
Ein häufiges Motiv auf Demonstrationen: Putin als Hitler, hier in Rom.
(Foto: REUTERS)
Der Vergleich liegt nahe, nicht nur aus ukrainischer Sicht. Tatsächlich sind - jenseits der Psychologie - Übereinstimmungen erkennbar: in Wesen, Rhetorik, Handeln und Brutalität. Allerdings sehen Wissenschaftler Putin näher an Mussolini.
Im Internet kursiert ein Spottbild, das Hitlers letzten öffentlichen Auftritt adaptiert, als er 1945 kurz vor Kriegsende jugendliche Volkssturm-Einheiten auszeichnete und einem Jungen, einem Kind, über die Wange streichelte. In der Karikatur tätschelt Hitler Wladimir Putin über die linke Gesichtshälfte. Der russische Machthaber ist übertrieben klein gezeichnet: Putin als Mini-Ausgabe Hitlers - so nehmen es derzeit viele Menschen wahr. Google wirft nach der Suche "Putin Hitler" mehr als 70 Millionen Treffer aus. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba forderte Menschen auf der ganzen Welt zum Kampf in seinem Land auf: "Gemeinsam haben wir Hitler besiegt. Wir werden auch Putin besiegen."
Der Vergleich liegt auf der Hand. Wobei selbst entschiedene Putin-Gegner darin eine Verharmlosung von Hitlers Eroberungskrieg mit allein 25 Millionen Toten in der einstigen Sowjetunion und der Ermordung von sechs Millionen Juden sehen. Auch die Propaganda und die Repression gegen Oppositionelle im Inland sind in Russland nicht so brutal, wie es in Nazi-Deutschland der Fall war.
"Natürlich ist Putin kein neuer Hitler", schreibt der Historiker Heinrich August Winkler in einem Beitrag für die "Zeit". Zu bedenken gibt er: "Vergleichen heißt nicht gleichsetzen." Nur wenn man diesen Unterschied beachte, sei die Suche nach Gemeinsamkeiten "sinnvoll und lehrreich". Der auf Russland spezialisierte US-Historiker Timothy Snyder, Professor an der Universität Yale, sagte der polnischen Zeitung "Gazeta Wyborcza", es sei eher so, "dass wir aus einem natürlichen Reflex heraus nach Präzedenzfällen suchen". Und: "Doch wenn man sich die Ursprünge dieses Krieges genauer ansieht, kann man die Parallelen durchaus erkennen."
Putin sieht Russland als Opfer
Tatsächlich sind - jenseits der (Küchen-)Psychologie - Übereinstimmungen unterschiedlicher Grade erkennbar: in Wesen, Rhetorik, Handeln und Brutalität. Um den militärischen Angriff auf ein souveränes Land zu rechtfertigen, hat Putin wie einst Hitler absurde Lügen in die Welt gesetzt, die auf irrationaler Wahrnehmung der Wirklichkeit beruhen. Beide haben eine Welt erfunden, die mit der Realität wenig bis nichts zu tun hat. Anflüge von Allmachtsfantasien und imperialem Größenwahn treiben Putin offenbar an. Er betrachtet sich und sein Land wie dereinst Hitler als ewig Gemobbte einer Verschwörung staatlicher und dunkler Mächte und imaginiert eine Bedrohung seiner Heimat. Folge ist die Umkehr der Täter-Opfer-Rolle.
Putins Behauptung, er "wolle nur Angehörigen seines eigenen Volkes helfen", entspreche den Aussagen von Hitler und Stalin von 1938 und 1939 - "ein beispielloses Ausmaß an Lügen", sagt Snyder. Moskaus Propaganda habe zwar "nicht das gleiche große Ziel" wie Nazi-Deutschland. Dennoch wirke sie "als zerstörerische Kraft, die Wahrheit und Rationalität vernichtet. Und sie spielt dabei eine sehr wichtige Rolle."
Auffällig ist zudem, dass Putin wie Hitler kein Mitleid kennt und seine Eroberungen ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und kulturelle Schätze durchzusetzen versucht. Je länger Putin an der Macht ist, desto stärker hat sich sein System auf ihn allein konzentriert - auch das eine Parallele zu Hitler. Russland-Experten und Geheimdienste vermuten, der Kreml-Chef befinde sich in einer undurchlässigen Blase, in die nur das komme, was er hören wolle und ihn bestätige. Die Beratungsresistenz Hitlers ist ebenso historisch belegt wie sein gereiztes Reagieren bei Widerspruch. In einer Diktatur kann das nur dazu führen, dass das Umfeld schweigt, um nicht im KZ zu verschwinden - oder im Gulag.
