Wirtschaft

Doppel-L für gestresste Lauscher Bahn lehrt Güterwaggons das Flüstern

Unser Zug soll leiser werden - Die Bahn rüstet ihre Waggons um.

Unser Zug soll leiser werden - Die Bahn rüstet ihre Waggons um.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Bahn verfügt über eine Flotte von 64.000 Güterwagen. Und nicht selten fahren diese durch dichtbesiedeltes Gebiet. Ein Vorgang, der nicht zu überhören ist - das aber soll sich ändern.

Axel Radowsky muss schon recht tief in die Knie gehen, um die zwei Buchstaben zu zeigen. Zwei große gelbe L in einem Kreis, aufgesprüht auf das rot-braune Fahrgestell eines Güterwagens. An dem Kürzel erkennen lärmgeplagte Bahn-Anwohner, ob der Wagen die neue lärmmindernde Bremstechnik hat.

Dass die Menschen das auch hören können, dafür sind Fertigungssteuerer Radowsky und seine Kollegen im Bahnwerk Seddin zuständig. Hammerschläge dröhnen durch die Halle südlich von Berlin. Schlosser mit Helmen steigen in Gruben unter Waggons aller Arten. Rote, braune Wagen, offene, geschlossene, Kesselwagen. LL, das steht für Low noise und Low friction, wenig Lärm durch wenig Reibung, und meint die Bremsen. 1200 Güterwagen haben in den vergangenen drei Jahren in Seddin neue Bremsen bekommen.

Bundesweit fährt inzwischen die Hälfte der Güterwagen der Deutschen Bahn mit sogenannten Flüsterbremsen - nach "einer internen Kraftanstrengung", wie DB Cargo-Chef Jürgen Wilder sagt. "Bis Ende 2020 wird unsere gesamte Flotte in Deutschland von rund 64.000 Wagen leise fahren."

16 Sohlen pro Wagen

Flüsterbremse (r.) und herkömmliche Sohle.

Flüsterbremse (r.) und herkömmliche Sohle.

(Foto: dpa)

Im Bahnwerk Seddin steigt Fertigungsleiter Mario Krüger unter einen Wagen. Zwei Hammerschläge an der Bremse, dann springt ein Keil raus, und die Bremssohle lässt sich herausnehmen - ein ziegelsteingroßes, gebogenes Stück Eisen, das zum Bremsen gegen das Rad gedrückt wird. Neue Bremssohle rein, Hammerschläge auf den Keil, fertig. "16 Sohlen pro Wagen tauschen wir so aus", sagt Krüger.  Die neuen Bremsklötze sind nicht aus Eisen, sondern aus einem Verbundkunststoff.

"Flüsterbremse", diesen Werbebegriff hat sich die Bahn-Branche dafür ausgedacht, doch er führt in die Irre. "Es geht nicht um das Bremsen. Das wird immer Geräusche machen", erklärt Radowsky. Aber die Kunststoffbremse raut die Radoberfläche weniger auf als die herkömmlichen Eisenstücke. Und das senkt das Rollgeräusch, den Lärm -  auch wenn das Wort «Flüstern» übertrieben ist. Die Technik soll die Lautstärke um etwa 10 Dezibel auf rund 75 Dezibel senken - was als Halbierung wahrgenommen wird.

Wenn in 25 Metern Entfernung ein Güterzug vorbeirattert, ist es dann noch in etwa so laut wie in einem Café. Das ist eine Entlastung für Anwohner an stark befahrenen Güterstrecke wie etwa im Mittelrheintal, aber auch an Innenstadt-Routen wie in Berlin-Pankow. 

230 Millionen Euro bis 2020

Die Bahn kostet das viel Geld. Allein für die aufwendigere Wartung der Kunststoffbremsen rechnet sie bis 2020 mit Mehrkosten von bis zu 230 Millionen Euro. Warum macht die Bahn das? Vorstand Ronald Pofalla spricht von Verantwortung für die Anwohner, sagt aber auch: "Wir brauchen eine höhere Akzeptanz für unsere Transporte und für den Ausbau der Strecken."

Zudem hat der Bund der Branche und damit auch seinem Staatskonzern die Pistole auf die Brust gesetzt; immerhin gehört ihm jeder dritte Güterwagen auf deutschen Gleisen. Die Regierung will den Schienenlärm bis 2020 im Vergleich zu 2008 halbieren. Sie fördert deshalb die Umrüstung, hat kurz vor Weihnachten aber auch beschlossen, laute Güterwagen Ende 2020 zu verbieten.

Denn Lärm macht krank. "Für Menschen, die nachts permanent hohen Schalleinwirkungen ausgesetzt werden, sind die Risiken gesundheitlicher Beeinträchtigungen signifikant erhöht", heißt es im Gesetzentwurf. Züge ohne die neue Technik müssen demnach langsamer fahren, um leiser zu sein.

Durch diese Ausnahme könnte aber die Kapazität der Schiene sinken, weil langsamere Güterzüge das Netz verstopfen, fürchten Kritiker. Die Bahn und die übrigen Güterwagenhalter in Deutschland wollen das Gesetz deshalb an dieser Stelle verschärft sehen. "Unser Ziel muss ein flächendeckender Einsatz leiser Wagen sein", heißt es beim Verband der Güterwagenhalter in Deutschland. Er fordert höhere Trassengebühren für laute Züge. In den Bahnwerken und auf Rangierbahnhöfen geht unterdessen die Umrüstung weiter. "Wir bekommen den leisesten Schienengüterverkehr in Europa - neben der Schweiz", verspricht die Bahn.

Quelle: ntv.de, von Burkhard Fraune, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen