Scherben und Kanzlerinnendämmerung Euro-Rettung und das Leid der Koalition
28.02.2012, 14:51 Uhr
Schon lange keine Liebesheirat mehr: FDP-Chef Philipp Rösler und die Kanzlerin am Montag.
(Foto: REUTERS)
Die Kanzlerin durchlebt gerade schwere Stunden. Bei der Abstimmung über das Griechenland-Rettungspaket verfehlt sie die Kanzlermehrheit, dann gibt es auch noch Nachhilfe aus Karlsruhe. Die Opposition triumphiert, und die Regierung kommt um die bittere Erkenntnis nicht herum: Es wird immer schwerer, die eigenen Reihen zu schließen.
Es ist die Stunde des Triumphs, und die Opposition weidet sich in Schadenfreude. Erst verfehlt die Regierung bei der Abstimmung über das Griechenland-Rettungspaket die , dann urteilt auch noch das Bundesverfassungsgericht, dass das kleine zur Eurorettung nicht verfassungsgemäß ist. Die Grünen sprechen nach der Abstimmung im Bundestag von einer "Kanzlerinnendämmerung", und der Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin fordert Kanzlerin Angela Merkel zum Stellen der Vertrauensfrage im Bundestag auf. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sieht Merkel "politisch gescheitert". Und der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider bemühte nach dem Urteil in Karlsruhe den "Scherbenhaufen", vor dem nun die Regierung stehe.
In der Tat durchleben die Kanzlerin und ihre schwarz-gelbe Koalition wieder einmal schwarze Tage. Zwar gab der Bundestag am Montag grünes Licht für das neue Griechenland-Paket und Union und FDP erreichten auch eine eigene Mehrheit. Allerdings verfehlte Regierung erstmals in einer wichtigen Euro-Abstimmung die symbolisch wichtige Kanzlermehrheit, eine Stimme mehr als die Hälfte aller 620 Abgeordneten. 17 Abgeordnete von CDU/CSU und FDP stimmten mit Nein, drei enthielten sich. Hinzu kamen sechs Abgeordnete, die angeblich auf Reisen waren oder krank danieder lagen. Die habe man ja schlecht mit einem "Notwagen einfahren" können, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Peter Altmaier.

Merkel fällt es immer schwerer, die Abgeordneten der Koalition auf Kurs zu bringen.
(Foto: dpa)
Gewiss, das musste die Regierung auch nicht, zumal ja auch SPD und Grüne schon vorher angekündigt hatten, für das Rettungspaket zu stimmen und somit das Ja nicht gefährdet war. Dennoch kann auch Altmaier das Ergebnis nicht schönreden: Bei allen vorherigen sechs Abstimmungen im Bundestag über die Euro-Rettungshilfen hatte Merkel noch stets die Kanzlermehrheit erreicht, wenn auch zuletzt, im September 2011, denkbar knapp. Damals hatten 15 Koalitionsabgeordnete gegen den erweiterten Euro-Rettungsfonds gestimmt oder sich enthalten. Die Zahl der Abweichler in den eigenen Reihen nimmt immer mehr zu, die der Unzufriedenen auch.
Selbst in ihrem Kabinett kann Merkel die Murrenden nicht mehr zum Schweigen bringen. Erst am Wochenende polterte Innenminister los und brachte einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ins Spiel. Zwar ruderte er wieder zurück, doch da war das Erscheinungsbild der Koalition schon weiter beschädigt und etliche Abgeordnete durften sich in ihren Zweifeln bestätigt fühlen.
Unzufriedenheit wächst
Das können sie auch, wenn sie die jüngsten Umfragen betrachten. So wird doch immer deutlicher, dass die Mehrheit der Deutschen die Hilfen für Griechenland, das vielen wie ein Fass ohne Bodern erscheint, nicht mehr nachvollziehen können. Laut der jüngsten Emnid-Umfrage im Auftrag der "Bild am Sonntag" wollen inzwischen 62 Prozent der Deutschen Athen kein Geld geben, nur noch 33 Prozent sind dafür. Im September waren die Kritiker mit 53 Prozent nur knapp in der Mehrheit. Für Abgeordnete wird es da zunehmend schwieriger, in ihren Wahlkreisen zu erklären, warum Milliarden für die Griechenland-Rettung bereit gestellt werden, während dort Schwimmbäder und Bibliotheken aus Finanznot geschlossen werden müssen.
Im Regierungslager übt man sich unterdessen in Schadensbegrenzung und stellt die Handlungsfähigkeit der Regierung heraus: "Auf die Kanzlermehrheit kam es überhaupt nicht an. Wir hatten eine deutliche eigene Mehrheit", sagte etwa der Vorsitzende der Unions-Fraktion, Volker Kauder, der "Bild"-Zeitung. Bundestagspräsident Norbert Lammert spricht von einer "Phantomdiskussion". Außenminister Westerwelle sieht wie die Kanzlerin alles vom Ergebnis her: Wenn 496 von 591 abstimmenden Abgeordneten dem Kurs der Bundesregierung zustimmten, dann sei dies ein Hort der Stabilität. "Alles andere ist oppositionelles Wunschdenken", sagte der FDP-Politiker weiter.
Doch vielleicht verfällt hier Westerwelle selbst dem Wunschdenken. Es wird zweifelsohne für die Regierung immer schwieriger, ihre eigenen Reihen bei den kommenden Abstimmungen zum Euro fest geschlossen zu halten. Die Entscheidung aus Karlsruhe macht das Regieren auch nicht leichter, sollen doch künftig statt eines kleinen Sondergremiums die Bundestagsabgeordneten mehr an den Entscheidungen zur Euro-Rettung beteiligt werden.
Die Abstimmung vom Montag war ein nicht zu überhörender Warnschuss für die Kanzlerin. Dabei war doch spätestens bei dem um den Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck unübersehbar geworden: Diese Koalition ist wie ein altes, unleidliches Ehepaar, das nur noch aus Angst vor der Trennung aneinander gekettet bleibt.
Quelle: ntv.de