Labyrinth aus Stahl und Beton Wo die Verteidiger von Mariupol ausharren
26.04.2022, 20:25 Uhr
Mariupol ist noch immer nicht komplett in russischer Hand. Auf dem weitläufigen Gebiet des Asow-Stahlwerks im Zentrum der Stadt halten hunderte ukrainische Kämpfer der russischen Übermacht Stand - sie kontrollieren damit weiter einen beträchtlichen Teil der Hafenstadt.
Mariupol ist noch nicht gefallen: Zwar erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin bereits letzte Woche, die Metropole am Asowschen Meer vollständig erobert zu haben. Noch immer aber harren ukrainische Einheiten in der geschundenen Hafenstadt aus. In einem riesigen Stahlwerk im Zentrum haben sich mehrere Hundert Soldaten und Zivilisten verschanzt. Der riesige Industriekomplex ist von russischen Truppen mittlerweile vollständig eingeschlossen. Das Areal macht allerdings einen signifikanten Teil des Stadtgebiets aus. In Mariupol lebten vor dem Krieg rund 400.000 Menschen.
In dem Werk Asowstal sollen sich nach russischen Angaben noch rund 2500 ukrainische Kämpfer und ausländische Söldner aufhalten. Nach ukrainischen Angaben leben in den noch für einen Atomkrieg gebauten Bunkeranlagen unter der Industrieanlage auch 1000 Zivilisten, darunter viele Kinder und Frauen. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Donnerstag vergangener Woche angeordnet, das Werk weiter zu belagern - so engmaschig, dass "keine Fliege mehr heraus kann". Zuvor bereits war das Gelände mit seinen Hochöfen, Förderbändern und Werkshallen heftig beschossen worden.
Die weitläufige Untertunnelung und die oberirdische Struktur des Geländes machen eine schnelle Eroberung durch die russische Armee unwahrscheinlich. Koksöfen, Lagerhäuser, Betonmauern, Stahlaufbauten und Schornsteine versperren potenziellen Angreifern die Sicht, die kilometerlangen Tunnelanlagen bieten zahlreiche Rückzugsmöglichkeiten. Schon 2014 bei Kämpfen mit pro-russischen Separatisten waren die Bunker unter dem Asow-Stahlwerk als Schutzräume genutzt worden.
Das Gelände beherbergt eine eigene Eisenbahnanlage, einen Hafen, sowie Werke zur Produktion von Koks, Stahl und Eisen und erstreckt sich auf eine riesige Fläche: Das Areal ist an den meisten Stellen rund drei Kilometer breit und ebenso lang.
Dieses weitflächige und hindernisreiche Gebiet ist verhältnismäßig gut zu verteidigen. Gleichwohl befinden sich die verbliebenen ukrainischen Verteidiger in einer verzwickten Lage. Ihnen dürften früher oder später Nahrung und Wasser ausgehen. Ein Reporter "New York Times" berichtet von über 500 Verwundeten. Die medizinische Versorgung ist katastrophal. Berichten zufolge brauchen einige Soldaten Amputationen, gleichzeitig gehen Schmerz- und Narkosemittel zur Neige.

Das Gelände das Asow-Stahlwerks im Zentrum Mariupols.
(Foto: Satellite Imagery © Maxar Technologies)
Ohne Hilfe von außen ist die Lage der im Asow-Stahlwerk verschanzten Kämpfer im Grunde aussichtslos. Die letzten verbliebenen Verteidiger Mariupols sind für die Verteidigung der Ukraine dennoch wertvoll: Sie binden weiter russische Kräfte, die Moskaus Invasionsarmee an anderer Stelle dringend benötigt. Putins Belagerungsbefehl folgt dementsprechend einem einfachen Kalkül: Er verkündete die Einnahme der Stadt und verbot die Erstürmung des Stahlwerks - wohl, um seiner Armee weitere verlustreiche Kämpfe zu ersparen.
Mariupol ist für den Machthaber im Kreml von großer strategischer Bedeutung. Die Kontrolle über die Hafenstadt erlaubt Russland eine direkte Landverbindung zwischen der annektierten Halbinsel Krim und den von den pro-russischen Separatisten im Donbass kontrollierten Gebieten herzustellen.
Quelle: ntv.de, mit dpa und AFP