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Rollende Lebensversicherung 612 PS - Olaf Scholz' neuer Mercedes S 680 Guard

Ein Bundeskanzler muss nicht nur gegen das politische Kreuzfeuer der Opposition gewappnet sein, er braucht auch Sicherheit bei der Reise. Kein Mensch kann sagen, ob nicht irgendwann ein Irrer das Feuer eröffnet. Im Mercedes S 680 Guard droht hier aber keine Gefahr.

Es geht ruhig und bedächtig zu in der abgelegenen Halle in Mercedes Stammwerk in Sindelfingen. Während ein paar Hundert Meter weiter in der Factory 56 wie in einem Science-Fiction-Film die neue S-Klasse und der EQS im modernsten Autowerk der Welt von autonomen Robotern durch die weitgehend automatisierte Fabrik bugsiert werden, schrauben hier zwei Dutzend Handwerker vergleichsweise bedächtig an einer Reihe schwarzer Limousinen. Statt 90 Sekunden hat ihr Takt 400 Minuten und statt 1,5 Tagen dauert die Produktion hier gute zwei Wochen.

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Die Produktion eines Mercedes S 680 Guard dauert gut zwei Wochen.

(Foto: Mercedes)

Doch hier bauen sie schließlich keine gewöhnlichen S-Klassen. Das hier ist die Guard-Manufaktur, in der aus der Limousine ein Panzer im Pelzmantel wird. Denn hier montiert Mercedes Autos, denen Kanzler, Könige und Konzernbosse seit über 90 Jahren ihr Leben anvertrauen - und da wird man sich ja wohl mal ein bisschen Zeit lassen dürfen.

Sicherheit als ballistische Größe

Sicherheit definiert sich in diesen Kreisen nicht über Airbags und Assistenzsysteme. "Hier sprechen wir von ballistischen Bedrohungen", sagt Baureihenleiter Andreas Zygan und rattert Waffengattungen herunter, bei denen selbst James Bond ein kalter Schauer über den Rücken laufen würde. Die 44er Magnum aus dem Western ist genau wie die bei Terroristen so beliebte russische Kalaschnikow nur ein besseres Spielzeug gegen das, was Zygan zu parieren hatte: "Hier geht es um Scharfschützengewehre, die auch auf drei Kilometer noch einen Baum durchschlagen, und um 12,5 Kilogramm Plastiksprengstoff, die direkt neben dem Wagen gezündet werden."

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Im Innenraum spürt der Kanzler kaum etwas davon, dass er sich in einem rollenden Panzerschrank befindet.

(Foto: Mercedes)

Damit die VIP dieser Welt cool durch so ein Kreuzfeuer kommen, bauen sie hier in der Sindelfinger Manufaktur quasi ein komplett neues Auto – nur dass sie diesmal keinen Gedanken an Leichtbau verschwenden. Der Guard bekommt eine Schutzzelle aus Panzerstahl, Aramidfasern und mehrlagigem Glas von fast zehn Zentimetern Dicke. Erst im zweiten Schritt wird dieser Tresor auf Rädern dann mit den Außenblechen der S-Klasse verkleidet - und unterscheidet sich so für das ungeübte Auge kaum mehr von einer gewöhnlichen Luxuslimousine. "Denn unauffällig zu bleiben, ist oft die beste Verteidigungsstrategie", sagt Zygan - wobei das beim Kunden wie dem deutschen Bundeskanzler kaum gelingen wird, wenn vorne eine Eskorte fährt und hintendran die Kavallerie reitet.

Verbriefte Sicherheit

Dass der Panzer dichthält, hat Zygans Truppe nicht nur hundertfach berechnet und auf einem kleinen Schießstand im Keller des Werkes an Dutzenden Bauteilen geprüft. Darauf hat den Schwaben das staatliche Beschussamt in München auch Brief und Siegel gegeben. Mehr als 300 Schuss haben die Experten auf den Luxusliner abgefeuert und dabei immer auf die neuralgischen Punkte gezielt. Und spätestens als die Sprengladung detonierte, war auch das letzte bisschen Glanz und Gloria verpufft. Doch auch wenn die S-Klasse danach ausgesehen hat wie ein Schweizer Käse aus der Räucherkammer, wären die Insassen unverletzt geblieben. Das zumindest haben die Daten des Hightech-Dummies ergeben, der den Angriff stoisch über sich ergehen ließ.

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Auch für den Fahrer eines S 680 Guard scheint auf den ersten Blick alles wie in einer normalem S-Klasse zu sein.

