Politik

Propagandamaschine im Ausland Chinas "magische Waffe" heißt Einheitsfront

Chinas Präsident Xi Jinping betont die Bedeutung der sogenannten Einheitsfront - und baut sie weiter aus.

Chinas Präsident Xi Jinping betont die Bedeutung der sogenannten Einheitsfront - und baut sie weiter aus.

(Foto: dpa)

Die Einheitsfront der KP Chinas will Nicht-Mitglieder auf Parteilinie einschwören und Auslandschinesen unter Kontrolle halten. Unterschätzt wird bisher ihre Rolle als Strippenzieherin in anderen Staaten, wo sie dank einflussreicher Persönlichkeiten auf die Wahrnehmung chinesischer Politik einwirkt.

Chinas militärisches Arsenal hat nach jahrzehntelanger Aufrüstung ein technisch höchst anspruchsvolles Niveau mit erheblicher Zerstörungskraft erreicht. Zur "magischen Waffe" allerdings erklärte Staatspräsident Xi Jinping weder Interkontinentalraketen, noch Tarnkappen-Bomber oder Flugzeugträger. Die "magische Waffe" der Volksrepublik, so formulierte es Xi vor einigen Jahren, sei die Vereinigte Arbeitsfront.

Diese Abteilung, auch als Einheitsfront bezeichnet und angegliedert an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei, ist eine Waffe anderer Art. Sie zerstört oder tötet nicht, ganz im Gegenteil: Sie gestaltet. Nämlich die Wahrnehmung des politischen Systems der Volksrepublik und die öffentliche Meinung über die Politik der Partei im In- und Ausland. Die Einheitsfront ist fast so alt wie die Partei selbst und kommt intensiv dort zum Einsatz, wo Zweifel aufkommen an der Legitimität der KP, wo Kritik laut wird an ihrer Politik und wo Widerstand droht gegen ihre autoritäre Herrschaft. Sie operiert über eine Verästelung von Organisationen, die unmittelbar oder indirekt an den Parteistaat angegliedert sind, sowie über internationale Kontakte in einflussreiche Ebenen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Ihre Struktur vereint 13 Unterabteilungen, die sich verschiedenen Schwerpunkten und Zielgruppen widmen - darunter Religion, Ethnien, Außenpolitik, Intellektuelle, Hongkong und Taiwan. Seit 2017 ist You Quan als Direktor verantwortlich für die Einheitsfront. Er ist Mitglied im Zentralkomitee der KP und steht seit Januar dieses Jahres auf der Sanktionsliste des US-Außenministeriums für seine Rolle, die ihm bei der Umsetzung des Nationalen Sicherheitsgesetzes für Hongkong zugeschrieben wird.

Macht der Einheitsfront wächst

Vor allem Wissenschaftler sehen sich häufig mit dem Wirken der geheimnisvollen Organisation konfrontiert. "Die Einheitsfront ist eine Art Management-Instrument der KP Chinas, um sicherzustellen, dass einerseits Nicht-Mitglieder auf Parteilinie gebracht und andererseits negative Stimmen marginalisiert werden", sagt Ralph Weber, Professor am Europainstitut der Universität in Basel. Er selbst machte diese Erfahrung unmittelbar nach der Veröffentlichung einer Studie Ende vergangenen Jahres.

Darin hatte Weber den wachsenden Einfluss der Einheitsfront und ihre Methoden in seiner Schweizer Heimat analysiert: Wie ein "Wurzelgeflecht" binden sich chinesische Akteure demnach in das schweizerische System ein und schaffen Abhängigkeit mit wirtschaftlichen Verträgen und Gefälligkeiten. Die chinesische Botschaft in der Schweiz bezeichnete Weber daraufhin als hinterhältig. Staatsmedien in China beschuldigten ihn, mit der Studie die Beziehungen zwischen beiden Ländern zu beschädigen.

Die Bedeutung der Einheitsfront als Werkzeug der KP hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen: Sie bekam mehr Geld und mehr Personal. 2018 wurde ihr das Auslandsbüro für chinesische Angelegenheiten, ein weiteres Organ des Parteistaats, unterstellt. Damit einher ging die Kontrolle über den China News Service - einer Nachrichtenagentur, deren Größe nur noch vom Haupt-Presseorgan Xinhua übertroffen wird.

