Kollektiv gegen Personalmangel "Personalsuche in einer Ferienregion ist eine Herausforderung"
10.09.2022, 11:52 Uhr
Diana-Nadine Brammann: "Im Winter vergangenen Jahres merkten wir schon, wie die Stimmung kippte."
(Foto: picture alliance/dpa)
Arbeiten, wo andere Urlaub machen. Das klingt gut - doch gerade in einer Ferienregion ist die Personalsuche eine Herausforderung. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, haben im Oktober 2020 drei Hotels und zwei Restaurants aus Sankt Peter-Ording das Nordsee-Kollektiv gegründet, eine GmbH, die sich ausschließlich um die Mitarbeiter kümmert. Geschäftsführerin Diana-Nadine Brammann berichtet im ntv.de-Interview, wie das funktioniert.
n-tv.de: Warum brauchte es in Sankt Peter-Ording eine neue Initiative für die Mitarbeiter in der Gastronomie?
Diana-Nadine Brammann: Das Thema Fachkräftemangel war schon vor der Pandemie ein großes Thema für die Betriebe. Wir dachten uns: "Bevor wir uns die Leute gegenseitig wegschnappen, lasst uns doch lieber was gemeinsam tun". Personal zu halten, war schon immer eine große Herausforderung. Damit wir größere Projekte angehen können, macht das nur Sinn, wenn wir das auch gemeinschaftlich tun.
Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen. Das klingt ja erstmal traumhaft. Warum gab es Probleme, die Mitarbeiter zu binden?
In einer Ferienregion ist das schon eine Herausforderung. Es ist ja nicht ganzjährig Strandwetter an der Nordseeküste. Es ist schwer, Wohnraum zu finden. Durch die Schichtarbeit ist es nicht so einfach, im Vereinsleben anzudocken, die normalen öffentlichen Angebote zu nutzen oder auch Freundschaften zu schließen. Das Nordsee-Kollektiv will eine Kombination aus schön arbeiten und schön leben ermöglichen. Wir setzen da an, wo die Reichweite der Betriebe aufhört.
"Kooperation statt Konkurrenz" ist Ihr Motto. Wo waren die Schwierigkeiten bei der Umsetzung?
Alle Betriebe sind es schon gewohnt, in ihre Mitarbeiter zu investieren und haben einen modernen Führungsstil. Aber es braucht auch ein großes Maß an Transparenz und das ist ungewöhnlich. Wir sprechen über offengelegte Verträge, über Gehaltsstrukturen, über Probleme - also wirklich übers Eingemachte.
Haben Sie mit der Transparenz zwischen Konkurrenten auch schlechte Erfahrungen gemacht?
Im inneren Kreis definitiv nicht. Natürlich ist das Zusammenrücken ein Gewöhnungsprozess. Das ist sonst nicht üblich, dass etwa ein Mitarbeiter mit Wechselwunsch zuerst die Angelegenheit mit seinem eigenen Vorgesetzten besprechen soll. Da muss man sich erstmal outen - keine einfache Rolle. Wir wollen die Mitarbeiter begleiten, anstatt auf Krampf zu binden. Manchmal ist der ein oder andere Prozess ein bisschen holprig gewesen, aber wir werden von Kandidat zu Kandidat besser.
Was ist das Besondere, was Sie Ihren Angestellten bieten?
Es ist das große Ziel, das Leben drum herum ein bisschen einfacher zu machen. Wir möchten ihnen die Möglichkeit geben sich auszutauschen. Dafür haben wir gerade eine Mitarbeiter-App gelauncht. Wir haben zwei Crewhäuser, wo die Mitarbeiter wohnen können. Zudem können sie sich mit den Mitarbeitern aus dem eigenen oder anderen Betrieben vernetzen, um die Region kennenzulernen. Im letzten Jahr haben wir ein kostenloses Fitnessstudio für unsere Belegschaft eröffnet. Wir haben auch eine Mitarbeiter-Bonus-Karte, wo sie vergünstigt in verschiedenen Geschäften einkaufen, das Kino besuchen oder Sport machen können.
Woher wissen Sie, was Ihre Angestellten brauchen?
Wir haben eine ganze Menge Mitarbeiter-Umfragen gemacht und versuchen, sie immer mit einzubeziehen, eng dran zu sein und zu horchen "was braucht ihr? ". Auch durch das Mitarbeiterhaus bekommt man eine Menge mit. Im Winter vergangenen Jahres merkten wir schon, wie die Stimmung kippte, es war immer dunkel, es hat nur geregnet. Es ist sehr gut, wenn man dann dicht an den Mitarbeitern dran ist, um in solchen Momenten dagegen zu steuern.
Sie sind sehr eng an Ihren Mitarbeitern. Wenn der Arbeitgeber so präsent im Leben ist, ist da noch eine Work-Life-Balance möglich?
Es ist ja nicht so, dass man andauernd miteinander ist. Es ist halt schon ein kleiner Ort und man kennt sich untereinander. Man kann sich dem auch komplett entziehen, wenn man das eben nicht möchte, und das wird auch respektiert.
Ist der Fachkräftemangel für Sie seit der Gründung der Initiative zurückgegangen?
Es hat sich auf jeden Fall einiges bewegt. In den ersten Monaten war die Wirkung nach außen größer als nach innen. Man bekommt auch öfter positive Rückmeldungen und neue Ideen. Auch im Recruiting merken wir, dass das gemeinschaftliche Auftreten sehr gut ankommt. Wir haben diverse Azubis dazugewonnen. Es gibt immer noch Stellen, die besetzt werden müssen und es ist immer noch eine Rotation da. Aber wir merken auf jeden Fall, dass es ein guter Beitrag ist.
Bekommen Sie auch in den Bewerbungen das Feedback, dass die Leute explizit wegen ihrer Angebote zu ihnen wollen?
Ja. Wir bauen gerade eine Uni-Kooperation auf, wo wir auch das Nordsee-Kollektiv vorgestellt haben und ich merke auch, dass Bewerbungen darüber reinkommen. Aber ich habe auch schon klassisch eine schriftliche Bewerbung erhalten mit "mich hat das super angesprochen, was Sie für Ihre Mitarbeiter machen, ich würde gerne ein Teil davon werden".
Wollen Sie das Nordsee-Kollektiv noch weiter ausbauen?
Es baut sich automatisch aus. Wir haben uns auch für Betriebe geöffnet, die nicht in unserer Branche sind und möchten jedem Arbeitgeber hier die Möglichkeit bieten, auch für seine Mitarbeiter etwas zu tun. Beispielsweise haben wir auch eine Ferienhaus-Agentur bei uns, deren Geschäftsführer sagt, er sei zu klein, möchte aber auch etwas für seine Mitarbeiter machen.
Mit Diana-Nadine Brammann sprach Jil Dreimann
Quelle: ntv.de, jdr