
Keine gute Woche im Bundestag, außer für die AfD vielleicht.
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In einem historischen Streit im Parlament haben sich die Parteien der politischen Mitte verkeilt. Es verfestigt sich der Eindruck: Die AfD hat schon jetzt recht viel zu sagen.
Es ist die Woche eines historischen Tabubruchs und wie so oft ging es nicht um Recht, nicht um die Sache - es ging um Identität und Kommunikation: Es ging darum, wer wir sein wollen, wer wir auf keinen Fall sein wollen, für unsere Kinder und für Migranten. Es ging also um nichts und alles.
Um was für ein sachliches Nichts es geht, zeigt der Tabu-behaftete Gesetzentwurf, um den in einer denkwürdig aufgewühlten, lauten und teils pöbelnden Debatte am Freitag gestritten wurde: das nun gescheiterte "Zustrombegrenzungsgesetz". (Die Entschließungsanträge vom Mittwoch sind nicht einmal formaljuristisch relevant.) Zugespitzt steht die Frage im Raum, ob das Aufenthaltsgesetz nur von "Steuerung" der Zuwanderung sprechen darf oder auch von "Begrenzung".
Es ist also eine Variante von: Das wird man doch wohl sagen dürfen! Es war, sachlich betrachtet, eine Farce. Denn weder Friedrich Merz noch einer seiner vielen Gegner glaubte, dass dieses Regelwerk viel mehr bewegen würde als ein paar müde Maschinen in der Bundesdruckerei.
Abklatschen am Holocaust-Gedenktag
Dafür ging es ums Prinzip: Würde eine Mehrheit sagen, ja, wir wollen die Migration begrenzen? Sagt sie: Wir sehen die Ängste in der Bevölkerung, wir scheuen nicht aus Furcht vor Rassismusvorwürfen vor einem symbolischen Handeln zurück?
Die anderen: Würde eine Mehrheit sagen, ja, gern, mit Stimmen der Rechtsextremen? Schlägt die Union nun Löcher in die Brandmauer, während sich am 80. Holocaust-Gedenktag AfDler im Reichstagsgebäude abklatschten?
Sogar der Gesetzentwurf selbst sprach von seiner kommunikativen Funktion: Es sollte nämlich der Willkommensgruß des Merkel-Selfies umgekehrt werden. Die Forschung habe ergeben, Einwanderer würden zwar nicht die Details der Rechtslage kennen, aber fragmentarische Signale durchaus hören. Migranten sollten jetzt also ein neues Signal erhalten: Kommt nicht hierher! Wir wollen Euch nicht mehr!
Mehr Migration oder nicht
Mehr Migration oder nicht, das ist die selten ausgesprochene Schlüsselfrage, die das politische Spektrum in zwei Teile schlägt. Dabei verlaufen die Grenzen nicht entlang der Parteien, wie man meinen könnte. Sie laufen entlang jener, die die Realität wahrnehmen, und jenen, die sie aus ideologischen Gründen vermeiden. Denen Sprache und Haltung näher ist als die Sorgen in weiten Teilen der Bevölkerung nach Anschlägen, deren Täter mehr miteinander gemein haben, als sich noch mit aller Kraft übersehen ließe. Das blitzte durch, als die Grüne und Außenministerin Annalena Baerbock ausdrücklich betonte, sie traue sich durchaus, das Wort "Begrenzung" in den Mund zu nehmen. Aber das gilt eben nicht für alle in der Partei.
In dieser Woche sprach ich mit einer sich als links verortenden Soziologin über den Umgang identitätspolitischer Linker mit migrantischer Kriminalität. Ob es nicht eine schlichte Wahrheit sei, dass das Land sicherer wäre, wenn es weniger Einwanderer aus etwa Syrien oder Afghanistan gebe, fragte ich. Nicht, weil die Menschen dort schlechter seien, aber weil mehr Männer und mehr psychisch kranke Menschen auf eine bis auf Weiteres komplett überforderte Verwaltung stießen.
Ob sie nicht sehe, fragte ich weiter, dass die Kette vergangener Taten eben nicht durch "Kartoffeln" oder "Biodeutsche" begangen worden seien, sondern eben durch Migranten. Sie wog den Kopf, ihr gefiel die Frage nicht. Dann hatte sie einen Gedanken: Andreas Lubitz! Der flog bekanntlich eine vollbesetzte Germanwings-Maschine in einen Berg, der sei ja wohl Deutscher gewesen. Beweisführung abgeschlossen!