Parteichef Xi betonte die wachsende Notwendigkeit der Einheitsfront als Reaktion auf die Neugestaltung der globalen Sicherheitsarchitektur. "Gegenwärtig haben sich unsere Situation und unsere Mission erheblich verändert. Je größer die Veränderung, desto mehr muss die Einheitsfront unter der neuen Situation entwickelt werden, desto mehr Einheitsfrontarbeit muss geleistet werden", sagte Xi. Beispielsweise soll die Organisation "die verantwortlichen Repräsentanten der sozialen Medien" ins Visier nehmen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, "für die Reinigung des Cyberspace zu kämpfen". Gemeint ist damit die unbedingte Kontrolle von Inhalten und Zugängen im Internet.

Grenzen zwischen demokratischen und autoritären Systemen verwischen

Mit wachsender geostrategischer Ausrichtung der Volksrepublik zieht es auch die Einheitsfront längst in alle Winkel der Erde. "Im Ausland will die Einheitsfront die chinesische Diaspora für das Mutterland begeistern und dem Rest der Welt die autoritäre Volksrepublik als normalen und vertrauenswürdigen Partner skizzieren", sagt Chinaforscher Weber. Ihr ginge es etwa darum, die Grenzen zwischen demokratischen und autoritären Systemen so weit zu verwischen, dass es immer schwieriger fällt, Ansatzpunkte für Kritik an der Diktatur zu finden, die nicht auf das eigene politische System zurückfällt. Das gelte prinzipiell für Deutschland genauso wie für die Schweiz, allerdings in unterschiedlichen Ausprägungen.

In beiden Ländern ist die Einheitsfront subtil tätig. Sie wirft nicht mit Propaganda-Parolen um sich und provoziert keine Konfrontationen mit Kritikern. Ihre Strategie besteht im Aufbau von engen Beziehungen zu ausländischen Persönlichkeiten mit Meinungsmacht. Dabei tritt sie nicht unbedingt selbst auf, sondern bedient sich der Hilfe von chinesischen Organisationen und Verbänden, die im Gastland tätig sind. Für chinesische Studierende oder Geschäftsleute setzt sie dagegen einen Ordnungsrahmen und sorgt für die entsprechende Überwachung durch ein enges Netz an Informanten und Informantinnen. Wenn sie es für nötig hält, schaltet sie andere Institutionen des Machtapparats ein.

Menschenrechtsanwälte warnen vor diesem unsichtbaren Arm des Apparats. "Die Einheitsfront kooperiert bei Bedarf mit Agenten der chinesischen Staatssicherheit, die den Druck auf die Kritiker und Kritikerinnen erhöhen können. Das funktioniere zum Beispiel, indem sie Auslandschinesen daran erinnern, dass diese noch Verwandte in China haben", sagt der chinesische Anwalt Teng Biao, der in den USA im Exil lebt, im Gespräch mit ntv.de. Teng zufolge sei die Einheitsfront sehr effektiv in ihrem Bemühen. Ihr gelinge es, unter Auslandschinesen möglichen Dissens mit dem System weitgehend zu neutralisieren und wichtige ausländische Persönlichkeiten für die Imagepflege zu gewinnen.

Dies geschehe oftmals, ohne dass die Betroffenen überhaupt wissen, dass sie der Einheitsfront wertvolle Dienste leisten. "Eine beliebte Taktik ist es, Ausländern so lange Honig um den Bart zu schmieren und sie als wahre Freunde Chinas zu bezeichnen, bis man sie als Fürsprecher für die eigenen Zwecke einsetzen kann", sagt Teng. Viele Ausländer bekämen gar nicht mit, dass sie ein Werkzeug der chinesischen Propaganda sind. "Ihnen wird glaubhaft vermittelt, sie gehörten zu den Wenigen, die Chinas vermeintlich wahre Anliegen wirklich verstehen."

