Sachsen Steigende Zahlen: "Neuer" Antisemitismus auf dem Vormarsch
24.09.2025, 05:32 Uhr
(Foto: Daniel Reinhardt/dpa)
Antisemitische Straftaten mit ausländischer Ideologie haben sich in Sachsen verfünffacht. Was steckt dahinter – und warum bleibt vieles im Dunkeln?
Dresden/Berlin (dpa/sn) - Die Anzahl antisemitischer Straftaten jenseits des links- und rechtsextremen Spektrums in Sachsen nimmt zu. Laut einer Sonderauswertung der Kriminalstatistik des Landeskriminalamts hat sich die Anzahl antisemitischer Straftaten in diesem Bereich in den vergangenen vier Jahren mehr als verfünffacht. Das geht aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Ronald Pohle hervor.
Konkret geht es um Straftaten, die dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität "ausländische Ideologie" zuzuordnen sind. Gemeint sind damit laut Definitionssystem des Bundeskriminalamts Straftaten, die auf eine aus dem Ausland stammende, nichtreligiöse Ideologie zurückgehen. Die Staatsbürgerschaft der Täter ist dabei unerheblich. Hinzu kommen antisemitische Straftaten mit "religiöser Ideologie" und solche, die in den Bereich "Sonstige" fallen und den übrigen Kategorien nicht zuzuordnen sind.
Sprunghafter Anstieg in wenigen Jahren
Wurden im Jahr 2020 noch neun Taten in diesen drei Bereichen erfasst, waren es 2023 bereits 67. Im jüngsten Erhebungszeitraum im vergangenen Jahr lag die Zahl bei 49 - 34 davon in der Kategorie "ausländische Ideologie".
Die gesamtgesellschaftliche Stimmung sei "aufgeheizt", die Weltlage "unübersichtlich", so Pohle. "Einer unserer großen Werte ist die Glaubensfreiheit und das sogenannte Gewaltmonopol des Staates." Dies dürfe keinesfalls infrage stehen. Die vorliegenden Zahlen müssten nun die Diskussionsgrundlage dafür sein, wie das Innenministerium mit dieser Entwicklung umgehe, so der CDU-Politiker, der auch Mitglied im Innenausschuss des Landtags ist.
Rechtsextremer Antisemitismus bleibt dominant
Die mit Abstand dominanteste Form antisemitischer Straftaten bleibt allerdings die politische Kriminalität mit rechtsextremem Hintergrund: Allein in diesem Bereich hat das LKA in den vergangenen beiden Jahren je rund 200 Straftaten erfasst. Der weit überwiegende Anteil der ermittelten Täter und Tatverdächtigen hat dabei die deutsche Staatsangehörigkeit. In den vergangenen beiden Jahren lag der Anteil bei rund 80 und 93 Prozent. Das LKA registrierte im Zeitraum 2019 bis 2023 eine Verdreifachung der antisemitischen Angriffe. 2023 erreichte die Zahl mit 275 einen vorläufigen Höchststand. Im vergangenen Jahr gab es erstmals wieder einen leichten Rückgang.
Für Alexander Rasumny sind die Zahlen wenig überraschend. Bereits im Umfeld Corona-kritischer Demonstrationen in den Jahren 2020 und 2021 sei es zur zunehmenden Verbreitung antisemitischer Verschwörungsmythen gekommen, sagte der Sprecher der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung, Ofek. Der Verein betreibt Beratungsstellen in mehreren Bundesländern, darunter Sachsen, und ist zudem auch Träger der Meldestelle RIAS in Sachsen, die landesweit antisemitische Vorfälle mit und ohne Straftatbestand dokumentiert. Auch die RIAS-Zahlen stiegen von Jahr zu Jahr und lagen im vergangenen Jahr noch einmal deutlich über denen der Polizei und des LKA. 2024 erfasste RIAS Sachsen 349 Vorfälle.
Hochschulen im Fokus seit dem 7. Oktober 2023
Es gebe eine hohe Dunkelziffer, so Rasumny. "Wenn man dann tatsächlich eine polizeiliche Anzeige stellen würde etwa im Nachbarschaftsbereich, dann haben manche Menschen Sorge um die eigene Sicherheit. Täter und Opfer kennen sich mitunter. Auch negative Erfahrungen mit der Polizei können eine Rolle spielen." Hinzu kämen Bereiche des Antisemitismus, die die Polizei nicht als strafbar erachte. Gerade beim israelbezogenen Antisemitismus gebe es eine Bandbreite an Äußerungen, die nicht illegal seien, die aber nach dem Stand der Forschung als antisemitisch betrachtet würden. Ob die Meldestellen den Betroffenen empfehlen, eine Anzeige zu erstatten, sei eine Einzelfallentscheidung.
Ähnlich wie zuletzt in Thüringen berichtet auch Ofek von einer steigenden Zahl antisemitischer Vorfälle im Bereich der Hochschulen: Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 habe RIAS 33 Fälle an Hochschulen in Sachsen dokumentiert. 31 von 33 hätten demnach einen direkten Bezug zum Thema Israel und zum israelbezogenen Antisemitismus gehabt, berichtet Rasumny. "Es ist zu beobachten, das zunehmend alte Stereotypen und Mythen bemüht und bewusst reaktiviert werden."
Quelle: dpa