Wieduwilts Woche

Wieduwilts Woche Warum die AfD noch nicht halbiert ist

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Im Thüringer Wahlkampf unterstützte Weidel Spitzenkandidat Björn Höcke - einen Rechtsextremisten.

Im Thüringer Wahlkampf unterstützte Weidel Spitzenkandidat Björn Höcke - einen Rechtsextremisten.

(Foto: Martin Schutt/dpa)

Die Deutschen flüchten angesichts hoher AfD-Umfragewerte in schlichte Erklärungen: Es liegt an Tiktok, es liegt an Russland, es liegt an Desinformation, es liegt an der DDR. Nur an den Deutschen, an denen liegt es nicht.

Komplett unmöglich scheint der Gedanke zu sein, dass die AfD sich ihren Erfolg selbst erarbeitet hat durch das, was sie anbietet: antieuropäische, anti-"woke" und libertäre Inhalte, den Charme des Unverbrauchten und eine in weiten Teilen hochprofessionelle Kommunikation im Netz.

Wie bitte? Ich soll die AfD nicht auch noch loben? Es reicht doch, wenn dieser Musk das macht? Ich bitte Sie, besorgte Leserin, besorgter Leser: Darauf kommt es nun wirklich nicht mehr an. Die AfD steht in manchen Umfragen bei 20 Prozent und hat erfolgreiche Landtagswahlen hinter sich, auch wenn das etwas in Vergessenheit zu geraten scheint. Alice Weidel ist bei INSA sogar die beliebteste hypothetische Kanzlerkandidatin.

Elektropionier unterstützt lesbische Parteichefin

Wenn die AfD im Februar das absehbare Schockergebnis erzielt hat, wird eine der Erklärungen lauten: Elon Musk hat die Partei unterstützt. Immerhin wird der Milliardär dann womöglich Alice Weidel persönlich getroffen haben - die Vorbereitungen für ein solches Treffen laufen angeblich.

Tatsächlich könnte die AfD dadurch noch ein paar Punkte hinzugewinnen, schon wegen des Normalisierungseffekts: Wenn der unfassbar erfolgreiche, Raketen-fangende Milliardär und Pionier der Elektromobilität eine lesbische Parteichefin unterstützt, kann die in Teilen rechtsextreme Partei so schlimm ja wohl nicht sein!

Wer aber den Grund für den AfD-Erfolg bei "Wahlbeeinflussung" durch Elon Musk verortet, begibt sich auf einen gefährlichen Pfad: Die vorsorgliche Entwertung einer anstehenden Wahl ist genau die Strategie, die Donald Trump und seine Anhänger angewendet haben. Musk stört nicht die Bundestagswahl, er stört das Wunschergebnis.

Flucht vor der bitteren Wahrheit

Dabei braucht die AfD ihn gar nicht unbedingt. Stünden die Rechtsextremen bei fünf Prozent, hätte Musk die Partei vermutlich gar nicht gekannt. Musk ist ein Gewinnertyp, weil er auf Gewinner setzt. Vielleicht hätte er sich dann bei Christian Lindner untergehakt - oder stattdessen ein bisschen mehr Diablo IV gespielt.

Die AfD steht aber nicht bei fünf Prozent, sondern beim Vierfachen - und da hat sie niemand hingezaubert.

Es gibt drei unbequeme Gründe, warum die AfD erfolgreich ist, über die man nicht so gern spricht wie über Zauberalgorithmen und böse Milliardäre: Sie scheint sich zu kümmern, sie ist neu, sie kann kommunizieren.

Erstens: Sie scheint sich zu kümmern

Die AfD ist für Atomkraft und gegen die EU. Zwei der größten Schmerzpunkte in Deutschland scheinen durch diese Politik behandelt zu werden: die hohen Energiekosten und die erstickende Bürokratie. Andere Parteien versprechen zwar schonende Umsetzung der in Brüssel beschlossenen Richtlinien, aber scheuen vor institutioneller EU-Kritik zurück - das Thema hat man längst Nationalisten überlassen.