Heim ins russische Reich
Wie der selbsternannte "Führer" will auch der russische Despot sein Land zu neuer (alter) Größe führen. Das Ergebnis dieser Politik ist ruinös. Hitler, der seine Diktatur absurderweise "demokratisch" nannte, beklagte in seiner letzten Radioansprache Ende Januar 1945 die systematische ökonomische "Zerstörung und Vernichtung der demokratischen Republik" samt drohender Staatspleite, Massenarbeitslosigkeit, kaum mehr existenter Landwirtschaft und Industrie sowie "einer dementsprechend zum Erliegen gekommenen Handelswirtschaft". Ähnlich tönt es gerade aus Moskau. Um diesen Widerspruch auszuhalten, wird die Lage einerseits beschönigt und andererseits das Wechselspiel aus Ursache und Wirkung ignoriert.
Putin gibt vor, in der Ukraine ein "faschistisches System" beseitigen zu wollen, dessen Anführer einen angeblichen Genozid an Russen vollführe und sein Land mal mit Atombomben, dann wieder mit schmutzigen Waffen bedrohe - nichts spricht dafür, dass auch nur ein Kern Wahrheit darin steckt. Die Regierung in Kiew war dem Wunsch Moskaus gefolgt und trat sämtliche aus sowjetischer Zeit stammende Atomsprengköpfe an Russland ab, das der Ukraine im Gegenzug die Einhaltung seiner Grenzen garantierte. Putin brach das Abkommen wie einst Hitler den mit Stalin vereinbarten Nicht-Angriffspakt.
Besonders radikale Gegner Putins vergleichen sein im vergangenen Sommer veröffentlichtes Essay "Über die historische Einheit von Russen und Ukrainern" mit "Mein Kampf", weil der Moskauer Despot - ähnlich wie Hitler in seinem Machwerk - seine politischen Ziele mit einer aggressiv-nationalistischen Ideologie zu untermauern versucht. Es gebe kein eigenständiges ukrainisches Volk, auch keinen Staat, sondern ein künstliches Konstrukt, das vom Westen, vor allem den USA, gelenkt werde. Die absurde Schlussfolgerung daraus: Millionen Ukrainer strebten danach, heim ins russische Reich geholt zu werden - in der Art hat Hitler ebenfalls Annexionen und seinen Krieg begründet.
"Putin ist kein Nazi"
Dass sich der Vergleich zwischen den beiden Kriegstreibern aufdrängt, hat wohl auch damit zu tun, dass weltweit weitaus mehr über Hitler bekannt ist als über Stalin und den italienischen Faschisten Benito Mussolini. Winkler schreibt, Putin passe "erschreckend gut" in eine Reihe von Ultranationalisten wie Mussolini oder den Serbenführer Slobodan Milošević, der in Den Haag als Kriegsverbrecher angeklagt war, aber vor dem Urteil 2006 starb. Mit Milošević teile der Russe "das Trauma des Untergangs eines multinationalen Staatsgebildes".
"Putin ist kein Nazi. Dafür erfüllt er mustergültig den Katalog dessen, was Faschismus ausmacht", schreibt der russische Ökonom Wladislaw Inosemzew in einem Gastbeitrag für die "Neue Zürcher Zeitung". Der Gründer des Zentrums für postindustrielle Studien in Moskau verweist auf die Definition des amerikanischen Historikers Robert Paxton, wonach Faschismus geprägt ist "durch eine obsessive Beschäftigung mit dem Niedergang der eigenen Gemeinschaft, ihrer Demütigung oder Opferrolle sowie durch kompensatorische Kulte von Einheit, Stärke und Reinheit" und Akteure, die "mit messianischer Gewalt und ohne ethische oder rechtliche Beschränkungen Ziele der internen Säuberung und externen Expansion" verfolgen.
Inosemzew kommt zu dem Schluss: "Was Putin in seiner Regentschaft reproduzierte, ist das prototypische faschistische Modell" Mussolinis, lediglich "versetzt mit sozialdemokratischen Elementen, einem starken Gefühl der Größe des verlorenen Reiches, einer korporativen Organisation der nationalen Wirtschaft und einer eher maßvollen Unterdrückung des politischen Gegners".
Quelle: ntv.de