Debatte um Streumunition Die Ukraine braucht Waffen, keine Standpauke
18.02.2023, 16:57 Uhr
Im April bombardierte die russische Armee den Bahnhof von Kramatorsk mit Streumunition.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Kiew fordert Streu- und Phosphorwaffen im Kampf gegen Russland, der Westen reagiert frostig. Er will offenbar, dass die Ukraine einen Vernichtungskrieg mit blütenweißer Weste übersteht. Doch das ist realitätsfremd.
Bei der Münchner Sicherheitskonferenz bittet der ukrainische Vizeregierungschef Kubrakow den Westen, auch Streumunition und Phosphor-Brandwaffen zu liefern. Sein Argument: Russland nutze die geächteten Waffen ebenso, außerdem treffe man damit lediglich das eigene Staatsgebiet. Beobachter sprechen von einer "eisigen" Reaktion unter den Teilnehmenden - doch einem Land, das seit knapp einem Jahr gegen die eigene Auslöschung kämpft, einen solchen Appell vorzuwerfen, ist reichlich realitätsfremd.
Wer sich jetzt enttäuscht abwendet von der Ukraine, weil er in der Forderung nach geächteten Waffen den reinen Heroismus und die Unschuld eines widerrechtlich angegriffenen Landes verraten sieht, hat nichts verstanden.
Die Ukrainer erinnern sich noch gut an den Angriff auf dem Bahnhof Kramatorsk im April 2022, als Hunderte Menschen mit dem Zug fliehen wollten und Russland eine Streubombe auf die Fliehenden warf. Dutzende freigesetzte kleine Geschosse trafen 61 Menschen tödlich - darunter auch Kinder. Man stelle sich vor, die Ukrainer hätten als Reaktion darauf das Gleiche in einer russischen Stadt angerichtet. Der Westen hätte sich enttäuscht abgewendet. Das Prinzip "Auge um Auge, Zahn um Zahn" passt nicht zu unseren Werten. Aber wir sind eben auch nicht die Angegriffenen. Da fällt es leicht, nur das Richtige zu wollen.
Ja, sowohl der Einsatz von Streumunition als auch Phosphorbomben verstößt völlig zu Recht gegen internationale Konventionen. Und ja, die Ukraine sollte sie keinesfalls ebenfalls einsetzen. Doch wo bleiben eigentlich die konventionellen Alternativen? Von der viel beschworenen Panzerallianz ist nicht viel übriggeblieben, über Kampfjets mag man in Europa auch nicht so richtig reden.
Die ukrainische Regierung weiß sehr genau: Vom Westen wird sie keine geächtete Munition erhalten. Dass sie den Appell dennoch öffentlich an ihre Verbündeten richtet - und das ausgerechnet vor der in München versammelten, weltweiten Spitzenpolitik - darf nicht nur als Akt der Verzweiflung, sondern vor allem als klares Signal verstanden werden: erstens an diejenigen, die mit ihrem fremd-projizierten Idealismus meinen, die Ukraine wolle den Kampf ums eigene Überleben mit blütenreiner Weste gewinnen. Und zweitens an jene, die auch nach Butscha, Irpin und Kramatorsk nicht müde werden, die russische Propaganda nachzuplappern.
Der Westen sollte sich fragen: Wenn es nicht möglich ist, die Russen vom Einsatz geächteter Waffen abzuhalten und die Ukraine sie gar nicht erst in die Hände bekommen soll: Wie kann die ukrainische Bevölkerung dann vor ihnen geschützt werden? Die Antwort darauf ist eigentlich ganz einfach.
Quelle: ntv.de