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Erste Folgen des Lieferstopps Würgt J&J den deutschen Impfmotor ab?

Deutschland sollte bis Jahresende insgesamt rund 36 Millionen Impfdosen von Johnson & Johnson erhalten.

Deutschland sollte bis Jahresende insgesamt rund 36 Millionen Impfdosen von Johnson & Johnson erhalten.

(Foto: REUTERS)

Für die deutsche Impfkampagne bedeutet es erneut einen Rückschlag: Nachdem im März bereits die Verimpfung von Astrazeneca vorübergehend gestoppt werden musste, steht nun ein weiteres Vakzin unter Vorbehalt. Nach mehreren Fällen von Hirnvenenthrombosen in den USA pausieren die US-Gesundheitsbehörden zunächst die weitere Vergabe des Impfstoffs von Johnson & Johnson (J&J). Dann legt das Unternehmen dessen Auslieferung an die Europäische Union vorerst komplett auf Eis - nur einen Tag, nachdem die Lieferungen begonnen hatten. Was bedeutet das für den Impffortschritt in Deutschland? ntv.de klärt die wichtigsten Fragen:

Wie wahrscheinlich ist ein europaweiter J&J-Impfstopp?

Nicht besonders wahrscheinlich. In den USA wird damit gerechnet, dass in wenigen Tagen wieder mit dem J&J-Vakzin geimpft werden kann. Die EU-Arzneimittelbehörde EMA prüft den Impfstoff schon seit vergangener Woche im Zusammenhang mit den dokumentierten Thrombosefällen. Selbst wenn sie feststellen sollte, dass es sich wahrscheinlich um Nebenwirkungen der Impfung handelt, dürfte sie - wie auch schon bei Astrazeneca - eher eine Altersbeschränkung empfehlen und keinen Impfstopp.

Wie weit wirft der Lieferstopp die deutsche Impfkampagne zurück?

Das hängt vom weiteren Umgang der deutschen Behörden mit dem Impfstoff ab. Bisher gibt es keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) oder des Paul-Ehrlich-Instituts, die eine eingeschränkte Vergabe des Vakzins oder gar einen Impfstopp beinhalten würde. Dass sich das im Zuge der Bewertung durch die EMA demnächst ändert, ist aber nicht auszuschließen. "Wenn sich bewahrheitet, dass die Nebenwirkungen ähnlich häufig sind [wie bei Astrazeneca], wäre die Konsequenz, dass wir in Deutschland auch den Impfstoff von J&J nicht für die unter 60-Jährigen verwenden sollten", sagte der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, der "Augsburger Allgemeinen". Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach erwartet zwar keinen anhaltenden Stopp der Impfungen mit Johnson & Johnson, allerdings müsse über einen Einsatz ausschließlich für über 60-Jährige nachgedacht werden.

Was würde das für die unter 60-Jährigen bedeuten?

Für jüngere Menschen könnte das bedeuten, dass Impftermine vorerst weiterhin Mangelware bleiben. In Deutschland sind laut Statistikamt derzeit rund 47 Millionen Menschen zwischen 16 und 60 Jahre alt. Rein rechnerisch müssten - um der Herdenimmunität möglichst nahezukommen - für sie also mindestens 94 Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen. Denn abgesehen vom J&J-Vakzin erfordern alle anderen bisher von der EMA zugelassenen Impfstoffe zwei Dosen, um ihre volle Schutzwirkung zu entfalten. Hinzu kommt, dass auch bereits Genesene auf lange Sicht zusätzlich geimpft werden sollen. Fraglich ist, ob die zugelassenen und bestellten Impfstoffe diese Lücke füllen könnten.

Sind bereits Auswirkungen des J&J-Lieferstopps zu beobachten?

Zumindest kurzfristig und regional bringt der Lieferstopp tatsächlich bereits Probleme mit sich: In Brandenburg sollen Termine für Erstimpfungen in den kommenden Wochen auf Null heruntergefahren werden, um zumindest die Zweitimpfungen auch aller Astrazeneca-Erstgeimpften mit Biontech/Pfizer sowie Moderna bewerkstelligen zu können. Was laut brandenburgischem Innenministerium aktuell fehlt, seien auch rund 6700 Impfdosen von Johnson & Johnson.

Wie viel Impfstoff von Johnson & Johnson soll Deutschland bekommen?

Bisher geht die Bundesregierung davon aus, dass Johnson & Johnson allein bis Ende April 700.800 Impfdosen liefern wird. Im Mai sollen 2,3 Millionen folgen, im Juni schon 7,1 Millionen. Für das dritte und vierte Quartal werden insgesamt mehr als 26 Millionen zusätzliche Dosen angepeilt. Um endlich den Impfmotor zu beschleunigen, ist das Vakzin also durchaus von Bedeutung. Beim prognostizierten Lieferumfang bis zum Jahresende steht Johnson & Johnson an vierter Stelle - hinter Biontech (100 Millionen Dosen), Moderna (78 Millionen) und Astrazeneca (56 Millionen). Allerdings betont das Gesundheitsministerium nicht ohne Grund, dass es sich bei diesen Zahlen um Prognosen handelt. Fälle von Lieferengpässen hat es bei mehreren Herstellern bereits aus den verschiedensten Gründen gegeben.

