
3,5 Milliarden Euro sind bei der P&R-Pleite gefährdet. Steckte die Firma das Geld wirklich nur in Container?
(Foto: Screenshot der P&R-Webseite)
Für Tausende Kleinanleger entpuppt sich die Münchner Container-Firma P&R womöglich als Milliardengrab: Sie lockte mit attraktiven Renditen, doch womöglich floss das Geld in ein Schneeballsystem.
Als "eine solide Investition in Sachwerte" pries die P&R-Gruppe ihre Geschäftsidee an. "Bewährt. Verständlich. Konservativ", eine "Win-Win-Situation". Es war ein schönes Versprechen: Reeder und Logistikfirmen finanzierten ihre Containerflotten bedarfsgerecht ohne eigenes Geld und Tausende Kleinanleger verdienten am Logistikgeschäft mit, indem sie die Metallboxen kauften. P&R, die Firma aus Grünwald bei München, brachte beide zusammen.
Lange Zeit ging die Rechnung auf: P&R lockte mit satten Renditen von über zehn Prozent, bezogen auf den Containerpreis. Vor Steuern versprach die Firma ihren Anlegern im Schnitt vier Prozent Rendite - besonders in Zeiten von Niedrigzinsen ein attraktives Angebot. Doch nun droht aus der Erfolgsgeschichte der "größte deutsche Anlageskandal der jüngeren Vergangenheit zu werden", warnt der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick. Seit Donnerstag sind die meisten Firmen der P&R-Gruppe pleite.
Die Münchner Kanzlei Jaffé leitet als Insolvenzverwalter die Geschicke, die Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers ackern die Bücher durch. Bis zu 3,5 Milliarden Euro stecken nach Angaben von Jaffé in den drei insolventen P&R-Gesellschaften. Schlimmstenfalls droht der Totalverlust. "In welcher Höhe Rückflüsse an die Anleger möglich sind, lässt sich heute noch nicht sagen", sagt Jaffé. Er will den Betrieb fortführen, um "Einnahmen zu erzielen und ein Verwertungskonzept zu erstellen".
Satte Renditen, gute Story
Wie beim Windparkbetreiber Prokon oder dem Finanzdienstleister Infinus schauen nun mehr als 50.000 P&R-Anleger in die Röhre. Oder besser gesagt in fast 1,3 Millionen Stahlkisten: zwölf Meter lang, zweieinhalb Meter hoch und dreieinhalb Tonnen schwer sind die 40-Fuß-Standardcontainer, die P&R an seine Kunden verkaufte und in deren Namen an Leasingfirmen und Reedereien auf der ganzen Welt vermietete. Die schipperten mit den Metallboxen Waren auf den Weltmeeren herum. Nach drei bis fünf Jahren kaufte P&R die Standardkisten wieder zurück. Das Finanzamt begünstigte das Modell noch steuerlich.
Über sieben Milliarden Euro hat P&R nach eigenen Angaben mit dieser Story in zehn Jahren bei Kleinanlegern und institutionellen Investoren eingesammelt. Sechs Prozent des weltweiten Containerbestands will die Firma angeblich auf den Büchern gehabt haben. Alles sah nach einem soliden Geschäftsmodell aus. Als P&R 1975 gegründet wurde, war der Containermarkt gerade erst entstanden. Der Welthandel wuchs stetig und mit ihm der globale Containerbedarf.
Mit der Finanzkrise geriet die Containerschifffahrt jedoch in schwieriges Fahrwasser. Immer mehr Reedereien gingen pleite, die Containerpreise rutschten ab. Gleichzeitig gingen P&R gingen die Anleger von Bord - womöglich auch deswegen, weil immer mehr von ihnen die Lücken im Geschäftsmodell erkannten. Ab 2017 galt das neue Anlegerschutzgesetz. Es verpflichtete Anbieter am grauen Kapitalmarkt erstmals, Prospekte zu veröffentlichen. "Beim Marktführer P&R liefern die umfangreichen Informationen einige sehr interessante Erkenntnisse", berichtete der Finanzjournalist Stephan Loipfinger auf seinem Blog investmentcheck.de schon im vergangenen Jahr.
Stahlkisten zu Mondpreisen
Auf der Internetseite www.frachtcontainer-inso.de informiert P&R-Insolvenzverwalter Michael Jaffé zum aktuellen Stand des Insolvenzverfahrens: "Der Insolvenzverwalter wird die bekannten Gläubiger unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schriftlich unaufgefordert kontaktieren, sie über die Eröffnung informieren und ihnen die Unterlagen für ihre Forderungsanmeldung übersenden. Eine Forderungsanmeldung ist erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens möglich. Eine Forderungsanmeldung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist rechtlich unwirksam und bleibt unberücksichtigt."
Auch die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) organisiert eine Interessengemeinschaft betroffener P&R-Anleger und will in ihrem Newsletter in den kommenden Wochen berichten. Unter www.sdk.org/pundr können sich Betroffene kostenfrei registrieren.
