
Ohne Frauen geht es nicht - das weiß auch Kanzler Friedrich Merz (Mitte, links Evelyne de Gruyter, rechts Christina Diem-Puello).
(Foto: © VdU)
Beim Investitionsgipfel im Kanzleramt ist der Frauenmangel nicht zu übersehen. "Das ist keine Petitesse, sondern ein Standortnachteil", kritisieren die Chefinnen des Verbands der Unternehmerinnen, Diem-Puello und de Gruyter. Der Fortschritt sei "eine Schnecke", ihre Arbeit soll das ändern.
Evelyne de Gruyter ist Geschäftsführerin beim Verband der Unternehmerinnen und eine Quereinsteigerin in der Verbandswelt: "Das war in meinem Lebenslauf absolut nicht vorgezeichnet, auch wenn ich aus einem Unternehmerhaushalt komme." De Gruyter erzählt von ihrer Großmutter, der klassischen, "mitarbeitenden Ehefrau", die aber eigentlich den ganzen Laden – in dem Falle einen Stickereibetrieb, geschmissen hat. "Sie hieß Käthe, wie unsere Verbandsgründerin Käte Ahlmann und ich habe immer unterm Schreibtisch gesessen, irgendwelche Papiere gestempelt und so getan, als ob ich arbeite."
De Gruyter war unter anderem Management-Trainee im Hotel, "eine tolle Lebensschule: Im Hotelbereich wird man stressresistent, das berühmte Wort Resilienz, das habe ich da gelernt. Und, in schwierigsten Situationen zu performen. Davon profitiere ich heute noch."

Evelyne de Gruyters Vater hatte unter anderem eine Hotelgruppe, "und ich sollte da auch mal mitmischen." Es kam dann anders.
(Foto: © Katja Hentschel)
Sie bekam zwei Söhne, und durch ihr gutes Netzwerk, das sie sich aufrechterhalten hat, kam sie zum VdU. Zuerst in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, dann als Geschäftsleitung. "Ich bin nächstes Jahr zehn Jahre dabei. Starke Netzwerke, Frauenpower und Zusammenhalt - das hat meinen Lebensweg geprägt."
"Frauen soll man lieben"
Diese Erfahrung teilt sie mit Präsidentin Christina Diem-Puello. "Ich bin ein großer Fan der Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft, die momentan unter Druck ist: Der Wirtschaftsstandort ist schlechter denn je aufgestellt, und ich glaube – es sind primär die Familienunternehmen, die mutig anpacken." Sie will den Abgesang auf Deutschland nicht hören, Diem-Puello glaubt: "Wir haben alles! Wir müssen nur konstruktiv vorangehen."
Der offene Dialog mit der Politik, mit der Wirtschaft, mit der Gesellschaft ist der VdU-Präsidentin wichtig. Sie glaubt an das, woran auch schon Käte Ahlmann, die Gründerin des VdU, glaubte: Sie hat auf den damals gängigen Satz: "Frauen soll man lieben, aber mit ihnen keine Geschäfte machen" reagiert und den VdU gegründet, weil sie an die Tische der Politik, an die Tische der Wirtschaft wollte. Sie wollte eine Stimme aus den Unternehmerinnen heraus sein.
Relevante Größe
Im November wird erstmalig, 71 Jahre nach Verbandsgründung, eine VdU-Präsidentin als Rednerin beim Deutschen Arbeitgebertag des BDA dabei sein. Diem-Puello will dort "1,2 Millionen selbstständige Frauen in diesem Land repräsentieren und ihnen eine Stimme und ein Gesicht geben, wird aber auch alle Branchen, alle Größenklassen, alle unternehmerischen Phasen von der Gründerin zur Nachfolgerin, von der Kleinstunternehmerin und Solo-Selbstständigen bis zu Großunternehmerinnen", vertreten.
Geht es nach den VDU-Frauen, soll künftig keine politische Entscheidung mehr ohne die weibliche Stimme der Wirtschaft am Tisch fallen, "weil wir eine relevante Größe sind! Und ein ökonomischer Standortfaktor." Jedes Jahr gehen 430.000 Menschen aus dem Arbeitsmarkt, gleichzeitig fehlen über 500.000 Kinderbetreuungsplätze."

Christina Diem-Puello ist sich sicher: "Käte Ahlmann wäre stolz auf uns."
(Foto: © DD Deutsche Dienstrad GmbH)
Das heißt, Frauen sind nicht mehr einfach nur "nice to have", sondern ein wichtiger Faktor in Zeiten von Fachkräftesicherung. Es bedeutet, die hochqualifizierten und kompetenten Frauen, die nächste Generation, nicht einfach außen vorzulassen, sondern Rahmenbedingungen zu schaffen, die Vollzeit ermöglichen. So, wie es uns die Schweden, Franzosen und Dänen vormachen", sagt Diem-Puello.
Großväter und Mütter
Als Diem-Puello vor einigen Jahren selbst gegründet hat, haben nicht nur ihr Steuerberater und Bankberater vorrangig zuerst einmal mit ihrem Geschäftspartner sprechen wollen, sondern sie ist, trotz über 100 Jahren Familienunternehmertum, "in alles hineingelaufen, was einer Frau auf dem Weg in die ökonomische Unabhängigkeit passieren kann", lacht sie. Damals fand sie das allerdings weniger witzig.
"Ich habe mich nach einem Netzwerk umgeschaut, um Gleichgesinnte zu treffen. Gründerinnen, Nachfolgerinnen, Menschen, die meine DNA haben, die meine Sprache sprechen. Und Menschen, die die gleiche Vision in sich tragen, diesen Wirtschaftsstandort nachhaltig zu verändern."
