Jetzt noch Aktien kaufen? "Der DAX ist mit reichlich Luft bewertet"
17.12.2023, 10:20 Uhr Artikel anhören
An den Börsen herrscht Partystimmung.
(Foto: imago images/U. J. Alexander)
An der Börse geht es kräftig aufwärts. Der DAX erreicht ein Rekordhoch. Worauf Anleger jetzt achten sollten, erklären zwei Börsenexperten im Interview.
ntv.de: Zum Jahresende legen die Aktienmärkte einen Endspurt hin. Und all das nur, weil Zinssenkungen der US-Notenbank Fed und der EZB wahrscheinlicher geworden sind?
Daniel Saurenz: Fed-Chef Jerome Powell hat die Weihnachtsgeschenke frühzeitig präsentiert, als er drei Zinsschritte nach unten für das nächste Jahr angedeutet hat. Sinkende Zinsen, stabile Erträge der Unternehmen und ein stabiler Arbeitsmarkt in den USA - das ist das Wohlfühlszenario momentan an der Börse und für 2024 das eingepreiste Szenario.
In Deutschland sieht es unerfreulicher aus. Bundesbank und Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen mit einer Rezession. Der DAX klettert trotzdem auf den höchsten Stand seiner Geschichte. Wird das an der Börse ausgeblendet?
Benjamin Feingold: An der Börse werden Erwartungen gehandelt. Und die Anleger erwarten für nächstes Jahr, dass die Zinsen sinken - nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Das wird der deutschen Wirtschaft helfen.
Saurenz: Wichtig für den Markt ist auch, warum die Zinsen gesenkt werden. Wenn die Notenbanken das aus einer Position der Stärke machen, weil sie die Inflation in den Griff bekommen haben, ist das gut. Werden die Zinsen gesenkt, weil eine sich abkühlende Konjunktur angeschoben werden muss, ist das schlecht für die Börse.
In den USA liegen die Leitzinsen auf dem höchsten Niveau seit mehr als 20 Jahren. Selbst nach Zinssenkungen werden sie weiterhin hoch sein. Und dennoch feiert die Börse eine Party?
Feingold: Für dieses Jahr hatten viele erwartet, dass die US-Wirtschaft aufgrund der rasant gestiegenen Zinsen Probleme bekommt. Doch momentan sieht es so aus, als sinke die Inflation, ohne dass es zu einer Rezession kommt. Der Arbeitsmarkt ist stabil. Momentan herrscht am Aktienmarkt gute Laune. Doch die Stimmung kann sich an der Börse schnell ändern.
Wie viel Hoffnung steckt in den Kursen der DAX-Unternehmen?
Saurenz: Insgesamt ist der DAX mit reichlich Luft bewertet. Allein SAP hat 500 Punkte in diesem Jahr zum Rekord beigesteuert. Auch Rheinmetall und Adidas sind sehr gut gelaufen. Die klassischen zyklischen Aktien sind aber noch im Keller, beispielsweise BASF oder Lanxess. An diesen Aktien zeigt sich gut, was es an Bedenken für die deutsche Wirtschaft etwa angesichts der Energiepreise gibt. Bei anderen Aktien ist dagegen schon ein rosarotes Szenario eingepreist.
Feingold: Die Unternehmen müssen liefern. Für den DAX gilt das Gleiche wie beispielsweise für die US-Technologieaktien. Nach derzeitigem Stand ist die Bewertung ok, aber bei den erwarteten Gewinnen darf es keine Enttäuschung geben.
Lohnt sich angesichts der seit Herbst laufenden Rally noch ein Einstieg?
Feingold: Das kann man pauschal nicht sagen. Ein Beispiel ist der Nasdaq 100. Dort sind die "Magnificent Seven" durchaus sportlich bewertet, also Apple, Nvidia, Alphabet, Meta, Amazon, Tesla und Microsoft. Sie machen 40 Prozent der Bewertung vom Nasdaq 100 aus. In dem Index sind noch 93 weitere Unternehmen. Es ist möglich, dass es im nächsten Jahr zu einem Favoritenwechsel kommt und andere Aktien sich sehr viel besser entwickeln als die "Glorreichen Sieben".
Saurenz: Das Beispiel mit der U-Bahn oder der Straßenbahn, der man nicht hinterherlaufen soll, weil die nächste bald kommt, ist zwar abgedroschen, aber trifft an der Börse dennoch zu. Im Oktober war die Stimmung an der Börse sehr mies, da waren die Kurse tief. Jetzt ist die Stimmung sehr gut, und die Kurse sind sehr stark gestiegen. Auch in Zukunft wird es Zeiten geben, in denen kaum jemand Aktien haben will und die Kurse nach unten gehen. Das sind gute Kaufgelegenheiten. Dieses Weihnachten sind die Kaufgelegenheiten aus Chance-Risiko-Sicht allerdings nicht besonders prickelnd.
Benjamin Feingold und Daniel Saurenz betreiben das Börsenportal "Feingold Research". Mit ihnen sprach Jan Gänger.
Quelle: ntv.de