Juristisch in der Grauzone So sabotieren Spekulanten die Aktienkurse
01.05.2017, 07:52 Uhr
Die sogenannten "Short Seller" können häufig juristisch nicht zur Verantwortung gezogen werden.
(Foto: imago/allOver-MEV)
Der Anschlag auf den BVB war vermutlich primär auch ein Anschlag auf die BVB-Aktie. Um Aktienkurse zu manipulieren, greifen Spekulanten zu außerordentlichen Mitteln. Auch ein anderes deutsches Unternehmen bekam das kürzlich zu spüren.
Am Morgen des 28. März ging der Kursrutsch los. Eine Firma mit dem epischen Namen Gotham City hatte massive Zweifel an den Bilanzen der deutschen Beteiligungsgesellschaft Aurelius geäußert. Binnen Minuten sackte der Kurs ab, weiter und immer weiter. Nach zwei Tagen hatte die Aurelius-Aktie fast die Hälfte ihres Wertes verloren - der Plan von Gotham City ging auf. Die Spekulanten aus den USA hatten auf fallende Kurse gewettet und gewonnen.
Es ist ein Spiel, dass sich alle paar Monate wiederholt: Anfang 2016 mussten der Zahlungsabwickler Wirecard und der Außenwerbespezialist Ströer bitter erfahren, wie ihre Aktien nach massiven Attacken sogenannter Short Seller - zu deutsch Leerverkäufer - in die Knie gingen. Nun traf es Aurelius, eine Gesellschaft mit einem bunten Strauß an Firmenbeteiligungen von einem Fotohändler über einen Schuhproduzenten bis hin zu einem Klinikbetreiber.
Die Masche der im Verborgenen arbeitenden Angreifer ist dabei im Prinzip immer gleich: "Zunächst muss eine kohärente, runde Story gut recherchiert und auf Plausibilität getestet werden", sagt Michael Grote, Professor für Unternehmensfinanzierung an der Frankfurt School of Finance and Management. Dann gehe es darum, mit den Ergebnissen der Recherche andere Investoren derart zu beeinflussen, dass sie ihre Aktien schnell auf den Markt werfen und so für einen Kurssturz sorgen. Den Reibach machen in der Folge die Unruhestifter, weil sie zuvor auf fallende Kurse gewettet haben.
Angreifer sitzen oft im Ausland
Im Raum stehe dann jeweils der Verdacht auf schwerwiegende Marktmanipulationen, sagt David Lewis, Fachmann von Astec Analytics. Die Frage nach Gut oder Böse bleibt allerdings in vielen Fällen unbeantwortet - ganz anders als im Falle des Anschlags auf den BVB-Mannschaftsbus, mit dem nach aktuellem Erkenntnisstand der Ermittler der Aktienkurs zum Absturz gebracht werden sollte. Typische Short Seller agieren oft im rechtlichen Graubereich. Sie können sogar durchaus auf Fehlentwicklungen hinweisen. Fragwürdig aber wird das Ganze nach Ansicht von Grote, wenn die Sprache zu marktschreierisch wird.
Hierzulande prüft die Finanzaufsicht Bafin Fälle von möglicher Marktmanipulation, doch der Nachweis einer Straftat fällt in der Praxis schwer, zumal sich viele Angreifer außerhalb Europas und damit erst einmal außer Reichweite befinden. Neuesten Zahlen zufolge hat die Behörde 2015 zwar 256 neue Verdachtsfälle untersucht, doch nur bei zehn kam es in diesem Zeitraum auch zu Verurteilungen in einem Strafverfahren. Diese Zahlen sind bereits seit einigen Jahren recht stabil.
Bei Aurelius kam die Attacke ebenfalls aus dem Ausland: Der Kopf hinter Gotham City, Daniel Yu, wälzte von einem kleinen Ort in den USA aus die Bilanzen der Beteiligungsgesellschaft und erhob Vorwürfe, die teilweise nur von Experten für Rechnungswesen nachvollzogen werden können. Es geht zum Beispiel um Einzelabschlüsse, Abzinsungsfaktoren und Bürgschaften. Insofern kann von normalen Anlegern auf die Schnelle schlicht nicht beurteilt werden, ob diese Anschuldigungen nun zutreffen oder nicht. Und die Ungewissheit steigt, wenn mit Gotham City ein Spekulant am Werk ist, der bei anderen Firmen erfolgreich Widersprüche oder sogar Fälschungen in Bilanzen aufgedeckt hat.
Firmen können nicht alles offenlegen
Somit gehen viele Anleger lieber auf Nummer sicher und verkaufen rasch ihre Aktien. "Die Angreifer suchen sich vor allem solche Firmen aus, bei denen lange über Bewertungsfragen in der Bilanz diskutiert werden kann", sagt Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Die Betroffenen wehren sich meist gegen die Vorwürfe und versuchen, mit so viel Transparenz wie möglich Attacken auf sie zu vermeiden. Auch Aurelius wies die Vorwürfe zurück.
Doch genauso wenig wie Coca-Cola sein berühmtes Geheimrezept preisgebe, könne wohl auch Aurelius nicht einfach alle Karten auf den Tisch legen, sagt Kay Bommer, Geschäftsführer des für Finanzkommunikation zuständigen Berufsverbandes DIRK. Denn es gehört für Beteiligungsgesellschaften zum existenziellen Geschäftsgeheimnis, zu welchem Preis sie Unternehmen erwerben, um sie dann mit Gewinn wieder zu verkaufen. Der erste Schock über die Attacke von Gotham City ist überwunden: War der Kurs Ende März von 65 auf unter 35 Euro gefallen, kostete das Papier zuletzt wieder um die 47 Euro.
Quelle: ntv.de, Lutz Alexander, dpa