Offenbar zahlte P&R den Anlegern jahrelang mehr Miete für ihre Stahlkisten, als die Firma selbst von den Transportfirmen bekam: Von 2014 bis 2016 seien "pro Jahr im Durchschnitt über 170 Millionen Euro Unterdeckung aus der Endvermietung der Container" entstanden, schrieb Loipfinger im Juni. Anfang März teilte P&R seinen Kunden erstmals mit, dass die Mieten nicht fristgerecht bezahlt werden könnten.
Selbst im besten Fall hätten die Anleger wohl sowieso nur einen Bruchteil ihres Geldes wiedergesehen, wie ein exemplarischer Blick auf das Angebot 5001 zeigt, das im Mai 2017 geschlossen wurde. Die Anleger kauften ihre Container für 2635 Euro und bekamen dafür von P&R über fünf Jahre eine Miete von täglich 74 Cent garantiert. Am Ende der Laufzeit hätten sie so rund 1350 Euro verdient. Alles hängt allerdings davon ab, wie viel die Investoren bei Vertragsende für ihre Metallkisten noch bekommen. P&R hätte ihre Container nur zu einem Bruchteil des Verkaufspreises zurückgekauft, weil sich die Metallboxen über die Jahre durch Wind und Wetter abnutzen - dieser Wertverlust hätte einen Großteil der Mieteinnahmen wieder aufgefressen.
P&R ging in ihren Prospekten von extrem optimistischen Rückkaufwerten aus. Die Firma rechnete mit rund zwei Dritteln des Kaufpreises - utopisch, wie Loipfinger schon 2016 vorrechnete: Der Weltmarktpreis für gebrauchte Container lag weit niedriger. Auch die Neupreise der Metallboxen waren auffällig überzogen. Angesichts dieser Abweichungen warf Loipfinger eine heikle Frage auf: Ob es sich bei P&R "wirklich um ein Investment in Container handelt" - oder um ein Schneeballsystem.
Wie konnte die Firma über Jahre Rückkaufswerte über dem Marktpreis zahlen? Hat sie womöglich Altkunden mit dem Geld neuer Anleger ausbezahlt? "Weil die Bestandsaufnahme noch läuft, können wir momentan über unsere Pressemitteilung hinaus kein weiteres Statement abgeben", sagt Insolvenzverwalter Jaffé auf Anfrage von n-tv.de.
Schneeballsystem mit Metallboxen?
"Spannend wird sein, ob es wirklich alle Container gibt und ob sie den Anlegern gehören", bringt Loipfinger die Gretchenfrage des kommenden Insolvenzverfahrens auf den Punkt. Ein Blick in die P&R-Prospekte lässt begründete Zweifel aufkommen. So kaufte die Firma 2015 Container für nur 146 Millionen Euro ein, diente ihren Investoren aber Stahlkisten im Wert von 831 Millionen Euro an.
Auch der Zeitpunkt der Insolvenz ist verdächtig. Denn 2013 war für P&R das beste Jahr aller Zeiten: Die Firma brachte Container für mehr als eine Milliarde Euro an den Mann. All diese Stahlkisten hätte P&R nach Ablauf der fünfjährigen Vertragslaufzeit nun in diesem Jahr zurückkaufen müssen. Weil das Neugeschäft seit 2013 geschrumpft sei, "bricht jetzt das Kartenhaus zusammen", sagt Loipfinger.
P&R wäre nicht die erste Containerfirma, die mit dem Geld ihrer Anleger noch andere Geschäfte gemacht hat. Auch beim P&R-Konkurrenten Magellan, der 2016 pleiteging, stellte sich am Ende heraus, dass viele der Metallboxen beschädigt, auf den Weltmeeren über Bord gegangen oder schlicht gar nicht vorhanden waren.
Das Pleiterisiko tragen nun die Anleger: Sie sind wirtschaftliche Eigentümer von hunderttausenden Containern und haften damit für alle etwaigen Kosten. Die Firma aus Grünwald, die ihnen die Metallboxen einst verkaufte, hat sie juristisch gesehen lediglich verwaltet und an Transportfirmen vermittelt. Womöglich sehen die Investoren also nicht nur ihr eingesetztes Kapital nicht wieder, sondern müssen sogar noch draufzahlen, falls Häfen und Reedereien Standgebühren oder Entsorgungskosten geltend machen.
Insolvenzverwalter Jaffé hält das aber nur für ein theoretisches Risiko. Er ruft die Anleger auf, "Ruhe zu bewahren". Er ermittele zurzeit, "wie viele Container an wen wie lange vermietet sind" und sichere die Mieterlöse. Das könne allerdings Monate dauern. Eine eigene Verwertung der Container durch die Anleger habe "wirtschaftlich keinen Sinn, weil die Kosten jeden Erlös übersteigen würden".
Solange das Insolvenzverfahren läuft, brauchen Anleger zumindest auch nicht zu fürchten, dass plötzlich die Hafenbehörde von Singapur an ihre Tür klopft: Die Gläubiger von P&R können ihre Ansprüche nicht zwangsweise durchsetzen. Und dass die Anleger selbst tätig werden, sei auch deshalb "faktisch unmöglich, weil die Container weltweit vermietet und unterwegs sind", sagt Jaffé. Den P&R-Kunden bleibt zurzeit wohl nur das zu tun, was sie bisher auch getan haben: abwarten und auf ruhige See hoffen.
Quelle: ntv.de