Furore in der Mittelklasse Aprilia Tuono 660 - kleiner Donner aus Italien
04.03.2021, 08:56 Uhr
Mit 183 Kilogramm Trockengewicht lässt sich die Aprilia Tuono 660 beschwingt um die Kurven führen.
(Foto: Aprilia)
Wenn die Tuono V4 das große Getöse für sportlich orientierte Zweiradfahrer ist, dann könnte nach der RS 660 die nackte Tuono 660 der kleine Donner sein. Denn Aprilia liefert mit dem neuen Nakedbike ein potentes und nicht nur für Neueinsteiger interessantes Mittelklassemotorrad.
Als megastarkes Nakedbike mit 175 PS hat die Aprilia Tuono V4 1100 einen Ruf wie Donnerhall. Kein Wunder, dass Aprilia das attraktive Konzept aus fulminantem Motor und feinem Fahrwerk mit sparsamer Cockpitverkleidung herunterbricht auf kleinere Klassen. Nach der Tuono 125 tritt jetzt die Tuono 660 auf den Plan, Schwestermodell der erst im vergangenen Herbst präsentierten Aprilia RS 660.
So ist es kein Wunder, dass die von einem 659 Kubikzentimeter großen Zweizylinder-Paralleltwin befeuerte Tuono 660 mit einem famosen Fahrwerk und einem charismatischen Antrieb aufwartet. Dank des Hubzapfenversatzes von 270 Grad, des mit 183 Kilogramm bescheidenen Leergewichts und der Leistung von 95 PS kommt im Sattel schnell Stimmung auf.
Drei Kriterien begeistern
Insbesondere in drei Kriterien begeistert die Tuono 660, und zwar in gleichem Maße wie ihre sportlicher ausgelegte Schwester: Motor, Ergonomie und Fahrwerk. Der Twin besitzt Manieren, lässt sich zivil bewegen, nimmt sauber Gas an, die Seilzug-Kupplung funktioniert leichtgängig. Ein Gentleman, mit dem man bummeln kann. Doch sobald man den elektronischen Gasgriff aufreißt und die Drehzahl über 7000 Umdrehungen schnalzt, beginnt das zweite Leben der 660, denn dann stiebt sie ungestüm nach vorn.
Dass der gut klingende und fein am Gas hängende Zweizylinder in der Tuono mit 5 PS weniger als in der RS ausgeliefert wird, ist nicht zu spüren. Kein Wunder, liegt doch das Drehmoment mit 67 Newtonmetern bei 8500 Kurbelwellenumdrehungen auf identischer Höhe. Zudem hat Aprilia die Sekundärübersetzung etwas kürzer gewählt. Das Einhalten der Leistungsgrenze von 95 PS eröffnet die Möglichkeit, eine A2-konforme Drosselung anzubieten; eine kluge Entscheidung. Das nutzbare Drehzahlband ist weiterhin sehr breit; zumeist bewegt man sich aber im Bereich zwischen 4000 und 8000 Touren. Das Ende des lustigen Drehzahltreibens ist erst bei 11.500 Umdrehungen erreicht.

Quickshifter und Kurven-ABS sind bei der Aprilia Tuono 660 nur gegen Aufpreis zu haben.
(Foto: Aprilia)
Getriebe, Schaltung und Bremsen - vorne gibt es eine reichlich bemessene Doppelscheibenanlage mit Vierkolben-Radialsätteln - lassen keine Wünsche offen. Allerdings nur dann, wenn der Käufer ein paar Hunderter drauflegt und beim Händler ein paar Hightech-Komponenten der RS nachrüsten lässt. Der dann zur Verfügung stehende Quickshifter funktioniert wunderbar leicht und präzise, die dann noch reichlicher vorhandenen Assistenzsysteme können auch in Kurven ihre Wirkung entfalten. Das gilt insbesondere für das ABS. Hier stellt sich die Frage, ob es wegen 500 Euro Preisvorteil gegenüber der RS 660 wirklich klug ist, auf den Serieneinbau der Sechsachsen-Sensorbox IMU und des Quickshifters zu verzichten. Zumal die Nachrüstung samt Montage am Ende wahrscheinlich nicht weniger kostet.
Nach wenigen Kilometern daheim
Die Fähigkeit von Aprilia, feine Fahrwerke zu bauen, demonstriert auch die kleine Tuono. Schon nach wenigen Kilometern Fahrt fühlt sich der Fahrer "daheim", weiß die Tuono einzuschätzen. Sie lenkt leicht ein, hält stabil Kurs und macht selbst auf den teils brutal demolierten italienischen Straßen eine gute Figur: Angesichts der direkten Anlenkung des Federbeins hätte man hier tatsächlich weniger Fahrkomfort und eine härtere Federung erwartet.

Das Vollfarb-TFT ist die zentrale Informationseinheit für den Fahrer der Aprilia Tuono 660.
(Foto: Aprilia)
Rundum gelungen erscheint auch die Ergonomie: Kleinere als auch größere Menschen sitzen gut, der Boden ist beim Anhalten leicht erreichbar, der Kniewinkel entspannt. Der schmale Rahmen erlaubt einen prima Knieschluss am Tank. Dank des breiten, angenehm hoch montierten Lenkers sind ausgedehnte Tagestouren kein Problem. Selbst der Soziusplatz dürfte für Halbtagsausflüge brauchbar sein. Ein wirkliches Tourenmotorrad ist die Aprilia dann aber doch nicht.
Der Blick ins Cockpit demonstriert, dass Aprilia angesichts des bunten TFT-Displays und der fünf Fahrprogramme viel Elektronik-Aufwand treibt. Für den Sporteinsatz auf Rundstrecken gibt es zwei Sonder-Modi, für die Straße sind Commute, Dynamik und Individual gedacht; bei Letzterem sind sämtliche Faktoren frei wählbar. Ob Commute oder Dynamik, machte in der Leistungsentfaltung und der Gasannahme beim ersten Eindruck keinen Unterschied. Das Angebot der Schaltzentrale ist insgesamt mehr als reichlich und liegt auf dem Niveau der großen Tuono V4. Auch die Menüführung geht absolut in Ordnung. In puncto Übersichtlichkeit gibt es beim Tuono-Display - wie generell bei Aprilia - Verbesserungspotenzial.
Unterm Strich ist die Aprilia Tuono 660 ein sehr gelungenes, wunderbar handliches und leicht zu fahrendes Nakedbike. Freilich ist der Wettbewerb ebenfalls auf Zack: Die noch junge Triumph Street Triple S und R sowie die ganz neue KTM 890 Duke und die ebenfalls neue Yamaha MT-07 und MT-09 sind auch nicht von schlechten Eltern, zudem verfügen diese Marken über ein größeres Händlernetz. So wird die Aprilia Tuono 660 sich weiter im Haifischbecken behaupten müssen.
Quelle: ntv.de, Ulf Böringer, sp-x