"Werde mich nicht entschuldigen" London vergibt Brexit-Auftrag an Reederei ohne Schiffe
02.01.2019, 12:00 Uhr
Sollten nach dem EU-Austritt Grenzkontrollen eingeführt werden, wird mit langen Staus auf beiden Seiten des Ärmelkanals gerechnet.
(Foto: REUTERS)
Die britische Regierung bereitet sich auf einen harten Brexit vor und beauftragt Reedereien, um die Versorgung der Insel zu sichern. Kleiner Schönheitsfehler: Das ausgewählte britische Unternehmen hat keine Schiffe.
Der britischen Regierung könnte bei ihren kostspieligen Plänen für Not-Verbindungen über den Ärmelkanal nach dem Brexit Schiffbruch drohen. Eine der Reedereien, die vom Verkehrsministerium mit der Sicherstellung des Fährverkehrs nach dem EU-Austritt beauftragt worden war, hatte noch nie ein Schiff im Einsatz und muss die benötigten Schiffe noch chartern.
Für den britischen Transportminister ist das allerdings kein Grund, die Auftragsvergabe zu kritisieren. "Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, ein neues britisches Unternehmen zu unterstützen", sagte Chris Grayling und ergänzte: "Wir haben uns die Firma sehr genau angesehen. Wir haben einen strengen Vertrag ausgehandelt, um sicherzustellen, dass sie auch liefern wird."
Wie die BBC berichtete, erhielt die britische Reederei Seaborne Freight einen Auftrag von umgerechnet mehr als 15 Millionen Euro, obwohl sie noch nie Frachtschiffe betrieben hat. Zudem sei die Hafenanlage im südostenglischen Ramsgate, von wo aus die Reederei Fährverbindungen nach Belgien betreiben will, zu eng für die meisten modernen Handelsschiffe. Der Hafen sei seit 2013 nicht mehr kommerziell betrieben worden. Seaborne kündigte an, den Hafen bis zum EU-Austritt Ende März betriebsbereit zu machen.
"Neues Debakel"
Die Regierung hatte für umgerechnet rund 120 Millionen Euro Fähren gebucht, um im Fall eines ungeordneten Brexits das Chaos am Hafen von Dover zu begrenzen. Mit den zusätzlichen Fährverbindungen im Ärmelkanal sollten Lieferengpässe für "wichtige Waren" vermieden werden, hieß es aus Regierungskreisen. Die Verträge mit den französischen Britanny Ferries, dem dänischen Unternehmen DFDS und der britischen Seaborne-Reederei wurden ohne die übliche Ausschreibung ausgehandelt. Das Verkehrsministerium begründete das mit der "äußerst dringenden Notlage" aufgrund "unvorhergesehener Ereignisse".
"Nichts bringt den Brexit besser auf den Punkt als dieses neue Debakel", kritisierte der Labour-Abgeordnete Neil Coyle. Der Kommunalpolitiker Paul Messenger fragte: "Warum wählen wir ein Unternehmen aus, das in seiner ganzen Geschichte noch nie einen einzigen Lkw transportiert hat?"
Die Aufträge des Verkehrsministeriums an die drei Reedereien sollen es ermöglichen, knapp 4000 Lkws pro Woche vom Festland aus zu britischen Häfen zu bringen. Damit soll vor allem der stark frequentierte Hafen Dover entlastet werden. Die britischen Behörden befürchten bei der Wiedereinführung von Grenzkontrollen infolge des Brexit eine Überlastung von Dover und Riesenstaus von Lastwagen in Hafennähe. Derzeit verkehren täglich etwa 16.000 Lastwagen zwischen dem nordfranzösischen Calais und Dover in Südengland. Sie transportieren unter anderem Lebensmittel, Medikamente und Industriegüter.
Quelle: ntv.de, jga/AFP