Probleme bei E-Roller-Produktion "Lieferant hatte unsere Idee als seine eigene verkauft"
27.08.2022, 13:03 Uhr
Wenn wir ein Qualitätsproblem entdecken, können wir direkt zu unserem Lieferanten fahren, uns in die Augen schauen und das Problem klären, sagt Tykesson.
(Foto: Kumpan)
Das E-Roller-Startup Kumpan Electric bezieht seine Bauteile lange aus Asien - bis sich die Probleme häufen und der Gründer eine radikale Entscheidung trifft. Im Interview erzählt Patrik Tykesson, warum das Unternehmen jetzt auf lokale Lieferketten setzt.
Sie haben zu Beginn der Produktion Ihrer E-Roller Bauteile aus der ganzen Welt bezogen - dann haben Sie ihre Lieferkette radikal umgebaut. Heute kommen 85 Prozent der Teile aus Deutschland. Wann haben Sie beschlossen: So geht es für uns nicht mehr weiter?
Patrik Tykesson: Das haben wir früh gemerkt. So wirklich haben wir die Entscheidung 2015 getroffen. In den Jahren davor ist die Unzufriedenheit aber schon gewachsen und wir haben hinterfragt, ob wir das nicht irgendwie anders aufstellen können. Im August 2018 ist bei uns dann der erste Roller vom Band gerollt, dessen Teile vor allem aus Deutschland kamen.
Eine internationale Lieferkette ist erst einmal nichts Außergewöhnliches. Warum hat das für Kumpan nicht funktioniert?

Patrik Tykesson (m) hat 2010 gemeinsam mit seinen Brüdern Daniel und Philipp Kumpan Electric gegründet.
(Foto: Kumpan)
Ein Grund war der Ideenklau. Wir haben damals sehr viel selbst entwickelt, wir waren zum Beispiel die ersten, die für Roller ein Farbdisplay verwendet haben. Und ein halbes Jahr später haben die ersten Lieferanten und Hersteller in Asien begonnen, in ihren Fahrzeugen ein Farbdisplay einzubauen. Es kam heraus: Unser Lieferant hatte unsere Idee als seine eigene verkauft. So etwas ist uns häufiger passiert. Auch an Qualität von einzelnen Komponenten hat es immer mal wieder gemangelt. Das lässt sich lokal einfach besser kontrollieren. Uns hat aber auch gestört, dass die Innovationszyklen bei internationalen Lieferketten sehr langsam sind. Wenn man eine Komponente aus Fernost bezieht, dann dauert es unter Umständen Monate, bis man etwas anpassen kann. Und was das Thema Nachhaltigkeit angeht, haben wir in Europa einfach ganz andere Regularien als in Asien. Es gibt ein anderes Grundverständnis für nachhaltige Fertigung.
Was heißt das?
Unsere Verfahren sollen so nachhaltig wie möglich sein. Wir achten dabei immer auf eine gute Balance aus Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Ein Beispiel: In der Vergangenheit hatten wir in unseren Fahrzeugen Chrom-Elemente als Design-Highlights. Erst als wir die Produktion nach Europa geholt haben, haben wir festgestellt, wie schlecht dieser Prozess für die Umwelt ist. Wir haben uns dann entschieden, auf dieses Element zu verzichten und haben nun eine ähnliche Optik, aber mit anderen, umweltfreundlicheren Materialien. Das kann man viel besser mit Zulieferern umsetzen, die die gleichen Standards erfüllen müssen und das gleiche Mindset haben.
Eine Lieferkette lässt sich nicht von heute auf morgen umbauen. Wie haben Sie die richtigen Lieferanten in Deutschland gefunden?
Wir haben das Fahrzeug erst einmal aufgeteilt in unterschiedliche Baugruppen, das heißt, es gab dann zum Beispiel Metalle, Kunststoffe und Elektronik. In unserem Team gab es dann klare Verantwortlichkeiten für diese Gruppen. Wir sind losgegangen, haben Messen besucht, Kontakt mit potenziellen Lieferanten aufgebaut. Die Herausforderung war, dass unsere Stückzahlen damals noch verschwindend gering waren und wir die Lieferanten regelrecht motivieren mussten, mit uns zusammenzuarbeiten. Es geht nicht nur darum, ob das Technische passt, sondern auch darum, ob man die gleichen Werte vertritt. Wir haben dann anhand einer Skala entschieden, mit welchen Lieferanten wir zusammenarbeiten.