Warum treten die Hirnthrombosen nur bei J&J und Astrazeneca auf?

Experten vermuten, dass dies an der zugrunde liegenden Vektortechnologie liegt. Dabei werden eigentlich harmlose Viren - zum Beispiel Erkältungsviren - als Träger für das Corona-spezifische Spike-Protein verwendet, um dessen Erbinformation in die Körperzellen einzuschleusen und dadurch eine Immunantwort zu erzeugen. Nicht nur die Impfstoffe von J&J und Astrazeneca, sondern auch Sputnik V funktionieren nach diesem Prinzip. An welcher Stelle genau die Ursache für die Sinusvenenthrombosen liegt, ist aber unklar. Während einige Wissenschaftler vermuten, dass das Spike-Protein selbst die Nebenwirkungen auslöst, gehen andere davon aus, dass die Trägerviren das Problem sind. Bei der mRNA-Technologie wird auf diese Trägerviren gänzlich verzichtet und stattdessen nur eine synthetisch hergestellte Boten-RNA mit den darin gespeicherten Erbinformationen des Coronavirus genutzt, um Antigene zu aktivieren und damit eine Immunantwort des Körpers zu erzeugen.

Sollte man die Vergabe von Vektorimpfstoffen generell stoppen?

Zumindest Dänemark hat das im Falle von Astrazeneca bereits geplant. Das EU-Land will künftig komplett auf den Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers verzichten. Karl Lauterbach warnt jedoch davor, grundsätzlich alle Vektorimpfstoffe für eine Verimpfung auszuschließen. "In einer Situation begrenzter Impfstoffe wäre der Verzicht auf diese Impfstoffe unvertretbar", twitterte der Epidemiologe. "Das Risiko tödlicher Komplikationen durch Covid, auch Thrombosen, ist viel zu hoch, um auf die Impfstoffe zu verzichten." Auch Ärztevertreter verweisen auf die Vorteile der Impfung mit Vektor-Vakzinen. Gleichwohl müsse auf die Risiken natürlich hingewiesen werden.

War es ein Fehler, bei der Impfstoffbeschaffung auf Vektorvakzine zu setzen?

Im Nachhinein ist man immer schlauer. Dass es ausgerechnet mit Vektorimpfstoffen Probleme geben würde, war im vergangenen Jahr - als die Forschungen der Pharmafirmen noch in einem frühen Stadium steckten - kaum abzusehen. Die Frage lautet eher, wie jetzt auf die Entwicklung reagiert werden soll. Deutsche Immunologen fordern, zügig mehr von den zugelassenen mRNA-Impfstoffen zu bestellen. Und tatsächlich will Brüssel seine Bestellpraxis umstellen. Künftig werde man vor allem auf mRNA-Vakzine setzen, heißt es aus Kommissionskreisen. Das bedeute aber nicht, dass Astrazeneca und Johnson & Johnson automatisch aus dem Rennen seien. Im Moment sind Biontech/Pfizer und Moderna die einzigen zugelassenen mRNA-Impfstoffe. Auch Curevac arbeitet mit der mRNA-Technologie, allerdings rechnet das Tübinger Unternehmen frühestens im Mai mit einer Zulassung in der EU.

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Sollte Deutschland trotzdem im Alleingang nachbestellen?

Das fordern zumindest einige Experten - darunter auch Immunologe Watzl. Denn die Zeit drängt. Sollte nach Astrazeneca auch Johnson & Johnson nicht mehr für eine Verimpfung bei unter 60-Jährigen zur Verfügung stehen, fürchtet er, dass bis Herbst nicht ausreichend mRNA-Impfstoff zur Verfügung stehen könnte, um durch Herdenimmunität eine vierte Pandemie-Welle zu verhindern. "Deutschland sollte hier einen Alleingang wagen", forderte Watzl, "da es über die EU zu lange dauert und jetzt viele andere Länder ähnlich aktiv werden." Eine mögliche Impfstofflücke könnte Lauterbach zufolge auch über eine verlängerte Zeitspanne zwischen den beiden Impfungen mit Biontech/Pfizer und Moderna geschlossen werden. Es sei möglich, auf diese Weise über drei Monate hinweg ausschließlich Erstimpfungen vorzunehmen und dadurch eine Grundimmunisierung der Bevölkerung zu erreichen.

Quelle: ntv.de, mit rts

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