Ideologische Verkrampftheit
Das ist die Verkrampftheit, die dieses Land seit vielen Jahren von einer rationalen Debatte abhält. Diese Art des Denkens hat einen großen Hohlraum gelassen, in den die AfD hineinsprühen konnte wie Bauschaum.
Es ist dieselbe Verkrampftheit, die dafür sorgt, dass Menschen rechts von links einen komplett verkorksten Umgang mit Sprache ertragen. Das "Zustrombegrenzungsgesetz" sei Wortwahl der Rechtsextremen, wurde mir mehrfach mit mahnender Miene erklärt. Man solle ja auch nicht von "Menschenflut" und "Flüchtlingswellen" sprechen.
Das mögen unschöne Begriffe sein - aber was passiert eigentlich, wenn Tausende Menschen in ein Fußballstadion laufen? "Strömen" sie dann etwa nicht? Diese Wortpolizeiarbeit muss aufhören. Sie nützt niemandem und schadet dem Diskurs.
Alle blau
Noch so saubere Ausdrucksweise schützt nicht: Was immer man tut, es nützt offenbar der AfD. Nach dieser Debatte waren alle Abgeordneten blau, wie nach einer Tomatina mit Heidelbeeren: Niemand übrig, der nicht dem jeweils anderen vorgeworfen hätte, die AfD durch dieses oder jenes Verhalten gestärkt zu haben. Sei es durch eine "Zufallsmehrheit", die nicht zufällig ist. Sei es durch hohle Beschwichtigungen nach Attentaten. Sei es durch ideologisch verbohrte Handlungsunfähigkeit. Sei es durch den Antrag für ein, zumal zu diesem Zeitpunkt, reichlich symbolisches AfD-Verbotsverfahren.
Am Freitag schien es kurz, als würden sich SPD und Grüne einerseits und Union mit der FDP anderseits noch auf Sacharbeit einigen können. Doch die Union wollte nicht auf das Druckmittel verzichten, notfalls mithilfe der AfD-Stimmen ans Ziel zu kommen. SPD und Grüne verlangten wiederum dem Vernehmen nach einen kategorischen Ausschluss blauer Unterstützung: Eine Brandmauer ohne noch so kleine Fenster.
Merz hat seine gewagte Wette - "all in" - verloren. Das Zustrombegrenzungsgesetz ist gescheitert, auch weil Abgeordnete aus den eigenen Reihen nicht mehr mitmachen wollten. Der Kanzlerkandidat der Union ist beschädigt, aber er ist nicht der Einzige mit einem blauen Auge: Was nun bleibt, ist ein verändertes Gesicht Deutschlands.
Die AfD hat für alle erkennbar das Sagen, jetzt schon. Sie verängstigt Migranten und viele Juden in Deutschland, jetzt schon. Als der Holocaustüberlebende Albrecht Weinberg sein Bundesverdienstkreuz zurückgibt, weil der Bundestag einen Beschluss mit AfD-Stimmen fasst, schreiben komplett erkaltete Hassfratzen im Internet, Weinberg sei "senil" und kapiere nicht, dass die Migranten ihn viel mehr bedrohten als Rechtsextreme.
Diskursives Versagen der bürgerlichen Mitte
Die Aufarbeitung der Frage, wie Deutschland an diesen furchtbaren Punkt gelangen konnte, hat noch nicht einmal im Ansatz begonnen. Eines ist sicher: Das diskursive Versagen der bürgerlichen Mitte hat nicht Ende Januar 2025 begonnen, sondern mindestens zehn Jahre früher. Dazu passt, dass sich aus der Tiefe dieses Raums Altkanzlerin Angela Merkel meldete, um Friedrich Merz unter Applaus einen Kiesel an den Kopf zu flanken.
Unsere neue Nachkriegsidentität vom Sommermärchen 2006 können wir uns, da wird der 23. Februar nichts mehr dran ändern können, erst einmal in die Haare schmieren. Viele Menschen, die nicht dem AfD-Wunschbild entsprechen, werden nun einen Koffer packen, für alle Fälle. Andere kommen gar nicht erst. Es werden jeweils die Falschen sein - Deutschland ist am 31. Januar ein Stück ärmer geworden, nicht nur moralisch.
Quelle: ntv.de