Auch Geschäftsleute werden benutzt

Die Zielpersonen werden psychologisch beeinflusst, indem man sie in chinesische Angelegenheiten involviert und ihnen dabei das Gefühl vermittelt, besonders sie seien es, die mit ihrem Engagement eine für alle vorteilhafte Lösung schaffen. Selbst hochrangige Diplomaten werden überzeugt, "dass ihr einzigartiges Verständnis von China sich in ihrer Fähigkeit zeigt, die Dinge ruhig und ungestört zu halten. Sie tun dies, weil es funktioniert - für China", sagte der frühere kanadische Botschafter in China, David Mulroney.

Auch enge, persönliche Geschäftsbeziehungen von Ausländern nach China nutzt die Einheitsfront dabei zu ihren Gunsten. In der Praxis sieht das dann so aus wie im Fall der chinesisch-schwedischen Verlegertochter Angela Gui. Deren Vater sitzt in China im Gefängnis, obwohl er schwedischer Staatsbürger ist - weil er parteikritische Bücher in Hongkong veröffentlichte. Nach einigen Interviews mit schwedischen Medien zum Verschwinden ihres Vaters wurde Angela Gui von einem Geschäftsmann aus Sri Lanka, der in Skandinavien lebt und enge geschäftliche Verbindungen nach China pflegt, vor weiteren Gesprächen mit Medien gewarnt. Sie würde ihren Vater nie wieder sehen, lautete der angeblich gut gemeinte "Rat". Gui aber verstand das als Drohung.

Anwesend bei jenem Gespräch in einem Hotel in Stockholm waren auch der chinesische Geschäftspartner des Mannes aus Sri Lanka und die frühere schwedische Botschafterin in Peking, Anna Lindstedt. Lindstedt hatte das Treffen arrangiert und riet Angela Gui zum Einverständnis. Dafür musste sich die Diplomatin im vergangenen Jahr vor einem schwedischen Gericht verantworten - wurde aber von der Schuld freigesprochen, ihre Zuständigkeit als Botschafterin überschritten zu haben. Man nahm ihr ab, dass sie mit besten Absichten gehandelt habe, um einem schwedischen Staatsbürger aus chinesischer Haft zu verhelfen. Dass sie gleichzeitig die Interessen der Volksrepublik vertrat, spielte bei der Verhandlung keine Rolle.

Auch Regierungsstellen werden inzwischen aufmerksam. "Es liegt in der Natur der Einheitsfront, Einfluss durch das Knüpfen von Verbindungen zu nehmen, deren Existenz öffentlich schwer nachweisbar ist", urteilte ein Bericht der US-China Commission aus dem Jahr 2018. "All jene, die versuchen, die negativen Auswirkungen eines solchen Einflusses zu identifizieren, bieten Angriffsfläche für Anschuldigungen, sie bedienten Vorurteile." Das Australian Strategic Policy Institute (ASPI) spricht von einer "spaltenden Wirkung der Einheitsfront" und empfiehlt Regierungen, sich intensiver mit den Mitteln der Einmischung durch chinesische Akteure zu befassen.

Die Regierungen haben zweifellos jahrelang viel zu naiv die Analyse des chinesischen Apparats mit all seinen Verästelungen vernachlässigt. Doch der Umgang mit der Einheitsfront ist keineswegs allein ihre Sache. Zu sehr berührt sie die Beziehungen ganz normaler Menschen untereinander. Losgetreten hat diese Entwicklung die Kommunistische Partei selbst. Xi Jinping beispielsweise erklärte chinesische Auslandsstudenten zu einer wertvollen Ressource für die Einheitsfrontarbeit. Dass deswegen alle chinesischen Studenten die Interessen der Partei verträten, sei schlichtweg falsch, sagt Forscher Ralph Weber. "Das Tragische ist, dass durch die Einflussnahme der Einheitsfront ganz viele Chinesen im Ausland unter Generalverdacht gestellt werden. Das ist perfide und falsch." Für die Einheitsfront jedoch ist das ein durchaus wünschenswertes Ergebnis. Denn wo sich Menschen weniger vertrauen, öffnet sich großer Spielraum für Manipulationen.

Quelle: ntv.de

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