
Plasbergs Gäste: Hendrik Streeck, Stefanie Büll, Heinrich Bedford-Strohm, Frank Bräutigam (vl.). Per Videokonferenz zugeschaltet: Stephan Pusch, Sabine Bätzing-Lichtenthäler.
Ausgangssperre, Kontaktverbot, Quarantäne: Die Vokabeln, mit denen wir heute ganz selbstverständlich hantieren, klangen noch vor wenigen Wochen wie Begriffe aus einem fernen, krisengeschüttelten Land. Was macht das mit uns?
Die politischen Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen waren in den vergangenen Wochen immer ein guter Gradmesser dafür, was in der Welt da draußen gerade so los ist. Nicht nur wegen der Debatten, die dort geführt wurden, sondern auch wegen der Sitzordnung: Anfang März spuckten sich die Gäste von "Hart aber fair" buchstäblich noch gegenseitig ins Gesicht, als sie über die Gefährlichkeit des Coronavirus diskutierten - das war die Phase des "Wird schon nicht so schlimm werden, wir leben ja in Deutschland". Zwei Wochen später passten dann nur noch drei Gäste an den großen Stehtisch, die anderen mussten - kameratechnisch schwierig einzufangen - gegenüber Aufstellung beziehen. Die Gefahr war bekannt, aber mit den Schutzmaßnahmen wurde drinnen offensichtlich noch genauso gefremdelt wie draußen - das war die chaotische "Wir wollen handeln, aber wissen nicht genau wie"-Phase.
Wiederum nur eine Woche später hat sich ein Großteil der Bevölkerung mit den vor wenigen Wochen noch völlig unvorstellbaren Schutzmaßnahmen wie der Kontaktsperre arrangiert, und auch im Studio wirkt jetzt alles weniger improvisiert und mehr so, als habe die Redaktion wieder einen Plan: Moderator Frank Plasberg und vier seiner Gäste sitzen in gebührendem Abstand an Einzeltischen, die übrigen zwei sind per Videokonferenz zugeschaltet - drolligerweise inklusive Rednerpult vor dem Monitor, weil das sonst wahrscheinlich so leer aussähe. Die grimmige Entschlossenheit dieser dritten Phase schlägt sich auch auf den Titel der Sendung nieder: "Es ist ernst - Wie viel Freiheit lässt uns Corona noch?"
Ein Kommunikationsproblem
Der ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam versucht es mit einer formaljuristischen Antwort: "Was wichtig zu wissen ist: Der Staat darf in solchen Zeiten eine ganze Menge." Und tut es auch, um das öffentliche Leben in Deutschland so weit herunterzufahren wie möglich. Wie lange das Kontaktverbot und ähnliche Maßnahmen bestehen bleiben, weiß aber auch Bräutigam nicht, "weil wir alle so was noch nicht erlebt haben".
95 Prozent der Deutschen stehen momentan hinter der Entscheidung für das Kontaktverbot und begrüßen die klaren Regeln, die nun für alle herrschen, ein überwältigender Wert. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass das nicht für immer so bleiben wird - vor allem, wenn Deutschland bei der Eindämmung des Virus erfolgreicher sein sollte als andere europäische Länder: "Da gibt es das Problem der Kommunikation, denn je besser wir sind, desto länger wird sich das hinziehen", sagt der Virologe Hendrick Streeck und verweist darauf, dass bei einer flacher verlaufenden Infektionskurve zwar weniger Menschen sterben werden, die Infektionswelle aber eben auch länger dauern wird.
Damit die Menschen die notwendigen Einschnitte in ihr Privatleben trotzdem für längere Zeit akzeptieren, "ist es jetzt wichtig für uns, die Bilder aus Italien zu sehen", findet Heinrich Bedford-Strohm, der oberste evangelische Bischof von Deutschland. In Italien sterben jeden Tag Hunderte an den Folgen des Virus, weil das italienische Gesundheitssystem hoffnungslos überlastet ist. Weil es viel zu wenige Beatmungsmaschinen gibt, müssen Mediziner entscheiden, wer beatmet wird und wer nicht. Stefanie Büll, die als Intensivkrankenschwester an der Uniklinik Düsseldorf arbeitet, sagt mit nachvollziehbarem Schrecken in den Augen: "Ich möchte nicht in der Haut eines Arztes stecken, der entscheiden muss, ob ein Patient überleben darf oder nicht."
"Die Schwachen unterhaken"
Damit es in Deutschland gar nicht erst so weit kommt, fordert die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler - wegen Corona-Verdachts selbst in Quarantäne - "gemeinsame Solidarität" von allen Bevölkerungsgruppen. So wie in Heinsberg, "da haben die Starken die Schwachen untergehakt", sagt der von dort live zugeschaltete Landrat Stephan Pusch. Der nordrhein-westfälische Landkreis war bereits Anfang März besonders heftig getroffen worden, Pusch selbst ist also bereits so etwas wie ein Veteran in Sachen Corona-Krisenbewältigung.
Man merkt dem Landrat die vergangenen harten Wochen deutlich an, aber auch seine unbedingte Entschlossenheit, niemanden zurückzulassen. Bei einer Zuschauerfrage, ob man nicht lieber nur die Risikogruppen - also vornehmlich ältere und alte Menschen - anstatt ganz Deutschland isolieren sollte, platzt Pusch der Kragen: "Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der wir die Alten als Ballast der Gesellschaft sehen. […] Wir müssen alle durch diese Krise durch, egal ob jung oder alt." Alle zusammen, nur so kann es gehen - eine Botschaft, die Mut macht.
Quelle: ntv.de