Diem-Puellos Ururgroßvater war Rennradfahrer mit einer kleinen Fahrradwerkstatt in Schweinfurt, ihr Opa machte daraus die erste vollautomatisierte Serienproduktion von Fahrrädern. Ihre Mutter – ihr größtes Vorbild und Sparringspartnerin, aber auch ihr größter Risikoradar und ihre größte Kritikerin - bekam die Firma sehr jung von ihrem Vater übertragen. Die Tochter sagt voller Stolz: "Letztlich hat meine Mutter 40 Jahre das Unternehmen zu einem sehr großen, sehr erfolgreichen Unternehmen ausgebaut."
Ein dunkler Tag
Als ihre Eltern sich 2019 für einen Exit entschieden, "war das ein sehr dunkler Tag für mich. Denn mein großer Lebenstraum war es, die Nachfolge anzutreten." Heute sieht sie die Gründe für diese Entscheidung. "Wir waren Konzern-abhängig. Wir hatten zwar die Familienmehrheitsanteile, aber in so einem Konzern folgt eine Finanzierungsrunde auf die nächste. Meine Mutter hat gesagt, Tina, wenn du unabhängig sein willst, dann geh' deinen eigenen Weg, du hast alles an die Hand bekommen, was es braucht."
Diem-Puello gründete zusammen mit Maximilian Diem das Unternehmen Deutsche Dienstrad. Heute hat sie 140 Mitarbeitende. "Wir haben letztes Jahr 300 Millionen Zielumsatz erreicht."
Nachfolgen ist wie Gründen
Den Wirtschaftsstandort Deutschland und die soziale Marktwirtschaft nachhaltig zu sichern und vor allem weiterzuentwickeln und vielen Nachfolgerinnen den Weg zu ebnen, ist ihr Antrieb. "Nachfolgen ist ein wenig wie gründen, weil man in große Fußstapfen tritt. Weil man seinen eigenen Weg gehen muss, vor allem dann, wenn man ein Unternehmen erbt, das transformiert werden muss."
Dabei setzt sie bei aller internationalen Positionierung auf eine "gute Portion Standortpatriotismus", glaubt an eine Zukunftsindustrie 4.0 und legt Unternehmerinnen nahe, es ihr gleichzutun: "Glaubt an eure Wurzeln und steht für euer Land und für eure Wirtschaft ein."
In der Schule lerne man nichts über unternehmerisches Mindset, auch wenn dieses Land statistisch die besten Voraussetzungen bietet, erfolgreich zu gründen und ein Unternehmen zu führen. "Es kann nicht sein, dass wir Abitur machen und nicht ein einziges Mal mit dem Thema Berufsoption UnternehmerIn/ GründerIn in Berührung gekommen sind." Diem-Puello investiert gezielt in Frauengründungen.
Jede Gründerin ist beim VdU herzlich willkommen. Im vergangenen Jahr hat der Verband das Thema Mutterschutz für Selbstständige mit durchgekämpft, weil auch das ein großer Faktor ist, der Frauen vom Gründen abhält. Der nächste Brocken ist die flächendeckende Kinderbetreuung, vor allem in Randzeiten. Ärztinnen, Juristinnen, Pflegerinnen, Handwerkerinnen – Frauen, die Schicht arbeiten, die Wochenendarbeit machen - für sie alle ist Kinderbetreuung einer der wichtigsten Faktoren.
Ihre Verbandskollegin de Gruyter sieht zudem "komplette Fehlanreize in unserem Steuersystem. Mit dem Thema Ehegattensplitting ist unser Gesamtsteuersystem an das Modell Ehe geknüpft, das ist unrealistisch." Ein Drittel der Kinder werden in außerehelichen Konstellationen geboren. In Ostdeutschland sind es mehr als die Hälfte. Es gibt alleinerziehende Mütter und Väter, viele, die in Lebenspartnerschaften leben, nicht heiraten, und dennoch bevorzuge das Steuersystem die Einverdienerehe - bei dem die Frau meist schlechtergestellt sei. "Wenn wir es schaffen würden, das Ehegattensplitting zu modernisieren, zum Beispiel in ein Individualsplitting, dann hätten wir etwas Großes erreicht", so de Gruyter. Auch die paritätische Aufteilung von Elternzeit ist eine der großen Forderungen des VdU.
Hat sich überhaupt etwas verändert?
Verbandsgründerin Ahlmann sagte bereits in den 50er Jahren: "Ein Mann braucht mir keinen Platz in der Straßenbahn anzubieten, ich will lieber einen Platz im Aufsichtsrat." Das ist bis heute ein Problem. Unternehmen mit gemischten Teams sind wirtschaftlich erfolgreicher und weniger in Skandale verwickelt - trotzdem sieht es mit den Vorständinnen eher knapp aus. "Es ist alles etwas jünger geworden, das heißt aber nur, dass es jetzt mehr Christians und weniger Stefans gibt. Es übergeben immer noch über 70 Prozent der Väter an ihre Söhne die Unternehmen. Der Fortschritt ist eine Schnecke", fasst de Gruyter zusammen.
Beim "she succeeds award" des VdU, der am 11. September verliehen wird, sollen erfolgreiche Nachfolgerinnen sichtbar gemacht werden. "Wir wollen Frauen stärken und stützen und vor allem Vorbilder schaffen", so die VdU-Präsidentin. Ein Preis geht an die familieninterne, ein weiterer an die externe Nachfolge. "Meine große Hoffnung ist, dass sich unser Verband irgendwann erübrigt hat für die politische Arbeit, dass Gleichstellung erreicht ist, wie es bereits im Koalitionsvertrag der letzten Koalition stand."
Quelle: ntv.de