Auch bei der Migration, dem dritten großen Schmerzpunkt der deutschen Öffentlichkeit, hat die AfD lange für Abschiebungen getrommelt, bevor der SPD-Kanzler auf dem "Spiegel"-Titel versprach: Abschieben, "im großen Stil". Dort, wo die anderen Parteien hinrücken, scheint die AfD schon dagewesen zu sein.

Wohlgemerkt: Dass die Partei eines der Probleme lösen könnte, ist damit nicht gesagt - und der EU-Austritt Deutschlands etwa wäre für viele AfD-Wähler ein wirtschaftliches Desaster. Aber die Partei hat das Thema besetzt.

Zweitens: Newcomer-Bonus

Die AfD ist nicht mehr blutjung, aber weil sie noch nie im Amt versagen konnte, trägt sie keinen Ballast. Sie weckt daher besondere Disruptionshoffnungen und das dürfte auch den Hyperdisruptor Elon Musk faszinieren.

Diese Neuheit unterscheidet die AfD fundamental von anderen Parteien, vor allem von der CDU. Wann immer Friedrich Merz schneidige Forderungen in den Raum stellt, sei es zu Migration, Atomkraft, Verbrennerverbot oder Infrastruktur, muss er sich fragen lassen: Was habt ihr denn eigentlich gemacht die letzten 75 Jahre? Was machen eure Leute eigentlich in Brüssel?

Die AfD präsentiert sich als neuer, gut kehrender Besen, das gefällt vor allem parteiverdrossenen Wählerinnen und Wählern. Dass neue Bewegungen im aktuellen Klima besonders schnell Momentum entwickeln können, haben auch andere gezeigt, von Emmanuel Macron bis Sahra Wagenknecht.

Drittens: Professionelle Kommunikation

Der dritte Grund ist die professionelle Kommunikation der AfD. In Deutschland rümpft man aus historischen und kulturellen Gründen die Nase über das hübsche Verpacken von Inhalten und Inszenierung. Das ist brav, sachlich und sehr innerlich - aber dafür bekommen wir jetzt die Quittung. Die AfD kennt so eine Scheu nämlich nicht: Während manche noch irrtümlich glauben, sie müssten tanzen und singen, um auf Tiktok Erfolg zu haben, macht die AfD dort das, was wirklich funktioniert: Sie punktet mit verknappten Inhalten.

Wenn in Magdeburg ein Auto in einen Weihnachtsmarkt rast, ist die AfD sofort auf Sendung, und zwar professionell: Der auf Social Media besonders erfolgreiche Landtagsabgeordnete Ulrich Siegmund etwa weiß, wie man in eine Kamera schaut, das richtige Licht aufstellt und den Ton aufnimmt. Das ist alles kein Hexenwerk - man muss es allerdings machen. Dieses Tempo halten viele Politiker nicht mit, erst recht nicht, wenn sie nebenbei regieren müssen.

Social Media beginnt auch nicht erst, wenn man sich mit dem Handy ins Büro stellt. Die AfD-Bundestagsabgeordneten schreiben ihre Parlamentsreden so, dass sie in Kurzvideos der großen Plattformen verwertet werden können. Kurze Sätze, konkrete Formulierungen. Von so einer ganzheitlichen Betrachtung merkt man bei Union, SPD, Grünen und FDP nicht viel.

Weinen zwecklos

Man kann die nach Kürze, Knappheit und Kontrast gierende Digitalöffentlichkeit als Kulturverfall beweinen, sich ein Tiktok-Verbot wünschen und Musk beschuldigen, Deutschland wieder ins Rechtsextreme zu zerren. Aber mit Hysterie, Selbstentlastung und Regulierungsfantasien wird sich die AfD nicht eindämmen lassen.

Wer gegenhalten will, muss der AfD inhaltlich und auch kommunikativ ebenbürtig sein. Die CDU als natürlicher Gegner der AfD enttäuscht bislang: Die Partei sonnt sich offenbar in guten Umfragen, lässt sich sogar Türchen zu den Grünen offen.

Friedrich Merz wird sein ehemals ausgerufenes Ziel, die AfD zu halbieren, mit diesem Schlafwagen-Modus nicht verwirklichen.

Quelle: ntv.de

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