Konjunktur pfui, aber Börse hui Warum der DAX in der Wirtschaftskrise 20.000 Punkte knackt
03.12.2024, 15:01 Uhr Artikel anhören
Für 2024 steht ein sattes Plus von 20 Prozent oder 3200 Punkten zu Buche.
(Foto: dpa)
Zumindest auf dem Frankfurter Parkett herrscht gute Stimmung: Der DAX schafft den seit Wochen erwarteten Sprung über die magische 20.000-Punkte-Marke. Doch wie passt das zu den fast täglichen Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft?
Als der DAX am Vormittag die 20.000-Punkte-Marke knackt, ist großer Fototermin auf dem Frankfurter Parkett, Börsianer zücken ihre Handykameras. "Die Aufregung ist groß", berichtet ntv-Börsenreporterin Sabrina Marggraf. "Alle wollen Bilder von der runden Marke." Ein bisschen mehr als die runde Marke ist sogar auch noch drin: Das Allzeithoch eine halbe Stunde später liegt bei 20.038 Zählern.
Auch wenn es der deutsche Leitindex in den vergangenen Wochen noch einmal spannend machte, legte er in diesem Jahr ein enormes Tempo vor: Für 2024 steht ein sattes Plus von 20 Prozent oder 3200 Punkten zu Buche. Von 10.000 auf 20.000 Punkte hat er ganze zehn Jahre gebraucht.
Woher der Schwung kommt, ist erklärungsbedürftig. Denn in der deutschen Wirtschaft herrscht Flaute. Die Industrieproduktion sinkt, die Auftragsbücher sind leer, die Meldungen über Insolvenzen und Stellenabbau reißen nicht ab. Wie passt das zusammen? Ist die Lage gar nicht so düster?
DAX und Konjunktur gehen getrennte Wege
Eigentlich schon. Aber "der DAX ist nicht die deutsche Konjunktur", erklärt ntv-Börsenreporterin Marggraf. "Viele Unternehmen, die im DAX gelistet sind, machen ihre Geschäfte nicht in Deutschland, sondern weltweit. Die Weltwirtschaft wächst und davon profitieren diese Konzerne."
Auch Fondsmanager David Wehner verwies im Interview mit ntv.de auf die Entkopplung des DAX von der deutschen Konjunktur. "Bis Anfang der 2000er Jahre war das noch anders: Globale Marktkapitalisierung und BIP korrelierten, die Aktienmärkte bildeten den wirtschaftlichen Output ab." Als die Märkte in der Finanzkrise mit Geld geflutet wurden, habe sich das geändert, so Wehner weiter. "Mittlerweile stellen die Aktienmärkte ungefähr 200 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) dar, sie haben sich komplett entkoppelt."
Der letzte Schwung über die 20.000-Punkte-Marke ist nach Einschätzung des Kapitalmarktexperten Robert Halver vor allem dem Nachholbedarf gegenüber den US-Märkten geschuldet. Es seien Wetten darauf, dass es mit der deutschen Wirtschaft eigentlich nur besser werden könne: "Da ist die Hoffnung auf eine neue, wirtschaftsfreundlichere Bundesregierung." In Europa herrschten zudem Zinssenkungsphantasien, weil es konjunkturell so schlecht aussieht. Außerdem gebe es Chancen auf eine "Beschleunigung der Weltwirtschaft" und für Amerika die Aussicht auf die von Trump versprochene "Reindustrialisierung".
"Da werden viele deutsche Konzerne mitmachen", so Halver. Auch wegen der US-Zölle, mit denen der designierte US-Präsident droht. "Viele werden sagen, dann produzieren wir eben noch mehr in Amerika." Oder sich in den USA niederlassen, um Trumps "Zollhammer" zu entgehen.
Und wer sind die Treiber der Börsenrally?
Natürlich haben nicht alle DAX-Unternehmen gleichermaßen von der Hausse profitiert. "Wenn man genau hinschaut, sind vor allem Unternehmen, die von künstlicher Intelligenz und technologischem Fortschritt profitieren, für die Kursgewinne verantwortlich", sagt ntv-Börsenreporterin Markggraf. Highflyer sind das DAX-Schwergewicht SAP und die Telekom: SAP hat seit Jahresbeginn über 65 Prozent zugelegt, der Kurs der Telekom verbesserte sich um über 40 Prozent.
Die Börsenrally wird von sehr erfolgreichen deutschen Unternehmen getragen, wie auch Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank, sagt. "Diese Unternehmen aus den Bereichen Technologie, Elektronik, Konsum und Finanzen partizipieren am kräftigen Weltwirtschaftswachstum und sind kaum von der lahmenden deutschen Konjunktur abhängig."
Prügel haben dagegen - wenig überraschend - die Autotitel bezogen. Aber auch das könne sich jederzeit ändern, so Halver. Denn: "Was in Deutschland geschlossen wird, kann in Amerika wieder geöffnet werden." Deutschland könne von Amerika aus beliefert werden, so der Marktexperte weiter. Das würde dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden. Für die Börse zählten aber nur "Zahlen, Gewinne und Kostenstrukturen".
Und wie sollten sich Anleger jetzt positionieren? Dass der DAX bis zum Jahresende kontinuierlich weiter steigt, ist keine ausgemachte Sache. "Oft kommt es nach einem neuen Allzeithoch zu Gewinnmitnahmen", warnt Christian Henke vom Broker IG. Denn viele Belastungsfaktoren hängen nach wie vor wie ein Damoklesschwert über der Börse. Unmittelbar nach dem Allzeithoch rutschte der DAX erstmal wieder unter die magische Marke von 20.000 Punkten.
Quelle: ntv.de