(Foto: Mercedes)

Während der Guard für Zygans Truppe ein Sonderfall ist, sollen die Insassen von der Schutzausstattung möglichst wenig mitbekommen. Klar gibt es für den Bodyguard von Benz kein Panoramadach, auch ein Head-Up-Display funktioniert bei den armdicken Scheiben nicht und den Platz für den Kühlschrank im Kofferraum nehmen der automatische Feuerlöscher und das Frischluftsystem ein, das bei einem Gasangriff einen Gegendruck erzeugt und Giftstoffe so aus der Kabine heraushält. Doch Lack und Leder und den üblichen Luxus bis hin zu den Liegesitzen müssen die Führungspersönlichkeiten im Fond nicht missen. Und auch wenn die Türen jetzt 180 Kilogramm wiegen und zehn Zentimeter dick sind, lassen sie sich dank elektrischer Unterstützung spielend schließen und schränken die Schulterfreiheit nur minimal ein.

Nicht ganz normal

Auch der Fahrer fühlt sich erst einmal wie in einer ganz normalen S-Klasse. Klar, bei mehr als vier Tonnen Gewicht beschleunigt der Luxusliner im Sicherheitskleid nicht ganz so flott wie üblich. Selbst dann nicht, wenn Zygan ihm den sonst für den Maybach reservierten V12-Motor spendiert und unter der Haube 612 Pferde stampfen und ein maximales Drehmoment von 830 Newtonmetern den Kampf mit den Schwergewicht aufnimmt. Bis das Tempo von 100km/h erreicht ist, dauert es gut acht Sekunden. Und dass bei 190 Schluss ist, passt vielleicht nicht ganz zum Selbstverständnis der S-Klasse-Klientel, lässt sich aber mit den Einschränkungen durch die schusssicheren Reifen bestens begründen. Zumal Verfolgungsfahrten nur im Kino zum Anforderungsprofil solcher Autos zählen, sagt Zygan. "In der Realität geht es vor allem darum, die paar Sekunden zu überstehen, bis die Kavallerie eingreifen und die Situation bereinigen kann. Mobil und beweglich zu bleiben und reagieren zu können, darauf kommt es an. Und nicht auf die möglichst schnelle Flucht nach vorne", erläutert er die Strategie.

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Der S 680 Guard ist kein Fluchtauto, die Pylonen muss er dennoch leichtfüßig umkurven.

(Foto: Mercedes)

Im Konvoi durch eine Parade, mit Geleitschutz zum Flughafen oder nach einem anstrengenden Regierungstag einfach nur nach Hause ins Bett. Genau in diesen Situationen gibt sich der Guard in der ersten und auch in der zweiten Reihe wie eine normale S-Klasse. Erst wenn es brenzlig wird, spürt man seine Sonderrolle. Denn auch die stärksten Bremsen im Mercedes-Regal brauchen bei diesem Gewicht etwas mehr Weg und auch das beste Fahrwerk kann das Wanken des Wagens nicht verhindern, wenn er im Slalom um Straßensperren oder andere Hindernisse kurvt.

Vier Tonnen auf Plattfüßen

Damit die Fahrer wissen, worauf sie sich da einlassen, gibt es zum Auto gleich noch ein Training, bei dem der Guard über den Handlingparcours gescheucht wird, durch die Hütchengassen fliegt und auf der Aquaplaning-Fläche seine Pirouetten dreht. Und fürs nötige Zutrauen in die Notlaufreifen lassen die Instruktoren auch mal die Luft raus und schicken den Panzer mit Plattfüßen durch die Übungen, ohne dass man einen echten Unterschied merken würde.

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Knapp 550.000 Euro muss das Kanzleramt für so einen Mercedes S 680 Guard nach Stuttgart überweisen.

(Foto: Mercedes)

Die Agentenwende allerdings lernen sie hier genauso wenig wie das Rammen eines Gegners, wie sie auch im Stau noch vorankommen oder wie sie einen Angreifer abdrängen können. "Wir vermitteln hier nur die Beherrschung des Fahrzeuges mit all seinen Eigenheiten", sagt Zygan, "das taktische Training überlassen wir den Spezialisten bei Polizei, Militär oder Sicherheitsberatern".

Mercedes treibt für den Guard einen immensen Aufwand. Doch bei einem Preis, der mit knapp 550.000 Euro etwa doppelt so hoch ist wie bei einem Maybach, und bei einer Jahresproduktion im "soliden dreistelligen Bereich" ist das laut Zygan noch immer ein einträgliches Geschäft.

Quelle: ntv.de, Benjamin Bessinger, sp-x

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