Wirtschaft

VW-Seelsorger im Interview Ist es christlich, wie viel Geld die Topmanager verdienen, Herr Wagner?

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Volkswagen steckt in der Sinnkrise.

Volkswagen steckt in der Sinnkrise.

(Foto: picture alliance/dpa)

VW-Konzernchef Oliver Blume sieht die wirtschaftliche Situation bei Volkswagen als alarmierend und kündigt an, den Sparkurs bei der Kernmarke VW noch einmal zu verschärfen. Auch eine Werkschließung in Deutschland und betriebsbedingte Kündigungen werden nicht länger ausgeschlossen. Dirk Wagner ist Pfarrer und Industrieseelsorger. Bei VW in Wolfsburg steht er der Belegschaft als Ratgeber zur Seite.

Hilft den VW-Mitarbeitern in diesen Tagen nur noch der liebe Gott?

Der liebe Gott ist für alle Menschen da. "Ruf mich in der Not, so will ich dich erretten", heißt es in der Bibel. Diese Botschaft ist wichtig. Gott kann neue Perspektiven eröffnen. Manch einer schafft es zum Beispiel, im Gebet voranzukommen. Ganz so einfach werden es viele VW-Mitarbeiter aber nicht haben.

Sie arbeiten als Industrieseelsorger für die Hannoversche Landeskirche und sind auch bei VW im Einsatz. Was genau machen Sie als Industrieseelsorger bei VW?

Ein Fokus liegt darauf, ein gutes Miteinander im Betrieb herzustellen. Auch individuelles Coaching gehört zu meinen Aufgaben. Hinzu kommen öffentliche Veranstaltungen, wo ich Referenten einlade und versuche, Wissen zu vermitteln und zur Diskussion anzuregen. Gemeinsames Nachdenken über gutes Leben und Arbeiten fasst es ganz gut zusammen.

Haben sich diese Woche viele VW-Mitarbeiter bei Ihnen gemeldet, nach den schlechten Neuigkeiten?

Mir rennen sie jetzt nicht die Bude ein, aber ich habe Gespräche geführt. Natürlich ruft in einer solchen Situation kein Mitarbeiter Hurra. Es sind viele Ängste da und Fragen: Wie geht es weiter? Behalte ich meinen Job? Das betrifft vor allem Menschen, die noch nicht so lange bei VW arbeiten und finanziell noch was zu schultern haben. Wenn ein junger Mann sich zum Beispiel ein Haus gekauft und dafür Schulden aufgenommen hat, können die aktuellen Diskussionen bei ihm natürlich Existenzängste auslösen.

Was sind das für Menschen von VW, die zu Ihnen kommen?

Ganz unterschiedlich. Von Mechaniker bis Manager ist alles dabei. Wen etwas umtreibt, der kann sich bei mir melden.

Und, wie ist die Stimmung?

Ich habe zwei ältere Werksarbeiter gesprochen, die schon lange bei VW sind. Die haben dort schon die Abgasaffäre, die internationale Finanzkrise und die Corona-Pandemie überstanden - sie sind optimistisch, dass jetzt gute, solidarische Lösungen gefunden werden. Das Unternehmen versteht sich ja seit jeher nicht nur als Auto-Konzern, sondern als "VW-Familie". Allgemein kommen die Menschen mit ganz unterschiedlichen Problemen zu mir. Da gibt es Mitarbeiter mit Existenzängsten, weil sie Schwierigkeiten haben, ihre Häuser abzubezahlen. Leute, die ihren Job nicht als erfüllend empfinden. Oder Vorgesetzte, die schwierige Nachrichten zu überbringen haben und nicht wissen, wie.

Wie können Sie diesen Menschen helfen?

Ganz allgemein ist es meine Aufgabe, zuzuhören. Und Menschen Räume zu schaffen, wo sie ihre Sorgen erst einmal loswerden können. Im Erzählen sollen sie sich die Fragen stellen, um selbst auf eine Lösung zu kommen.

Und in diesen besonders schweren Tagen?

Da rate ich den VW-Mitarbeitern, zu schauen, was jetzt realistisch ist und zu überlegen, wie sie in der Situation gut aufgestellt bleiben, ohne den Verstand zu verlieren. Den Alarmismus vielleicht ein bisschen runterzufahren. Ich stehe zur Verfügung, mit allem, was ich bieten kann: in erster Linie mein Ohr. Und um Mut zu machen. Denn dafür ist die Kirche da, sie ist eine Agentur der Hoffnung. Nicht mehr und nicht weniger.

Hilft das?

Ich tue, was ich kann. Aber ich habe nicht für alle Situationen das passende Rezept.

Haben Sie denn ein passendes Rezept für die aktuellen Schwierigkeiten bei Volkswagen?

Nein. Das ist Sache der Institutionen; da sind die Tarifpartner gefragt. Ich kann nur in Einzelfällen mich - wenn gewünscht - mit Zuhören und Gespräch zur Verfügung stellen. Wichtig erscheint mir, dass die Werksarbeiter bei ihrer Arbeit glücklich sind. Das gibt neue Impulse nach vorne. Das muss VW wieder in den Gang bekommen. Sonst macht sich noch mehr Frust breit.

Was sind das für Menschen, die in Wolfsburg im Werk arbeiten?

Die erkennt man jetzt nicht daran, dass sie alle die gleiche Haarfrisur tragen. Im Gegenteil: Die Belegschaft ist wie eine Stadt. Die bildet alle Menschentypen und Stimmungen ab. Da gibt es Frustrierte, die mit Ende 40 kaum noch Lust haben, zu arbeiten. Auf der anderen Seite gibt es sehr viele Leute dort, die sehr engagiert sind, an Lösungen arbeiten und VW weiterentwickeln wollen. Vor denen ziehe ich meinen Hut.

Welche Rolle spielt es, dass Sie im VW-Kosmos als Externer auftreten?

Das ist ein Vorteil, weil ich nicht Teil des Systems bin. So kann ich mitunter andere Perspektiven einbringen.

Hat VW-Chef Oliver Blume Sie mal um ein Gespräch gebeten?

Bisher nicht. Oliver Blume hat sehr viel um die Ohren. Mich würde es aber schon interessieren, mal mit ihm in den Gedankenaustausch zu treten. Aber so etwas müsste sich ergeben.

Ist es christlich, wie viel Geld die Topmanager von VW verdienen?

Das hat mit christlich oder nicht christlich nichts zu tun und ist keine moralische Frage. Wer Verantwortung hat, verdient auch ein hohes Einkommen.

Was bietet VW seinen Mitarbeitern?

Wer bei VW eine Festanstellung bekommt, hat gefühlt so etwas wie einen Sechser im Lotto. Das Gefüge, das VW seinen Mitarbeitern bietet, ist gut: hohe Sozialleistungen, gute Einkommen - das ist fast besser als verbeamtet zu sein.

Was treibt den Seelsorger selbst gerade um?

Das Älterwerden. Ich bin jetzt 65, mein Ruhestand steht in einem Jahr an. Die Frage, wie ich das Leben nach der Arbeit gestalte, beschäftigt mich. Die Kontakte, die ich als Industrieseelsorger in den vergangenen Jahren aufgebaut habe, würde ich gerne weiterpflegen. Ich bin noch am ausloten, wie. Es gibt aber auch die Notwendigkeit, mir mehr Zeit für mich zu nehmen. Und ich will mit meiner Frau noch viele schöne Dinge erleben.

Mit Dirk Wagner sprach Noah Kohn

Quelle: ntv.de

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