Wehmut an der "Space Coast" Wer kann, zieht weg
08.07.2011, 10:11 Uhr
"Die Stimmung ist sehr düster hier."
(Foto: picture alliance / dpa)
Das Aus für die bemannten US-Raumfähren stürzt Floridas "Space Coast" in eine echte Krise. Es gehen nicht nur Tausende Jobs verloren, sondern auch das Selbstbewusstsein. Die Einwohner sehnen sich nach einer neuen Weltraumvision aus Washington.
Es wirkte wie die Andachtsfeier für einen toten Freund. Knapp 800 Einwohner der US-Stadt Titusville in Florida kamen in einem Gemeindesaal zusammen, um sich ihrer Trauer zu stellen. Erst schauten sie einen Dokumentarfilm über die Geschichte des Space Shuttle an. Dann diskutierten sie, was ihnen blühen wird, nachdem am mit der "Atlantis" der letzte Orbiter vom benachbarten Weltraumbahnhof gestartet ist. Das Fazit des Abends kannten sie schon vorher längst: "Die Stimmung ist sehr düster hier", sagt Walter Feitshans, einer der vielen besorgten Bürger.
Der Ort liegt an der "Space Coast", dem Küstenteil in Florida, wo die Raumfahrtbehörde NASA ihren berühmten Raketenstartplatz betreibt. Wie auch Cape Canaveral, Merritt Island und Cocoa gründet Titusville seine Identität auf Amerikas Erfolge im Weltall. Das Motto der Stadt lautet "Natur, Geschichte, Raumfahrt", ihr Spitzname "Space City". In Restaurants und Bars hängen die Wände voll mit Fotos von den Shuttles und den Apollo-Mondraketen. Astronauten - hier noch echte Helden - werden wie Geschichtsväter und Rockstars in Museen verehrt.
Es fehlt eine Vision
Dieses Selbstverständnis leidet derzeit gewaltig unter dem Ende der bemannten Raumfahrt in den USA. Die NASA spricht zwar lediglich von einer Unterbrechung, da schon 2015 wieder Astronauten in privat entwickelten Raumkapseln von Cape Canaveral aus in den Orbit abheben sollen. Doch in Titusville glaubt man eher an eine zehn Jahre lange Pause. "Wir fragen uns, wie es weitergeht", sagt Jason Linkous, Pastor einer evangelikanischen Kirche. Es fehle eine Vision. "Was soll diese Lücke zwischen dem Heute und der Zukunft überbrücken?"
Die Lücke ist aber vor allem eine finanzielle. Tausende Bewohner der "Space Coast" verloren mit dem Shuttle-Ende ihren Job. Genaue Zahlen sind rar, weil die NASA viel Arbeit an Privatunternehmen ausgelagert hat. Die Lokalzeitung "Florida Today" rechnet mit 9000 Stellenstreichungen im Kennedy Space Center allein und als Konsequenz mit 11.000 weiteren in der Region. Nur an Löhnen gingen der Wirtschaft 600 Millionen Dollar (419 Millionen Euro) verloren.
Tourismus als Joker?
Wer kann, zieht weg. Vor allem junge Familien machen sich nach Texas, Georgia oder South Carolina auf, wo Luftfahrtunternehmen noch Experten brauchen. "Wir haben schon viele Leute verloren. Das hat unsere Gemeinde stark beeinflusst", sagt James Hernandez, der bedauert, dass immer mehr Geschäfte schließen müssen und Häuser leerstehen.
Der Weg aus der Misere muss in den kommenden Jahren wohl über den Tourismus kommen. Cocoa kann immerhin mit 20 Kilometern öffentlichen Strand aufwarten. Nebenan in Port Canaveral legen regelmäßig Kreuzfahrtschiffe an und Cape Canaveral ist auch ohne Shuttle-Starts wegen des Nasa-Besucherzentrums weiter ein Publikumsmagnet. Doch am Ende werden die Einwohner nur mit einer neuen Raumfahrtvision aus Washington wieder glücklich, sagt Marcia Gaedcke, Präsidentin der Handelskammer in Titusvielle. "Wir sind immer noch die "Space Coast". Und werden immer die "Space Coast" bleiben."
Quelle: ntv.de, Marco Mierke, dpa