Nocebo-Effekt bei sensiblen MenschenMedienberichte können Schmerzen machen

Die Kraft der Gedanken ist stark - und zwar so stark, dass sie sogar Schmerzen und andere körperliche Symptome erzeugen kann. Um den sogenannten Nocebo-Effekt auszulösen, reichen Medienberichte über schädliche Substanzen schon aus.
Nicht nur Informationen auf Beipackzetteln von Medikamenten, sondern auch Medienberichte über vermeintlich schädliche Substanzen können zu Beschwerden führen. Das hat Dr. Michael Witthöft von der Johannes-Gutenberg Universität Mainz in Zusammenarbeit mit G. James Rubin vom King's College London nachgewiesen. Für die Untersuchung mit 147 Probanden hatten sich die Psychologen das Phänomen der elektromagnetischen Hypersensitivität ausgesucht.
"In einigen Untersuchungen konnte bisher gezeigt werden, dass es sich bei der elektromagnetischen Hypersensitivität aller Wahrscheinlichkeit nach um einen sogenannten Nocebo-Effekt handelt, also um das Eintreten einer negativen Veränderung durch bloße Erwartung", erklärt Dr. Michael Witthöft vom Psychologischen Institut der Universität Mainz in einem Gespräch mit n-tv.de.
Wirkung von EMF
Elektromagnetische Felder (EMF) von Handys, Mobilfunkmasten, Hochspannungsleitungen oder WLAN sollen laut zahlreicher Medienberichten Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Menschen die sich selbst als elektromagnetische hypersensitiv beschreiben leiden oftmals unter Kopfschmerzen, Schwindel und kribbelnder Haut. Die Symptome werden auf die Emissionen zurückgeführt. In Untersuchungen konnten Betroffene jedoch nicht unterscheiden, ob sie tatsächlich EMF ausgesetzt waren oder nicht.
Den Probanden im Alter zwischen 19 und 68 Jahren wurde am King's College London zunächst ein Fernsehbericht gezeigt. Ein Teil der Studienteilnehmer bekam einen Dokumentarfilm des Senders BBC One zu sehen, in dem zum Teil drastisch über die Gesundheitsgefahren von Mobilfunk- und WLAN-Signalen berichtet wurde. Die anderen sahen sich einen Bericht von BBC News über die Sicherheit von Internet- und Handy-Daten an. Danach wurden alle Probanden darüber informiert, dass sie sich einem WLAN-Scheinsignal aussetzen würden.
Mehr als die Hälfte spürt Scheinstrahlung
Obwohl keinerlei Strahlung vorhanden war, klagten 54 Prozent der Probanden über typische Symptome wie Beunruhigung und Beklemmung, Beeinträchtigung der Konzentration oder Kribbeln in den Fingern, Armen, Beinen und Füßen. Zwei der Teilnehmer brachen sogar den Test vorzeitig ab, weil sie so starke Symptome spürten, dass sie sich nicht länger der (Schein-)Strahlung aussetzen wollten.
Diejenigen teilnehmenden Personen, die bereits zu Beginn der Untersuchung über erhöhte Ängstlichkeit berichteten und gleichzeitig den Dokumentarfilm über mögliche negative Wirkungen elektromagnetischer Strahlung gesehen hatten, klagten über signifikant stärkere Beschwerden. "Ein nennenswerter Unterschied bei der Wirkung der Filme zwischen Männern und Frauen konnte in der Untersuchung nicht festgestellt werden", erklärt Witthöft weiter.
Sensible Berichterstattung gefordert
Es zeigte sich also, dass Medienberichte über Gesundheitsgefahren einen immensen Einfluss auf große Teile der Bevölkerung haben können, selbst wenn sie keine wissenschaftlichen Grundlagen haben. Die Suggestionen über die Gefahren, die von Substanzen oder Strahlen ausgehen können, könnte zudem nicht nur kurzfristig wirken, sondern auch länger anhalten. Die Menschen, die Informationen über Gesundheitsrisiken aufnehmen, werden für die Zukunft sensibilisiert. Aus diesem Grund können in den Situationen, die als vermeintlich gesundheitsgefährlich erklärt worden waren, auch befürchtete Symptome entstehen.
Die Beschwerden, die ein Nocebo-Effekt auslösen kann, sind jedoch für die Betroffenen selbst durchaus real, denn die schmerzverarbeitenden Regionen im Gehirn werden währenddessen nachweisbar aktiviert.
Witthöft und Rubin rufen deshalb alle Medienvertreter dazu auf, stärker mit den Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten und Berichte über Gesundheitsgefahren wahrheitsgetreu und auf dem aktuellsten Wissensstand an die Öffentlichkeit zu bringen.