Was war damals die größte Herausforderung?
Wir mussten die Umstellung zu einem Zeitpunkt koordinieren, zu dem wir noch 80 Prozent der Komponenten aus Fernost bezogen haben, mussten also für 80 Prozent eine neue Lieferkette aufbauen. Das ist eine große Herausforderung. Wir mussten auch feststellen, dass in bestimmten Bereichen in Europa einfach die Expertise gefehlt hat. Am Ende darf einfach keine einzige Komponente fehlen - es bringt nichts, wenn 99 Prozent deiner Lieferkette funktionieren, aber ein einziges Teil fehlt.
Wie lange hat dieser Prozess gedauert?
Etwa zweieinhalb Jahre von der Entscheidung an, bis wir ein neues Fahrzeug mit der neuen Lieferkette bauen konnten. Es ist ein dauerhafter Optimierungsprozess. Wir mussten immer mal wieder feststellen, dass ein Lieferant doch nicht der war, der er vorgegeben hatte zu sein. Die mussten wir weiterentwickeln oder sogar austauschen. Wir mussten mit der Zeit ein Netz von Lieferanten aufbauen, um flexibel zu sein, um sicherzustellen, dass die Lieferkette nie abreißt. Dies ist vor allem in der heutigen Zeit eine große Herausforderung. Lieferprobleme, Rohstoffmangel, steigende Stückzahlen - die Lieferkette muss sich immer wieder anpassen.
Die internationale Lieferkette hat für Sie nicht funktioniert. Hat Ihre neue Kette die Erwartungen erfüllt und die Probleme gelöst?
Auf jeden Fall. Wir hatten immer die Sorge, dass wir es nicht schaffen, mit der lokalen Fertigung einen guten Marktpreis zu erzielen. Aber das hat geklappt. Und auch unsere vier Probleme, die dazu geführt haben, dass wir die Lieferkette umbauen wollten, haben sich verbessert: Wir müssen keinen Ideenklau mehr fürchten, die Qualität hat sich verbessert, wir können das Produkt schneller anpassen - und die Nachhaltigkeitsaspekte haben wir auch besser im Griff.
In den letzten Jahren gab es immer wieder Disruptionen in den internationalen Lieferketten. Waren Sie mit Ihrer Lieferkette für diese Unruhen besser gerüstet?
Definitiv. Wir sehen, dass andere Unternehmen in ähnlichen Geschäftsbereichen riesige Probleme haben. Es gibt permanente Produktionsstopps, die es schwierig machen, zuverlässig auszuliefern. Da zeigt es sich ganz klar, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Wir konnten viel flexibler reagieren. Ein Beispiel: Eine Komponente kann aus Stahl, Edelstahl oder Aluminium produziert werden. Jetzt, wo die Preise gestiegen sind oder der Lieferant das Rohmaterial gar nicht bekommen kann, können wir flexibel schauen, welches andere gleichwertige Material gerade verfügbar ist und umstellen. Das wäre vorher, mit unserer internationalen Lieferkette nicht möglich gewesen. Das ist ein riesiger Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Aber auch an uns sind die Probleme nicht spurlos vorübergegangen: die angespannte gesamtwirtschaftliche Lage, der Chip- und Rohstoffmangel. Allerdings sind wir nicht, wie viele andere, komplett von Asien abhängig. Das haben wir auch gemerkt, als vor zwei Jahren eine unserer Fabriken ausgebrannt ist. Wir konnten innerhalb von sechs Wochen eine neue Produktion aufbauen. Hätten wir unsere Komponenten aus Asien bezogen, hätten wir wohl ein halbes Jahr auf Materialien warten müssen.
Hat die lokale Lieferkette Kumpan insgesamt resilienter gemacht?
Ja, auf jeden Fall. Wir haben vor allen Dingen gemerkt, dass die Nähe ein großer Vorteil ist. Wenn wir ein Qualitätsproblem entdecken, können wir direkt zu unserem Lieferanten fahren, uns in die Augen schauen und das Problem klären. Klar, kann man auch einen Videocall machen - aber wenn man sich gegenübersitzt, ist das Ganze viel einfacher.
Mit Patrik Tykesson sprach Charlotte Raskopf
Der Artikel erschien zuerst bei Capital.de
Quelle: ntv.de