"Unfassbar für uns und von uns" Hummels stürzt in die Leere - und stützt Löw
28.06.2018, 01:53 Uhr
Mats Hummels: An ihm lag es nicht, dass Deutschland bei der WM ausgeschieden ist. Aber er hatte eine Chance, das zu verhindern.
(Foto: picture alliance/dpa)
Er kämpft und grätscht bis zum Schluss. Er schreit, ist als Innenverteidiger torgefährlichster DFB-Kicker gegen Südkorea. Verhindern kann auch Mats Hummels das absurde deutsche WM-Aus nicht - verstehen auch nicht.
Auf den letzten Metern wirkte es, als hätte Mats Hummels Betonklötze an den Füßen. Ganz langsam kam der gefallene Weltmeister in die Mixed Zone der Kasan-Arena, und nun stand er da und sollte seine Gefühle nach dem historischen deutschen WM-Aus beschreiben. Der hilflose 0:2-Sturz in die Maximal-Katastrophe gegen Südkorea war da noch keine Stunde alt, und die ersten Worte, die Hummels nach mehreren Sekunden Bedenkzeit schließlich fand, waren: "Ja, leer tatsächlich."
Hummels war anzusehen und anzuhören, wie es in ihm arbeitete. Wie er Gedanken wälzte und wieder verwarf, Erklärungen suchte, Ansätze zumindest, und keine fand. Es war einfach so: "Ich krieg‘s selber nicht so gegriffen für mich, die Gedanken, die jetzt alle da sind. Es ist schon unfassbar enttäuschend - für uns und von uns, das muss man ja so klar sagen." Die Fassungslosigkeit, die Hummels‘ Teamkollegen im Angesicht des WM-Fiaskos schon in der Schlussphase gegen Südkorea paralysiert hatte, sie schien jetzt auch ihn zu befallen.
Im Spiel hatte er bis zum Schluss alles versucht. Hinten alles weggegrätscht und geköpft, die Mitspieler zwischendurch lautstark gerüffelt, und vorne selbst Chancen gehabt. Er war als Innenverteidiger der torgefährlichste deutsche Spieler gegen Südkorea gewesen, was viel über Hummels aussagt, aber leider noch viel mehr über den erneuten Kollaps eines deutschen WM-Spiels an diesem Nachmittag. Als alles vorbei war nach 99 frustrierenden Minuten, hatte sich Hummels zur deutschen Bank geschleppt, so schwerfällig wie nun in die Mixed Zone.
Die "sportlich größte Enttäuschung meines Lebens bisher", das sei das Vorrunden-Aus in Russland als Weltmeister. Und er musste sogar kurz bitter lächeln, als er bilanzierte: "Damit habe ich zwei Weltmeisterschaften gespielt. Eine war der größte Erfolg meines Lebens auf sportlicher Ebene, die andere die größte Enttäuschung. Ja, schwer zu verarbeiten."
Absturz statt Auferstehung
Auch deshalb, weil der Spielanalytiker in Hummels nach dem Spiel diesmal versagte. Bei der gesamten WM sei das deutsche Team "nicht in diesen Spielrhythmus reingekommen, den wir, sagen wir mal, bis Mitte, fast Ende letzten Jahres hatten. Das muss man klar sagen. Wir waren nie so stark, so dominant wie wir es von uns selber gewohnt waren."
"Hoffentlich", hatte er nach dem Schweden-Drama in Sotschi auf die Frage geantwortet, ob dieser Sieg eine Initialzündung für das weitere Turnier und das Gruppenendspiel gegen Südkorea sein könnte. Obwohl durch Schwedens 3:0 gegen Mexiko schon ein langweiliger deutscher 1:0-Sieg zum Weiterkommen gereicht hätte, folgte stattdessen der Absturz gegen Südkorea.
Nur warum, das konnte Hummels nicht mal im Ansatz erklären. "Gegen Mexiko habe ich ja auch danach relativ klar gesagt, was ich dachte, was falsch war. Heute kann ich jetzt nicht 100 Prozent sagen, dies oder das war falsch. Wir haben jetzt wirklich nicht gut, berauschend gespielt. Wir hatten dennoch genug Möglichkeiten für ein Tor, die haben wir dann nicht genutzt. So kam dann alles zusammen mit einem dann natürlich sehr unglücklichem Gegentor in der 90. Minute."
Aber selbst das hatte das Team ja "noch nicht mal endgültig rausgenommen", haderte Hummels, der anders als Bundestrainer Joachim Löw und seine Teamkollegen auch nach dem Rückstand an ein Fußballwunder geglaubt, dafür gekämpft hatte: "Selbst danach habe ich nochmal eine gute Kopfballchance, die uns nochmal drei, vier Minuten gegeben hätte." Er hatte drüber geköpft in dieser 96. Minute und war danach, die Hände vorm Gesicht, vor dem südkoreanischen Tor in die Knie gesunken.
Am Ende hätten bei dieser WM einfach "viele Dinge nicht zusammengepasst, ohne dass man das genau beziffern kann. Auch ohne das jetzt alles schlecht war, auch wenn das jetzt natürlich ein Satz ist, den man fast nicht sagen darf wenn man verloren hat und ausgeschieden ist." Es war allerdings ein Satz, der dieses seltsame deutsche WM-Turnier trotzdem sehr gut zusammenfasste. Dieses Turnier der Qual, der Zweifel, der verlorenen Leichtigkeit, in dem die DFB-Elf gegen Mexiko erst nicht richtig zu wollen schien und gegen Südkorea dann einfach nicht konnte.
"Muss einfach das Gesamtheitliche sehen"
Auch wenn Hummels klare Antworten für die Gründe des fußballerischen Versagens des Weltmeisters in Russland fehlten: Unmissverständlich war seine Antwort, ob er den zweifelnden Bundestrainer Löw darin bestärken würde weiterzumachen. "Ich glaube, das war jetzt das allererste Mal, das unter seiner Trainerschaft irgendetwas nicht so gut funktioniert hat. Davor jedes Mal das Halbfinale, jedes Mal die Quali geschafft", viele Nationen wären glücklich darüber: "Klar, jetzt haben wir alle Fehler gemacht. Aber ich denke, man muss einfach das Gesamtheitliche sehen, in dem vieles jahrelang auf höchstem Niveau war. Das haben wir jetzt eben im Jahr 2018 nicht auf den Platz gekriegt. Mit Ausnahme von Teilen des Spanien-Spiels (im März, Anm.d.Red.) waren wir einfach nicht so stark, wie wir gedacht haben, wie wir erhofft haben."
Ob er sich wünschen würde, dass trotz des WM-Fiaskos kein öffentlicher Druck auf den Bundestrainer ausgeübt werde? "Natürlich würden wir uns das wünschen", sagte Hummels, Illusionen mache er sich aber keine: "Aber egal, wenn alle 23 sagen, wir finden den Weg gut, den wir gegangen sind, den wir gehen, selbst das würde ja nichts daran ändern, dass dann am Ende die Öffentlichkeit natürlich auch auf eine gewisse Art reagieren wird." Dann ging er. Ohne Betonklötze. Und ohne Antworten für sich und alle anderen.
Quelle: ntv.de