WTO-Verhandlungen stocken Indien kämpft um sein Ernährungsprogramm
04.12.2013, 08:49 Uhr
Eine Inderin auf einem Getreidemarkt beseitigt Staub und Schmutz von Weizenkörnern.
(Foto: REUTERS)
Sie gilt als letzte Chance: In Bali ringt die Weltgemeinschaft um einen erleichterten Handel. Weniger Hemmnisse könnten Millionen neuer Jobs bringen. Knackpunkt sind Indien und der Nahrungsmittelsektor. EU und USA erhöhen den Druck.
Mit drastischen Worten warnen die EU und die USA vor einem drohenden Misserfolg der 9. Welthandelskonferenz auf Bali. Der Streit über Indiens subventioniertes Ernährungsprogramm bleibt größter Stolperstein bei den Verhandlungen. "Die Sturmwolken des Scheiterns hängen direkt über uns", sagte EU-Handelskommissar Karel De Gucht am Rande der Verhandlungen über ein Vertragswerk für den globalen Abbau von Handelsbarrieren. Ähnlich äußerte sich bei der Konferenz im Ferienort Nusa Dua auch der US-Handelsbeauftragte Michael Froman. Die Vereinbarung wird vor allem durch Indien blockiert.
Die Unterhändler ringen um die Frage, ob das zweitgrößte Land der Welt Millionen armer Menschen durch Agrar-Beihilfen zu günstiger Nahrung verhelfen darf. Die westlichen Industrienationen stemmen sich gegen eine dauerhafte Sondergenehmigung für Neu-Delhi.
Ein Scheitern des sogenannten Bali-Pakets werde schwerwiegende Folgen für die internationale Gemeinschaft, das Welthandelssystem sowie auch für die Welthandelsorganisation (WTO) selbst haben, warnte De Gucht. "Es würde die Grundlage der WTO erschüttern, und man kann schwer vorhersagen, was dann noch von ihr übrig bleiben wird." Zudem würden die Menschen in den ärmsten Ländern am meisten leiden, wenn es nicht endlich gelinge, ein multilaterales Regelwerk für den globalen Handel auf den Weg zu bringen.
Indien blockiert
Zuvor hatte Indien ungeachtet zahlreicher Appelle deutlich gemacht, dass es die Annahme des Bali-Vertragspaket weiter blockieren will. Das Land will die darin vorgesehene Befristung des im August verabschiedeten National Food Security Act staatlicher Agrarsubventionen zum Aufbau von Nahrungsmittelreserven auf vier Jahre nicht akzeptieren. "Für Indien ist Nahrungsmittelsicherheit nicht verhandelbar", sagte Handelsminister Anand Sharma. Die indische Regierung verlangt eine dauerhafte "Friedensklausel", die es anderen Staaten verwehren würde, Indien bei der WTO wegen unerlaubter Subventionen im Agrarbereich zu verklagen.
Der aufstrebende Schwellenstaat Indien hat sich an der Spitze von 46 Entwicklungsländern positioniert, deren Bevölkerungen mit Nahrungsmittelengpässen zu kämpfen haben. Die Regierung will das ohnehin schon weltgrößte Nahrungsmittelverteilungssystems weiter ausbauen. Es gewährt Millionen armen Bauern Finanzhilfen, um die Nahrungsmittelpreise künstlich niedrig zu halten. Künftig will der indische Staat noch mehr Getreide aufkaufen, um es dann zu niedrigeren Preisen an Bedürftige abzugeben. In seiner für 2014 angestrebten Endstufe soll das Programm zwei Drittel der Bevölkerung erreichen - das wären immerhin 800 Millionen Menschen.
Der regierenden Kongress-Partei stehen kommendes Jahr schwierige Wahlen bevor, weshalb sie besonders vehement auf das Recht pocht, ihr Subventionsprogramm uneingeschränkt fortführen zu dürfen.
Die USA und die EU, aber auch Entwicklungsländer wie Pakistan und Thailand lehnen eine Ausnahmegenehmigung indes ab. Sie bestehen auf einer Befristung.
Gigantische Wachstumsimpulse
Das Vertragswerk sieht neben dem Abbau von Agrarsubventionen auch Vereinfachungen bei der Zollabwicklung und verbesserte Exportmöglichkeiten für Entwicklungsländer vor. Experten zufolge könnten damit Wachstumsimpulse im Umfang von bis zu einer Billion US-Dollar erreicht werden. Experten zufolge würden zudem 21 Millionen neue Jobs entstehen, vor allem in Entwicklungsländern.
Zudem soll es durch das Bali-Paket ermöglicht werden, die seit Jahren stagnierende Doha-Welthandelsrunde wiederzubeleben. Diese hatte 2001 in Katar begonnen. Ziele sind die Öffnung weltweiter Märkte und ein Abbau der Handelsschranken. Allerdings stagniert der Prozess seit geraumer Zeit wegen Differenzen zwischen den reichen Industriestaaten und ärmeren Ländern.
Der US-Handelsbeauftragte Michael Froman sagte, ein Misserfolg wäre "ein lähmender Schlag für die WTO als Forum multilateraler Verhandlungen". Ohne Indien direkt zu nennen sagte Froman, kein WTO-Mitglied könne alles bekommen, was es wolle. Auch die USA hätten bei den wochenlangen Vorverhandlungen über das Bali-Paket in Genf immer wieder Kompromisse akzeptiert.
Unterdessen wurde der Jemen als 160. Mitgliedstaat in die 1995 gegründete Organisation aufgenommen. An den viertägigen Verhandlungen nehmen rund 2800 Delegierte teil.
Quelle: ntv.de, jwu/dpa/rts/AFP