Bahn-Chef Lutz im Interview "Es soll nicht mehr schlechter werden"
08.06.2023, 10:13 Uhr Artikel anhören
Die Bahn geht für dieses Jahr von rund 155 Millionen Fahrgästen in den ICE- und IC-Zügen aus.
(Foto: picture alliance/dpa)
Miese Pünktlichkeit, marode Infrastruktur. Den Zustand auf der Schiene in Deutschland redet auch Bahnchef Lutz nicht schön. Im Interview mit RTL verspricht er, den jahrelangen Investitionsstau abzubauen.
Bahnchef Richard Lutz macht gebeutelten Fahrgästen Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Zugleich bat er im RTL-Interview um Geduld. In den vergangenen Jahren sei zu wenig in die Infrastruktur der Bahn investiert worden. Es dauere Jahre, um diese Versäumnisse aufzuholen. "Wir müssen an unseren Defiziten arbeiten", sagte Lutz. Die Bahn habe "Luft nach oben".
Das Grundproblem des Konzerns sei, dass mit der bestehenden Infrastruktur immer mehr Passagiere und Fracht befördert werden müssen. "Wir haben kein Nachfrageproblem. Menschen wollen Bahn fahren, und Unternehmen wollen Güter auf die Schiene verlagern". Vor diesem Hintergrund sei die Infrastruktur der Bahn "nicht mehr ausreichend dimensioniert - und ein Stück weit zu alt und zu störanfällig." Das sei auch der Hauptgrund für Verspätungen. "Unsere Unpünktlichkeit ist etwa zu 80 Prozent aus der Infrastruktur heraus getrieben", sagte Lutz.
Die Bahn geht für dieses Jahr von rund 155 Millionen Fahrgästen in den ICE- und IC-Zügen aus. Das wäre ein Fahrgastrekord im Fernverkehr. Im vergangenen Jahr wurden dort rund 132 Millionen Reisende befördert. Im bisherigen Rekordjahr 2019 waren es 151 Millionen. Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag die Zahl der Fahrgäste im Fernverkehr auf der Schiene bis 2030 im Vergleich zu 2015 verdoppeln.
Um das Schienennetz in Deutschland wieder fit und die Bahn damit attraktiver und zuverlässiger zu machen, braucht es aus Sicht der Bundesregierung bis 2027 Gesamtinvestitionen von rund 88 Milliarden Euro. Auch das Unternehmen geht von einem Bedarf in dieser Höhe aus. Für knapp die Hälfte dieser Summe - rund 43 Milliarden Euro - steht die Finanzierung im Bundeshaushalt bereits.
Der Restbedarf von 45 Milliarden Euro war vor einigen Monaten auch in einem Beschlusspapier der Koalitionsspitzen aufgegriffen worden. Dieser Bedarf soll "soweit finanziell darstellbar" bis 2027 auch gedeckt werden, heißt es. Finanziert werden soll das unter anderem aus einer Erhöhung der LKW-Maut. Dass das Geld wirklich fließt, ist aber noch nicht beschlossen. Die Finanzierung ist Gegenstand des laufenden Haushaltsverfahrens.
Riedbahn wird saniert
Das vergangene Jahr sei eines der schwierigsten "in Sachen Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Qualität" gewesen, sagte Lutz. 2022 hatte die Deutsche Bahn ihre Fahrgäste im Fernverkehr so oft warten lassen wie seit mindestens zehn Jahren nicht mehr. Die Pünktlichkeitsquote lag in den zurückliegenden zwölf Monaten bei 65,2 Prozent und damit 10 Prozentpunkte unter dem Vorjahresniveau. Als pünktlich geht ein Zug in die Statistik ein, solange er nicht mit mehr als sechs Minuten Verzögerung an einem Bahnhof ankommt. Zugausfälle oder verpasste Anschlusszüge werden nicht berücksichtigt - entsprechend sind auch Warnstreiks mit Zugausfällen in der Statistik nicht ablesbar.
Für dieses Jahr peilt die Bahn eine Quote von mehr als 70 Prozent an. "Es soll nicht mehr schlechter werden, es soll besser werden", sagte Lutz. Aber das werde ein "Kampf". Im Mai hatten die Fernverkehrszüge der Deutschen Bahn nur 65,5 Prozent ihrer Halte pünktlich erreicht - so unpünktlich waren die ICE- und IC-Züge in diesem Jahr noch nie. Als Grund für die Verspätungen gab der Konzern Baustellen an. "Allein im vergangenen Monat musste die DB im Rahmen des Sonderinspektionsprogramms rund 50.000 Schwellen im Schienennetz austauschen."
Für spürbare Verbesserungen im Betriebsablauf sollen bald Generalsanierungen auf besonders wichtigen Strecken sorgen. Im Sommer 2024 geht es auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim los, einer Hauptschlagader im Schienennetz. Generalsanierung bedeutet: Die Strecke wird für mehrere Monate komplett gesperrt, in dieser Zeit dann aber vollständig erneuert - selbst die Teile, die möglicherweise noch ein paar Jahre Zeit hätten. So soll bis 2030 ein Hochleistungsnetz zwischen den deutschen Großstädten entstehen, das dem Bedarf gerecht wird.
Schon mit den ersten sanierten Strecken sollen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit wieder deutlich steigen. Doch auf die Fahrgäste kommen für die Zeit der Vollsperrungen erhebliche Einschränkungen in Form von Schienenersatzverkehr und langen Umleitungen zu.
RTL zeigt am heutigen Donnerstag um 20:15 Uhr das 90-minütige Spezial "Peter Kloeppel DURCHLEUCHTET: Das Chaos bei unserer Bahn".
Quelle: ntv.de, jga/dpa