Wirtschaft

"Wie kann man nur so blöd sein?" Verdi droht mit Streiks in neuer Dimension

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Keine Passagiere, dafür streikendes Personal am Hamburger Flughafen.

(Foto: picture alliance/dpa/Bodo Marks)

Der Warnstreik in sieben deutschen Flughäfen schlägt voll durch: Gähnende Leere herrscht in den Terminals in München oder Frankfurt am Main. Verdi erklärt, das sei nur der Vorgeschmack auf ein heißes Frühjahr. Die Arbeitgeber geben sich empört.

Durch das Terminal 1 des Frankfurter Flughafens gellen Pfiffe aus Trillerpfeifen statt der üblichen Lautsprecherdurchsagen. Nur ganz wenige Fluggäste haben sich an den größten deutschen Flughafen verirrt, dafür protestieren umso mehr Mitarbeiter entschlossen und lautstark für höhere Gehälter und bessere Ausstattung. Der ganztägige Warnstreik der Gewerkschaft Verdi an sieben deutschen Flughäfen zeigt Wirkung. Es könnte ein erster Vorgeschmack auf weitere Arbeitskämpfe und Störungen des Luftverkehrs im weiteren Jahresverlauf sein.

Zwölf Notflüge statt der geplanten 1005 Flugbewegungen, lautet die Tagesbilanz in Frankfurt. In München, Hannover, Stuttgart, Bremen, Hamburg und Dortmund fliegt ebenfalls kaum etwas. Auch an nicht bestreikten Flughäfen wie etwa Berlin kommt es in Folge der Warnstreiks teilweise zu Einschränkungen. Trotz des Ferienbeginns in Baden-Württemberg und Bayern bleibt auch dort das Chaos aus. Nach Schätzungen des Flughafenverbandes ADV sind knapp 300.000 Passagiere von gut 2340 Flugausfällen betroffen. "Wir haben einen sehr ruhigen Tag im Luftraum", beschreibt ein Sprecher der Deutschen Flugsicherung die Lage. Für Samstag erwartet die DFS ein leicht erhöhtes Aufkommen, weil insbesondere die Anflüge aus den USA verschoben worden sind.

Der Warnstreik ist am Samstag vorbei, doch der Tarifkonflikt im Öffentlichen Dienst noch keineswegs gelöst. Verdi-Chef Frank Werneke droht vor der nächsten Verhandlungsrunde in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": "Die nächsten Streiks haben eine andere Dimension." Sollten die Arbeitgeber nächste Woche ein wirklich gutes Angebot vorlegen, könne man sich aber schnell einigen. Andernfalls seien die aktuellen Warnstreiks nur ein Vorgeschmack. An den Flughäfen sind Arbeitskräfte immer noch knapp. Wenn sich die Bedingungen nicht verbesserten, sei ein Abfertigungschaos wie im vergangenen Jahr kaum zu vermeiden, warnt Verdi-Vize Christine Behle. Vor rund 3000 Protestierenden in Frankfurt hat Gewerkschaftssekretär Christoph Niemitz griffige Sätze parat: "Die Inflation frisst sich in die Geldbeutel der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber findet kein Personal mehr und trotzdem gehen sie keinen Schritt auf uns zu. Wie kann man nur so blöd sein!"

Lufthansa streicht Sommerflugplan zusammen

Die Lufthansa hat bereits mit Blick aufs Personal ihren Sommerflugplan 2023 gestutzt. "Aktuell sind in der Branche die Personalengpässe europaweit noch nicht vollständig überwunden", sagt ein Sprecher in Frankfurt. Man habe daher lieber jetzt Flüge aus dem Programm genommen, als diese wie im vergangenen Jahr kurzfristig absagen zu müssen. Die Fluggäste könnten so besser planen. 2022 hatte bei abebbender Corona-Pandemie die sprunghaft gestiegene Nachfrage die Branche an ihre Grenzen gebracht. Die Folgen waren Verspätungen und Ausfälle sowie lange Wartezeiten beispielsweise an Gepäckausgaben und Sicherheitskontrollen.

Verdi und der Beamtenbund DBB fordern im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro mehr für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen. Ein Angebot der Arbeitgeber liegt bisher nicht vor. Neben dem öffentlichen Dienst ging es bei den Warnstreiks am Flughafen zudem um örtliche Tarifverhandlungen für die Bodenverkehrsdienste sowie um eine bundesweite Runde zum Manteltarif für 25.000 Beschäftigte in der Luftsicherheit.

Die Lufthansa will den Verdi-Warnstreik möglichst schnell hinter sich lassen. "Wir starten am Samstag sofort wieder in den Regelbetrieb", sagte ein Sprecher. Am heutigen Freitag musste die größte deutsche Fluggesellschaft jedoch rund 1300 Flüge absagen - nachdem sie gerade erst eine von einem Bagger an einer Bahn-Baustelle verursachte IT-Störung vom Mittwoch überwunden hatte. Ausgerechnet die Bahn profitierte und brachte in vollbesetzten Zügen auch etliche Kurzstreckenpassagiere an ihr Ziel.

Arbeitgeber sehen "beispiellose Eskalation"

Der Flughafenverband ADV sprach angesichts des Streik-Ausmaßes von einer "beispiellosen Eskalation". Aus dem Mittelstand kommt ebenfalls scharfe Kritik an der Gewerkschaft. "Es ist nicht hinnehmbar, dass Verdi seine Tarifforderungen auf dem Rücken der gesamten deutschen Wirtschaft auslebt", sagte der Chef des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, Markus Jerger. Verdi hatte erklärt, dass über Notdienste Hilfsflüge ins türkisch-syrische Erdbebengebiet vom Streik ausgenommen werden. Zudem könnten Hilfsgüter über den nicht bestreikten Flughafen Frankfurt-Hahn ausgeflogen werden. Störungen wie durch diesen Streik ließen sich nicht immer kompensieren, hob hingegen der Verband Barig hervor, der die Interessen der ausländischen Airlines in Deutschland vertritt. Bei humanitären Hilfslieferungen handele es sich um hochsensible Logistikketten.

Dennoch wurde im Laufe des Tages eine neue Luftbrücke von Deutschland in die türkischen Erdbebengebiete aufgebaut. In Frankfurt starteten zwei Lufthansa-Cargo-Maschinen mit Hilfsgütern nach Antalya. Ab Montag fliegt die deutsch-türkische Gesellschaft SunExpress jeweils montags und dienstags mit einer für den reinen Frachttransport umgebauten Passagiermaschine nach Antalya. In den rund 7500 DPD-Paketshops können ab Montag kostenlos Hilfspakete für die Erdbebenopfer abgegeben werden.

Für die Gäste der Münchner Sicherheitskonferenz machte der Flughafen eine Ausnahme vom eingestellten Flugbetrieb. "Alle Privatflüge, die für die MSC angemeldet sind, werden angenommen und abgefertigt", sagte ein Flughafensprecher. Die Münchner Sicherheitskonferenz gilt als eines der wichtigsten Politiker- und Expertentreffen zur Sicherheitspolitik weltweit. Insgesamt werden 40 Staats- und Regierungschefs und fast 100 Minister erwartet.

Quelle: ntv.de, mau/dpa

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