China ab, von wo die Bedrohung ausgeht. Eine Hoffnung besteht darin, dass der russische Angriff auf die Ukraine mehr abschreckt, als zu einer eigenen Attacke zu motivieren.
Auch Peking wird registriert haben, wie kostspielig die russische Aggression gegen die Ukraine ist. Massenweise Invasoren verlieren dort für minimale Gebietsgewinne seit über zweieinhalb Jahren ihr Leben. Zudem wurden große Bestände von Moskaus Kriegsgerät vernichtet - und das, obwohl sich die Ukrainer oft mit einfachsten Mitteln wehren müssen.
Quelle: ntv.de, rog