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Türkische Rechtsextremisten Erdogan führt Deutschland vor

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Viel unterwegs: gestern noch war Erdogan in Kasachstan, morgen ist er in Berlin.

Viel unterwegs: gestern noch war Erdogan in Kasachstan, morgen ist er in Berlin.

(Foto: picture alliance / globallookpress.com)

Die Bundesrepublik hat sich unter Kanzlerin Merkel auf einen Deal mit der Türkei eingelassen. Bis heute ist die Regierung in Berlin erpressbar. Die rechtsextremistischen "Grauen Wölfe" müssten verboten werden. Aber der Preis wäre eine neue Flüchtlingswelle.

Wenn es um Rechtsextremismus und Islamismus geht, ist Bundesinnenministerin Nancy Faeser stets ganz vorn dabei, Entschlossenheit zu zeigen: Nicht mit mir, verkündet sie immer und immer wieder. So war es auch, nachdem der türkische Nationalspieler Merih Demiral den Wolfsgruß vor einem Zigmillionen Publikum gezeigt hatte, das Zeichen der rechtsextremistischen türkischen Ülkücü-Bewegung, der "Grauen Wölfe". Sie erklärte: "Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen." Und: "Die Fußball-Europameisterschaft als Plattform für Rassismus zu nutzen, ist völlig inakzeptabel."

Allerdings passiert nach den Verlautbarungen in der Regel kaum oder nichts Konkretes, um das einzuhegen, was die Sozialdemokratin "völlig inakzeptabel" nennt. Im Fall der "Grauen Wölfe" ist es definitiv so, obwohl die Gruppierung offen eine rassistische und antisemitische Ideologie vertritt. In der Türkei wird sie für den Mord an Hunderten Kurden, Aleviten und linken Politikern verantwortlich gemacht. Als Innenministerin führt Faeser das Haus, das für Verbote bundesweit agierender extremistischer Kräfte zuständig ist. Die Ülkücü-Bewegung samt ihrer Verbände und Zweige ist mit 18.500 Mitgliedern die größte rechtsextreme Organisation in der Bundesrepublik. Seit Jahren wird sie vom Verfassungsschutz beobachtet.

Im November 2020 hatte der Bundestag, noch in der Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel, das Innenministerium beauftragt, die Gruppierung und ihre Gliederungen durch Verbot zu zerschlagen. Geschehen ist nichts. Als Faeser nach dem SPD-Wahlsieg ein Jahr später Innenministerin wurde, unternahm sie ebenfalls nichts, weshalb sich das Parlament Mitte 2023 entschloss, seine Aufforderung zu erneuern. Eine sehr breite Mehrheit aus Koalition und Opposition stimmte dafür. Die Union vermisst dennoch weiterhin "substanzielle Fortschritte". Die Linke, deren kurdisch-stämmige Abgeordnete überall in Deutschland seit Jahren von türkischen Rechtsextremisten Todesdrohungen erhalten, stellte diverse parlamentarische Anfragen zum Stand der Dinge. Das Innenministerium antwortete stets unkonkret.

Legal, solange die "Grauen Wölfe" nicht verboten sind

Faesers Kabinettskollege Cem Özdemir forderte nun eine "Brandmauer" gegenüber dem türkischen Faschismus. Was als Seitenhieb auf die Innenministerin und den politischen Betrieb insgesamt verstanden werden kann. Denn während Tag für Tag eine "Brandmauer" gegen die AfD diskutiert wird, spielen die Umtriebe der "Grauen Wölfe" so gut wie gar keine Rolle in der Öffentlichkeit. Der Grünen-Politiker sagte: "Ich frage mich, warum das Zeigen des Symbols des 'Grauen Wolfes' nicht auch bei uns längst verboten ist. Diese rechtsextreme Geste steht für widerlichen Antisemitismus und die Vertreibung der letzten Christen aus dem Siedlungsgebiet der Urchristen."

