Anruf bei Chef von Bayer Ukraine "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Investitionen in der Ukraine"
24.08.2024, 12:37 Uhr Artikel anhören
"Qualifiziertes Personal und günstige Immobilien sind in der Ukraine noch verfügbar," sagt der Geschäftsführer von Bayer Ukraine.
(Foto: privat)
Russlands Kampagne zur Zerstörung der ukrainischen Energie-Infrastruktur stellt die Unternehmen im Land vor große Herausforderungen. Der Geschäftsführer des Chemie- und Pharmakonzerns Bayer Ukraine, Oliver Gierlichs, berichtet bei ntv.de, wie sein Unternehmen dennoch weiter produzieren kann - und erklärt, warum er die Ukraine jetzt und auch in Zukunft für einen attraktiven Standort hält.
ntv.de: Herr Gierlichs, Russlands Angriffskrieg wirkt sich auch auf den für die Ukraine wichtigen Agrarsektor und andere Branchen aus. Welche sind die größten Herausforderungen für Bayer Ukraine?
Oliver Gierlichs: Natürlich haben sich die Herausforderungen, denen Unternehmen gegenüberstehen, im Laufe der letzten ungefähr zweieinhalb Jahre des Krieges merklich verändert. Im Moment ist tatsächlich die Stromversorgung ein großes Thema bei uns. Das andere ist natürlich die Abstellung unserer Mitarbeiter für die Armee.
Gab es einen Stellenabbau oder haben Sie jemals erwogen, die Arbeit zu reduzieren oder die Produktion ganz einzustellen?
Nein, Bayer hat von Anfang an sehr klargemacht: Wir bleiben in der Ukraine. Wir investieren jetzt sogar in die Ukraine, weil wir fest davon ausgehen, dass sie ein freies, demokratisches Land bleiben wird - in Zukunft hoffentlich auch als Mitglied der EU. Insofern sind ein Stellenabbau oder Reduzierung unserer Produktionskapazitäten in keiner Weise vorgesehen. Unser Saatgut-Werk in Schytomyr zum Beispiel haben wir 2018 in Betrieb genommen. Das war damals ein Investment von fast 200 Millionen Euro und gerade investieren wir zusätzliche 60 Millionen Euro, um die Kapazität um 50 Prozent aufzustocken. In dem Werk haben wir circa 100 Festangestellte. Hinzukommen knapp bis zu 300 Saisonarbeiter.
Wie gehen Sie mit dem Strommangel um?
In unserem Büro haben wir einen Generator und haben sowohl uns als auch unsere Mitarbeiter im Homeoffice bereits im ersten Winter massiv mit Batterien ausgestattet. Wir verfügen über verschiedene Internetverbindungen, sodass die nächste einspringt, wenn eine ausfällt. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir kein Internet haben, ist sehr gering. Die Batterien sind hauptsächlich dafür gedacht, den Computer aufzuladen, um Rechnungen zu stellen und Logistikleistungen zu bestellen.
Und wie funktioniert das im Werk?
Im Werk sind wir weitgehend unabhängig, wenn es um die Trocknungskapazität geht. Saatgut muss auf einen bestimmten, sehr engen Parameter der Feuchtigkeit getrocknet werden, damit es nicht in den Säcken keimt. Dieses Trocknen machen wir seit Start des Werkes 2018 mit grüner Energie. Der gesamte Maiskolben wird getrocknet und dann werden die Körner abgeschabt. Und das Innere, was man sonst eben als biologischen Restabfall entsorgen lässt, verbrennen wir. So gewinnen wir 98 Prozent unserer Heizenergie für diesen Trocknungsvorgang. Dadurch brauchen wir nur sehr wenig Gas.
Wofür brauchen sie noch Elektrizität?
Für die großen Ventilatoren, die diese heiße Luft in die Kammern hineinschieben. Am Standort haben wir auch ein großes Lager. Darin darf es weder zu warm noch zu kalt werden, auch die Luftfeuchtigkeit darf nicht steigen. Das wäre alles schlecht für die Ware. Dafür brauchen wir Elektrizität das ganze Jahr über. Wir prüfen deshalb, ob wir uns mit Solarzellen zumindest teilweise unabhängig machen können von der öffentlichen Stromversorgung. Der Staat räumt unserer Stromversorgung aber Priorität ein, weil wir stark in die EU exportieren und so über Abgaben auch Einnahmen für den Staat generieren.
Und gab es Verluste an der Produktion seit Anfang 2022?
Wir hatten keine Unterbrechungen bisher. Insofern hatten wir auch keine Verluste.