Özdemir ist nicht der Einzige, der sich das fragt. Der Wolfsgruß, dessen Zeigen in Österreich unter Strafe steht, kann laut eines 2018 veröffentlichten wissenschaftlichen Gutachtens für den Bundestag nur dann unter Strafe gestellt werden, wenn die Bewegung verboten wird. Andernfalls fällt das Symbol unter die Meinungsfreiheit. Nur den Gruß zu untersagen, wäre ohnehin eher Symbolpolitik, die die eigentliche Gefahr nicht bannt. Im Übrigen: Hätte der türkische Fußballer ihn nicht gezeigt, würde Deutschland weiterhin schlafen, die aktuelle Debatte nicht stattfinden.

Frankreich hat es 2020 vorgemacht - und zwar inmitten diplomatischer Spannungen mit der Türkei. Präsident Emmanuel Macron hatte nach dem islamistisch motivierten Mord an einem Lehrer die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen als Beitrag zur Meinungsfreiheit verteidigt. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan rief daraufhin seine Landsleute auf, französische Waren zu boykottieren. Die Politik in Paris ließ sich nicht beirren und verbot Ende 2020 die "Grauen Wölfe", nachdem nahe Lyon ein Mahnmal für die Opfer des Völkermords an den Armeniern und anderer christlicher Völker mit den Initialen der Organisation, Erdogans ("RTE") und pro-türkischen Losungen beschmiert worden war.

Erdogan hat die Flüchtlinge als Drohkulisse

In der Bundesrepublik bleibt es bei empörten Äußerungen, was umso erstaunlicher ist, da die ebenfalls brandgefährliche PKK längst verboten ist. Den "Grauen Wölfen" aber tut Faeser nichts. Und wenn sie doch daran denkt, hat sie es nicht besonders eilig, was damit zu tun haben dürfte, dass Erdogan jederzeit damit drohen kann, den mit Merkel vereinbarten Deal aufzukündigen und einen Flüchtlingsstrom nach Deutschland zu entfachen. So jemanden will man nicht verärgern. Der deutsche Staat wirkt dadurch - längst nicht zum ersten Mal - hilflos und erpressbar. Der Vorgang offenbart zudem, wie ausgeliefert ein demokratisches Land einem Autokraten sein kann, der vor Erpressung nicht zurückschreckt.

So bleibt der Bundesregierung nichts weiter übrig, als sich von Erdogan vorführen zu lassen - da kann das Auswärtige Amt noch so oft den türkischen Botschafter einbestellen und ihm sagen, was geht und was nicht. Dem Machthaber aus Ankara ist das ohnehin egal. Er schwingt sich auf, am Samstag zum Viertelfinal-Spiel der türkischen Nationalmannschaft nach Berlin zu eilen, um angeblich "ausländerfeindlich" bedrohten "Landsleuten" mit und ohne deutschen Pass zur Seite zu stehen. Aus deutscher Sicht eine ins Groteske gehende Verdrehung der Tatsachen. Schließlich bitten in Deutschland viele Türken um politisches Asyl, die vor Erdogans Willkür und der ihm hörigen Justiz geflohen sind.

Hinter dem Handeln des Autokraten steckt Strategie. Er präsentiert sich - gemessen an seinen Wahlerfolgen hierzulande - erfolgreich als Schutzpatron aller Türken im Ausland und befeuert den Aufbau seiner Truppen in Deutschland. Die "Grauen Wölfe", die in der Türkei eng verbunden sind mit der ultranationalistischen Partei MHP, die faktisch zusammen mit Erdogans islamisch-konservativer AKP regiert, haben das Motto ausgegeben: "Werde Deutscher, bleibe Türke!" Dahinter verbirgt sich die Aufforderung, die Staatsbürgerschaft der Bundesrepublik zu erlangen, um politisch Einfluss zu nehmen und das Ziel eines "europäischen Türkentums" stärker unterstützen zu können.

Mit der Politik seit Merkels Amtszeit hat sich Deutschland in eine Zwickmühle manövriert, in der Faeser nichts weiter übrigbleibt, als Rassismus und die Verwendung des Wolfsgrußes zu beklagen, aber das Treiben Erdogans zu dulden. Im konkreten Fall wird sie hoffen, dass die Niederlande die Türkei besiegen und der Debatte ein Ende bereitet. Bis zum nächsten Wolfsgruß in einem deutschen Stadion.

Quelle: ntv.de

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