Bayer Ukraine unterstützt das Land seit dem russischen Einmarsch. Wie muss man sich das vorstellen?
Wir haben 23 Millionen Euro in Sach- und Geldspenden bereitgestellt, einschließlich Medikamente und Saatgut. In Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium und USAID decken wir Bedarfe und verhindern Hungersnöte in der Nähe der Frontlinie. Unsere Geldspenden, darunter 1,3 Millionen Euro an United24, arbeiten mit medizinischen Einrichtungen und dem Roten Kreuz zusammen. Wir haben Defibrillatoren in den Metrostationen in Kiew - die auch als Schutzräume bei Luftangriffen genutzt werden - installiert und unterstützen NGOs, die sich um traumatisierte Kinder kümmern. Unser Ziel ist es, dort zu helfen, wo es am nötigsten ist.
Und was können Sie zur Minenräumung sagen?
Minenräumung ist ein großes und langfristiges Thema. Wir haben als erste Firma 2022 einen Minenräumpanzer für die Nichtregierungsorganisation Fondation Suisse de Déminage (FSD) gekauft. Es gibt viele Initiativen, sowohl staatliche als auch private, um Minenfelder schnell zu überprüfen und zu räumen. Diese Aufgabe wird jedoch Jahrzehnte dauern, ähnlich wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Trotzdem bin ich optimistisch, da viele Aktivitäten stattfinden und sich die Technologien weiterentwickeln, um die Minenräumung effizienter und sicherer zu gestalten. Vielleicht kann auch künstliche Intelligenz dabei weiterhelfen.
Bayer Ukraine ist eine Tochter der deutschen Bayer AG in Kiew. Das Unternehmen ist seit 1992 in der Ukraine tätig und beschäftigt rund 700 Mitarbeiter in den Bereichen Pharma, Consumer Health und Crop Science. Hinzu kommen weitere bis zu 300 Saisonarbeiter im Saatgutwerk der Bayer Ukraine, das 90 Minuten südwestlich von Kiew in der Region von Schytomyr liegt. Die ursprüngliche Investition dieses Werkes lag bei 200 Millionen US-Dollar und wurde 2018 in Betrieb genommen.
Wie beeinflusst der Krieg und besonders Stromausfälle Geschäfte und Investitionen in der Ukraine?
Als Vorstandsmitglied der EBA und Präsident der Deutsch-Ukrainischen Handelskammer höre ich Geschichten verschiedener Firmen. Die Auswirkungen des Krieges sind branchenabhängig. Energieintensive Branchen leiden stark und importieren teils auf eigene Kosten Strom in die Ukraine. Andere, weniger stromintensive oder serviceorientierte Unternehmen, die in Business Centern mit großen Generatoren arbeiten, sind weniger betroffen. Der Einfluss ist da, aber wie groß er ist, kann ich nicht beziffern.
Würden Sie auch anderen ausländischen Unternehmen empfehlen, während des Krieges in der Ukraine zu investieren? Und wenn ja, in welche Branchen?
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Investitionen in der Ukraine. Das Land und die Menschen hier brauchen nicht nur Arbeitsplätze, sondern das Versprechen in die Zukunft des Landes. Es wird in Erinnerung bleiben, welche Unternehmen dieses Versprechen, diese Hoffnung gegeben haben, auch als es schwierig war. Qualifiziertes Personal und günstige Immobilien sind noch verfügbar.
Branchen wie Verteidigungsindustrie, Landwirtschaft und IT bieten gute Möglichkeiten. Die Ansiedlung von Produktionsstätten könnte auch in Zukunft ein großes Thema sein. Europa kauft sehr viele Güter in Asien ein und hat während der Pandemie zu spüren bekommen, wie zerbrechlich diese Lieferketten sind. Da bietet die Ukraine mit ihrem gut ausgebildeten Personal direkt an der Grenze zur EU Möglichkeiten, diese Risiken zu minimieren.
Die Ukraine hat auch Potenzial, im Agrarbereich auf die nächste Wertschöpfungsebene zu gehen, nicht nur Rohstoff zu exportieren, sondern auch End- oder Zwischenprodukte. Steuererleichterungen und zusätzliche Anreize könnten Firmen anlocken. Erneuerbare Energien sind eine weitere interessante Branche, da dezentrale Stromversorgung schwieriger zu zerstören ist. Investitionen in Stromerzeugung sind sinnvoll, da Strom immer gebraucht wird.
Mit Oliver Gierlichs sprach Maryna Bratchyk
Quelle: ntv.de